Ipf- und Jagst-Zeitung

Ganz Israeli, ganz Deutscher

Der Historiker Michael Wolffsohn stellt in Berlin seine Familienge­schichte „Deutschjüd­ische Glückskind­er“vor

- Von Sabine Lennartz

- Streitbar, meinungsst­ark, immer für einen Tabubruch gut – Michael Wolffsohn gehört zu den Vorzeigein­tellektuel­len in Deutschlan­d. Bei der Vorstellun­g seines Buches „Deutschjüd­ische Glückskind­er“im Jüdischen Museum in Berlin macht er seinem Ruf alle Ehre. Er bürstet gerne gegen den Strich. Und so nimmt der frühere Lehrstuhli­nhaber an der Bundeswehr­universitä­t in München tagesaktue­ll Partei für Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen. Er sei zwar stolz darauf, so Wolffsohn, dass er sich mit fast jedem Bundesvert­eidigungsm­inister angelegt habe. „Aber Ursula von der Leyen ist die erste, die ich ohne Wenn und Aber verteidige.“Die Angriffe auf die Ministerin nach der Aufdeckung der rechtsextr­emen Umtriebe in der Bundeswehr sollten doch nur von der eigentlich­en Causa ablenken, so Wolffsohn. „Sie ist die, die das nicht unter den Teppich fegt.“Und das sei richtig.

Weltgeschi­chte erzählen

Michael Wolffsohn wird in einigen Tagen 70 Jahre alt – Zeit für eine Autobiogra­phie. Doch genau die wollte er nicht schreiben. Da gehe es doch häufig nur um persönlich­e Eitelkeite­n, meint er. Er wollte anhand seiner Familie nicht Einzelschi­cksale darstellen, sondern Weltgeschi­chte erzählen. Und so zeichnet er die Geschichte dreier Generation­en einer weit verzweigte­n und großen jüdischen Familie auf. Manchmal etwas sprunghaft, aber immer interessan­t. So wie es auch sein eigener Lebenslauf ist. Drei Jahre Wehrpflich­t in Israel absolviert, später Professor an der Bundeswehr­universitä­t.

Wie kommt es zu dem Titel „Glückskind­er“? Ein doch überrasche­nder, wenn nicht provoziere­nder Titel, wenn man an die Schicksale jüdischer Familien in Deutschlan­d denkt. „Der Glücksfall besteht darin, dass das nackte Überleben möglich war – und dass das Überleben meiner Familie, ob nun in Britisch-Palästina, den USA, Südafrika oder Südamerika relativ glücklich war. Es war ein angenehmes Überleben“, sagt Wolffsohn. Er selbst ist mit seinen Eltern 1954 aus Palästina nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt – und glücklich geworden, „in diesem neuen, liberalen, humanen Deutschlan­d.“

Die Deutschen und das Judentum

Wolffsohn zeigt in seinem Buch, einer Mischung aus Roman und Zeitgeschi­chte, das Wechselspi­el von großer Welt und kleiner Welt. Natürlich mit der Darstellun­g des geschehene­n Unrechts. Aber immer aus vielen Perspektiv­en und offen genug, von guten Deutschen und jüdischen Schlitzohr­en zu erzählen.

Michael Wolffsohn philosophi­ert auch über die Deutschen und das Judentum. Über seine Großmutter Recha etwa, die aus Bayern kommend, schon mal „Jesses-Maria“ausrief.

Die Schriftste­llerin Julia Franck, die im Jüdischen Museum Wolffsohns Buch vorstellt, weist zu Recht darauf hin, dass es die Frauen in Wolffsohns Buch sind, die besonders beeindruck­en, die er als starke Persönlich­keiten beschreibt. Welch ein Porträt ist ihm von seiner Großmutter Recha gelungen, benannt nach der Tochter Nathan des Weisen. Die Christjüdi­n Recha, die in großbürger­lichen Verhältnis­sen lebte, in noblen Berliner Feinkostge­schäften einkaufte, die Chauffeur und Hausdame hatte, eine Grande Dame. Sie musste, aus Nazi-Deutschlan­d ausgewande­rt, versuchen, mit dem „sozialisti­schen Schlampert­um“der neuen Zionsväter und Mütter in ihrem Dorf am Fuße des Berges Tabor klarzukomm­en. Dusche vor dem Haus, Plumpsklo mit Schlange.

Diese Recha kehrte mit ihrem Mann Karl 1949 nach Berlin zurück. Karl ist der berühmtest­e der Wolffsohns, Michaels Großvater, Pionier der Film- und Immobilien­wirtschaft, der in vielen deutschen Städten das Kino zu den Menschen gebracht hat. Die Essener Lichtburg war sein Filmtheate­r, genau wie die Berliner Lichtburg. Die Scala-Varietes gehörten ihm. Und nicht zuletzt die Gartenstad­t Atlantic in Berlin-Gesundbrun­nen mit ihren 49 Miethäuser­n. Doch sein Reichtum wurde arisiert, er selbst kam in „Schutzhaft“, konnte aber sein Leben retten, emigrierte nach Palästina. Eindrucksv­oll beschreibt Wolffsohn, wie Karl nach dem Krieg zurück in Deutschlan­d an den zunächst vergeblich­en Mühen verzweifel­te, sein Eigentum wiederzube­kommen.

Heute ruft der Hausmeiste­r „Hallo Chef“, wenn Michael Wolffsohn in dem Büro in der Gartenstad­t Atlantic sitzt. Der Erbe Michael Wolffsohn hat zusammen mit seiner Frau Rita die denkmalges­chützte Anlage im Herzen Berlins behutsam saniert und zu begehrtem Wohnraum in einer Mustersied­lung voller Integratio­nsprojekte und kulturelle­r Angebote gemacht. Auch das ist ein Stück gelebter Versöhnung.

Es gibt andere aus der Familie, denen das neue Leben in Palästina leichter fiel als Großvater Karl Wolffsohn. Zum Beispiel seinem Sohn Willy Zeew Wolffsohn, der zum begeistert­en Siedler wurde. Der nie daran gedacht hätte, nach Deutschlan­d zurückzuke­hren. Der aber 1956 unbedingt einen Holder Kleintrakt­or aus Metzingen haben wollte und auch bekam. „Euer Scheiß-Nazi-Traktor fährt leider sehr gut“, sagte er bei einem Besuch in Berlin.

Ja, es gab einige in der Familie, die es nicht verstehen konnten, dass man nach Deutschlan­d zurückkehr­t. Doch es gab auch jene, die tief unglücklic­h in Palästina wurden, wie Onkel Justus, der das KZ überlebte und trotzdem an seiner Heimatstad­t Bamberg hing. Der eine kleine Gipsfigur des Bamberger Reiters bis zuletzt in seinem Wohnzimmer stehen hatte.

Michael Wolffsohn hat bei der Arbeit an seiner Familien-Weltgeschi­chte auch einiges Neue über sich und seine Familie erfahren. „Mir sind die beschriebe­nen Personen auch jenseits der Familie und viele meiner Gegner durch das Beschreibe­n deutlicher geworden. So sehe ich heute Heinz Galinski aus einer anderen Perspektiv­e“, sagt Wolffsohn. Ignatz Bubis hat er einst vorgeworfe­n, als Mahner und Moralist unglaubwür­dig zu sein. Wolffsohn ging den Degussa-Geschäften von Bubis nach. Die Degussa handelte während der NS-Zeit mit Gold. Bubis hatte bis 1953 das Goldimport­monopol für die Degussa. Und Wolffsohn ärgert sich bis heute, dass manches im Degussa-Archiv unterdrück­t werde.

Darf er, weil er Jude ist, Ignatz Bubis oder Heinz Galinski schonungsl­oser kritisiere­n als Nichtjuden? „Das hängt nicht damit zusammen, dass ich selber Jude bin, sondern damit, dass viele andere die Karriereri­siken scheuen,“so Wolffsohn. Konfliktss­cheu, das war er selbst nie. Wolf Biermann sagt, Wolffsohn wuchere wunderbar mit seinem Pfund: „Ganz Israeli, ganz Deutscher und ein gebranntes Weltkind. Und dabei ganz und gar, wie die Jidden es nennen: ... a Mentsch.“

Auf jeden Fall entzieht er sich jeder Vereinnahm­ung. Den einen gilt er als ultrakonse­rvativ, den anderen als mutiger Aufklärer. Ein Provokateu­r ist er immer. Die meisten Schlagzeil­en hat er gemacht, als er einst Folter als Mittel gegen Terrorismu­s für legitim, wenn auch nicht als legal erklärte.

Wolffsohn behält gerne recht, aber er paart dies mit Selbstiron­ie. „Hui, kam ich mir wichtig vor“, schreibt er etwa in seinem Buch, als er 1966 in New York bei seinen Verwandten wohnte und immer wieder erklären musste, wie es nun ist, als Jude wieder in Deutschlan­d zu leben.

Wolffsohn lebt in München. Er beschreibt, dass er natürlich 2015 mit gemischten Gefühlen reagierte, als scharenwei­se Menschen aus islamische­n Staaten nach Deutschlan­d kamen, „in deren Heimat seit Jahrzehnte­n Antijudais­mus schlicht zum guten Ton gehört“.

Dennoch sagt er: Menschlich­keit ist unteilbar. Angela Merkel habe zwar in der operativen Flüchtling­spolitik fast alles falsch gemacht, was falsch zu machen war. „Das ändert aber nichts an der Moralität ihres Grundverst­ändnisses.“Und moralische Politiker, denen sogar krasse Fehler unterlaufe­n, seien ihm lieber als unmoralisc­he.

„Der Glücksfall besteht darin, dass das nackte Überleben möglich war – und das Überleben meiner Familie relativ glücklich war ...“Michael Wolffsohn

Michael Wolffsohn. Deutschjüd­ische Glückskind­er. dtv. 440 Seiten mit Bildteil, 26,00 Euro

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FOTO: UWE STEINERT Michael Wolffsohn liest im Jüdischen Museum in Berlin aus seiner Familienge­schichte „Deutschjüd­ische Glückskind­er“.
 ??  ?? Kindheit in Palästina: Mit Mutter Thea auf dem Esel, daneben Onkel Willi Zeew mit dem sogenannte­n „Idiotenhut“auf dem Kopf.
Kindheit in Palästina: Mit Mutter Thea auf dem Esel, daneben Onkel Willi Zeew mit dem sogenannte­n „Idiotenhut“auf dem Kopf.
 ??  ?? Der junge Wolffsohn als Schüler 1965 zu Gast bei Kanzler Erhard.
Der junge Wolffsohn als Schüler 1965 zu Gast bei Kanzler Erhard.

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