Ipf- und Jagst-Zeitung

Alles schaut auf Angelique

Gegen die Ukraine wollen sich die deutschen Tennisspie­lerinnen aus ihrem Tief herauswind­en

- Von Jürgen Schattmann

Sie sei ein introverti­erter Mensch, der Ruhe liebt und braucht, der sich gerne zurückzieh­t und andere reden lässt, sagt Bundestrai­nerin Barbara Rittner über Angelique Kerber. Tatsächlic­h dürfte die 29-jährige Kielerin die ungeeignet­este Tennis-Nr. 1 sein, die die Welt je gesehen hat. Die Sponsoren und Organisato­ren in dieser millionens­chweren und gerne mal etwas oberflächl­ichen Branche, sie lechzen ja nach illustren, schlagfert­igen Stars oder Models, je divenhafte­r, desto besser.

Eine Nr. 1 im Frauentenn­is, die sollte also entweder eine eigene ModeMarke haben und die frohe Kunde ihrer Schwangers­chaft über Snapchat verbreiten (Serena Williams), ein Süßwarenla­bel besitzen und so tun, als habe sie alle Weisheit des Erdballs mit Eislöffeln gegessen (Vorgängeri­n Maria Sharapowa), mindestens aber ab und an einen Marathon laufen und mit einem Golfstar verlobt sein, der die Hochzeit natürlich wieder platzen lässt (Vorgängeri­n Caroline Wozniacki und ihr Rory McIlroy).

Angelique Kerber aber, die ist einfach nur das Mädchen von nebenan, und zuweilen noch überforder­t von dem, was nun alle von ihr erwarten. Seitdem die US-Open-Siegerin im Herbst auf den Tennisthro­n stieg, hat sich das Leben der Linkshände­rin verändert. Kerber muss nun Sponsoren, Turnierver­anstalter und Medien bedienen, die Sportart verkaufen, eine Art Sprachrohr des Tennis sein, und gleichzeit­ig eine Position verteidige­n, an die sie nicht durch überschäum­endes Talent oder gottgesche­nkte Gaben kam, sondern nur durch ihre Kampfkraft und ihr imposantes Vermögen, sich auf den Punkt zu konzentrie­ren. Das kann nicht funktionie­ren. Kerbers Leistungse­inbruch in dieser Saison – in der Jahreswert­ung liegt sie lediglich auf Rang zehn – ist kein Zufall. Gestresste­r wirke sie, immer auf dem Sprung, sagt Rittner: „Sie ist oft in dem Zwiespalt, dass sie es vielen Leuten recht machen will. Sie muss lernen, auch mal Nein zu sagen.“

Und sich stattdesse­n auf Aufschlag und Aggressivi­tät, ihre Schwachste­llen, konzentrie­ren. Die wird sie im Griff haben müssen, will sie am Wochenende in der Fed-Cup-Relegation gegen die Ukraine in der Stuttgarte­r Porsche-Arena wie in der Vergangenh­eit die deutsche Punktegara­ntin sein. Im zweiten Duell heute gegen Lesia Tsurenko, die Nr. 43 der Welt, ist Kerber die klare Favoritin, im Spitzenein­zel am Sonntag gegen Elina Svitolina, die Nr. 13, sieht das aber anders aus. Drei Mal in Folge hat Kerber zuletzt gegen die aufstreben­de 22-Jährige aus Odessa verloren, die 2017 schon zwei Turniersie­ge feierte und spielt wie Kerber selbst: oft reaktiv, fehlerlos, niemals aufgebend.

Den Auftakt gegen Svitolina darf heute ab 12 Uhr Julia Görges bestreiten, die von Rittner den Vorzug vor der Metzingeri­n Laura Siegemund erhielt. Görges, 28, Nr. 46 der Welt, hat auch schon bessere Tage gesehen, immerhin arbeitete sie sich unter Coach Michael Geserer von einem dreistelli­gen Ranking wieder nach oben. Görges hat mehr Fed-Cup-Erfahrung und 2017 um einiges konstanter gespielt als Debütantin Siegemund, die Aufsteiger­in des Jahres 2016, die dafür jüngst in Charleston Venus Williams geschlagen hat – und Tsurenko. Die Routine habe den Ausschlag pro Görges gegeben, sagt Rittner.

Eine Katastroph­e für das deutsche Frauen-Tennis, wie manche schreiben, wäre ein Abstieg für die Deutschen natürlich nicht. Tennis bleibt eine Einzelspor­tart, und da hat der DTB doch bemerkensw­erte Erfolge vorzuweise­n. Er wäre eher ein – auch systembedi­ngter – Betriebsun­fall. Im Gegensatz zum männlichen Daviscup (16) stehen beim Fedcup nur acht Nationen in der Weltgruppe, vier müssen in die Relegation, da kann man schon mal absteigen. Im Sommer stimmt die ITF über eine Aufstockun­g auf 16 Länder ab, der Ausgang ist offen.

Der Gang in die 2. Liga wäre für die Generation Kerber/Görges/Petkovic vielmehr insofern betrüblich, als dass ihr großer Traum vom Sieg dann frühestens 2019 realisiert werden könnte. 1987 hat ein DTB-Team letztmals den Fed-Cup-Titel geholt, mit Steffi Graf natürlich. Die Zeit läuft Rittners Endzwanzig­erinnen langsam davon.

 ?? FOTO: DPA ?? Blonde Arbeiterin­nen: Das Spitzenspi­el zwischen Angelique Kerber (li.) und Elina Svitolina könnte die Schlüsselp­artie in Stuttgart werden.
FOTO: DPA Blonde Arbeiterin­nen: Das Spitzenspi­el zwischen Angelique Kerber (li.) und Elina Svitolina könnte die Schlüsselp­artie in Stuttgart werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany