Der Mutmacher unter den Literaturpreisen
Viel Beifall für alle Beteiligten bei der Schubart-Preisverleihung in der Stadthalle
- Der Festakt entpuppte sich als äußerst unterhaltsame Angelegenheit: Saša Stanišic (Schubart-Literaturpreis) und Isabelle Lehn (Förderpreis) haben am Samstag in der Stadthalle ihre Preise entgegengenommen. Da war alles drin und alles dran: Der SchubartLiteraturpreis der Stadt Aalen ist auch in seiner 31. Auflage der Mutmacher unter den deutschen Literaturpreisen.
Verena Auffermann aus Berlin, die eigentlich direkt nach Stanišics Dankesrede die Lobrede auf Isabelle Lehn halten sollte, brauchte ein paar Atemzüge, bis sie beginnen konnte: „So eine Dankesrede bekommt man nicht alle Tage zu hören – wo doch sonst das Wort Festakt schon schläfrig macht.“In der Tat: Was Stanišic auf sein Publikum niederprasseln ließ, das war großes Kino. So schön, so witzig, so frech, so kurzweilig und so lehrreich kann Literatur sein. Keine Frage: Der Mann hat was zu erzählen. Und er weiß, wie’s geht.
Schon zum Auftakt wehte ein frischer Wind durch die Preisverleihung: Die Cellikatessen und die Tanzformation KeraAmika machten aus „Danzon No. 2“von Arturo Márquez ein unterhaltsames Musikschauspiel. Schon hier wollte der Beifall kaum enden. Den weiteren Abend umrahmte das Ensemble Noué, drei junge Musikerinnen, Botschafter der Heidenheimer Opernfestspiele.
Oberbürgermeister Thilo Rentschler schloss direkt an: „Wir wollen vom Üblichen abweichen – mit dem Rahmenprogramm, aber auch mit den Preisträgern.“Beide Autoren gingen neue Wege, überschritten die Grenzen des Gewohnten, im Wortsinn und im Umgang mit der Sprache. Political Correctness sei nicht die Sache von Saša Stanišic, bei Isabelle Lehn verschwänden die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahn, zwischen Schein und Sein.
Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen
Etwas differenzierter ging anschließend der Stuttgarter Kulturredakteur Stefan Kister auf das Werk des 1978 in Visegrad im heutigen Bosnien-Herzegowina geborenen Preisträgers ein. In den Wirren des jugoslawischen Bürgerkriegs kam Stanišic als 14-Jähriger nach Deutschland und lebt heute mit Familie in Hamburg. Bei Stanišic finde man „nichts Halbes, nichts einfach so Dahingeworfenes“. Mal leicht, mal bodenlos tief seien seine Romane. „Das klingt mal nach früher Neuzeit, mal nach deutschem Hip-Hop, mal nach hoher Dichtung.“
Was Kister mit „verschmitztem Witz“, mit dem „Befreien aus Fesseln“ gemeint hatte, das ließ Stanišic anschließend das Festaktpublikum spüren. „Und das an einem Tag, an dem der HSV zu Hause gegen die einzige Mannschaft verliert, die noch nie auswärts gewonnen hat.“So kulturfremd begann Fußballfan Stanišic seine Rede, in der er – wie in seinen Büchern – die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen ließ.
Er entführte seine Zuhörer ins fiktive Dörfchen Fürstenfelde in der Nordwest-Uckermark und beschrieb anhand des tatsächlich existierenden Dorfs Fürstenwerder die Wechselwirkung zwischen Literatur und Leben, ließ seine Titelfigur Lada staunen über Schnauze und Blauze, über Literaturpreise und Entrümplermilieu, über Verlierer und Gewinner, über Schubart, „der einfach nicht aufgehört hat zu schreiben“, um schließlich alles in drei essentiellen Begriffen zusammenzufassen: Sprache, Mut, Zauberei.
Verena Auffermann hatte anschließend die Aufgabe, das Publikum wieder auf den Boden der Preisverleihung zurückzuholen. Ihre Laudatio galt der 1979 in Bonn geborenen Isabelle Lehn, die für ihr Debüt „Binde zwei Vögel zusammen“den Förderpreis der Kreissparkasse Ostalb erhielt. In Lehns Buch geht es um Rollentausch, um die Grenze zwischen Realität und Spiel – im Zeitalter von Computerspielen und Fake News eine interessante Frage. Auffermann sprach von „realer Utopie“. Ihr gefiel vor allem die Kombination der beiden Preisträger, die sich beide mit dem Verschwinden der Wirklichkeit beschäftigen, „und das mit Texten, die weit darüber hinausgehen, was wir als Sprache definieren. Beide sind Autoren, die mutig sind und die Mut machen.“Isabelle Lehn bedankte sich mit Schubarts Ode an die Freiheit, seinem Gedicht „Frage“, das sie sehr berührt habe. „Literatur ist ein Mittel, auf die Unbegreiflichkeiten des Lebens hinzuweisen und sich dabei nicht selbst zu verlieren“, schloss sie, bevor zum Schluss noch Arwid Klaws, Schauspieler des Aalener Stadttheaters, Schubart in persona aufleben ließ. Dass er etwas zu früh in die Szenerie stolperte, sei ihm verziehen, denn Schubart war nun mal ein Poltergeist.
Ein Bericht zu den Autorenlesungen am Sonntag ist zu finden auf der Veranstaltungsseite,