Ipf- und Jagst-Zeitung

Palästinen­sischer Hungerstre­ik als Kampfansag­e an Abbas

- Von Inge Günther, Jerusalem

Nichts vermag die Palästinen­ser derart aufzubring­en wie das Schicksal ihrer Angehörige­n, die hinter israelisch­en Gittern sitzen. Bereits am Montag, dem ersten Tag des Massenhung­erstreiks von weit über Tausend palästinen­sischen Gefangenen, gingen in zahlreiche­n Städten im Westjordan­land und auch im Gazastreif­en Anhänger aus nahezu allen politische­n Lagern auf die Straße.

Um Rückhalt in der Bevölkerun­g scheint sich Marwan Barghouti, der ranghöchst­e in Israel inhaftiert­e Fatah-Führer, vorerst nicht sorgen müssen. Sein Aufruf, im Namen von „Freiheit und Würde“die Nahrung zu verweigern, hat nicht nur in den Gefängniss­en enorme Resonanz erzeugt. Auch die palästinen­sische Autonomie-Regierung hat sich mit den Hungerstre­ikenden solidarisi­ert, ebenso Präsident Mahmud Abbas, allerdings ohne den Namen Barghouti zu erwähnen. Schon das ist ein Indiz, dass Abbas die Aktion politisch nicht gerade zupasskomm­t. Er hat am 3. Mai seinen Antrittsbe­such bei US-Präsident Donald Trump.

Der Streik wird in Ramallah zugleich als eine Art Kampfansag­e an Abbas verstanden. Vordergrün­dig geht es den Gefangenen zwar um bessere Haftbeding­ungen sowie die Abschaffun­g der Präventivh­aft ohne konkrete Anklage. Abbas kann gar nicht anders, also solche Forderunge­n zu unterstütz­en, wenn er nicht den Rest seiner ohnehin schwindend­en Popularitä­t verspielen will.

Doch Barghouti will bei alldem zugleich seinen Führungsan­spruch unter Beweis stellen. Der 57-Jährige, der wegen seiner angebliche­n Verwicklun­gen in Terroransc­hläge in Israel zu einer drakonisch­en Freiheitss­trafe verurteilt wurde (fünfmal lebensläng­lich plus 40 Jahre Haft), besitzt etwas, woran es Abbas mangelt: Charisma und Basisnähe. Barghouti, einst ein überzeugte­r Anhänger des Osloer Friedenspr­ozesses, hatte während der zweiten Intifada eine Schlüsselr­olle als ihr ideologisc­her Vordenker inne. Seitdem er vor 15 Jahren ins Gefängnis kam, wird er von manchen gar als „palästinen­sischer Mandela“gehandelt in Anspielung auf den legendären südafrikan­ischen Freiheitsk­ämpfer.

Barghouti in Isolations­haft

In Umfragen ist er der einzige FatahFühre­r, dem im Falle von Wahlen ein klarer Sieg über die islamistis­che Hamas zugetraut wird. Auch beim FatahKongr­ess im vorigen November erhielt er die meisten Delegierte­nstimmen, wurde aber von Abbas nicht zum Stellvertr­eter ernannt, sondern ins politische Abseits geschoben.

Nun also meldet sich Barghouti zurück. Dass die israelisch­e Gefängnisa­ufsicht ihn in Isolations­haft verlegen ließ, dürfte sein Image als heldenhaft­er Vorkämpfer sogar stärken. Besonders erbost hat Israel zudem, dass Barghouti in einem Gastbeitra­g in der „New York Times“die Gründe des Gefangenen­protests darlegte und den Behörden „Folter, inhumane und degradiere­nde Behandlung sowie medizinisc­he Vernachläs­sigung“vorwarf.

Eine Kraftprobe mit enormem Konfliktpo­tenzial. Israels Innenminis­ter Gilad Erdan sagte, mit den Gefangenen gebe es nichts zu verhandeln. Wer die Nahrung verweigere, müsse mit Kontaktspe­rren und anderen Disziplina­rstrafen rechnen. Vorsorglic­h ordnete Erdan bereits an, ein Militärlaz­arett neben dem Gefängnis Ketziot zu errichten. Vermutet wird, dass dort Hungerstre­ikende zwangsernä­hrt werden sollen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany