„Europäische Idee braucht neue Impulse“
Guido Wolf (CDU) will die Bürger wieder für grenzüberschreitende Projekte begeistern
- Der baden-württembergische Justiz- und Europaminister Guido Wolf will die europäische Idee wieder mit Leben füllen. „Unser Ansatz ist es, eine Europastrategie zu entwickeln, die sich wieder verstärkt an den Bedürfnissen der Menschen orientiert“, sagte Wolf im Gespräch mit Hendrik Groth und Claudia Kling.
Nach der Wahl von Emmanuel Macron zum neuen Präsidenten in Frankreich: Was kann BadenWürttemberg konkret machen, um das deutsch-französische und damit auch das europäische Verhältnis zu verbessern?
Wir können zum Beispiel konkret die gewachsenen Beziehungen zwischen Baden-Württemberg und unseren elsässischen Freunden festigen. Der Anteil der Le-PenWähler im Elsass war ja leider durchaus beträchtlich. Europa hat seinen Ursprung in der deutsch-französischen Freundschaft, das ist das Herz der europäischen Bewegung. Dieser Motor Europas muss runderneuert und zur Initialzündung eines neuen Europas gemacht werden.
Braucht es auch mehr grenzübergreifende Projekte wie die Straßenbahn zwischen Kehl und Straßburg, von denen der ganz normale Bürger etwas hat?
Natürlich lebt Zusammenarbeit auch von grenzüberschreitender Infrastruktur. Aber das Wichtigste ist, dass das europäische Projekt wieder im Herzen der Bürger ankommt. Die europäische Idee braucht neue Impulse.
Was haben Sie sich als Europaminister konkret vorgenommen, um dies zu erreichen?
Unser Ansatz ist es, eine Europastrategie zu entwickeln, die sich wieder verstärkt an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Derzeit erleben wir eine gewisse Distanz der Bürger zur EU, weil sie den Eindruck haben, Europa sei weit weg in Brüssel und habe nichts mit ihren konkreten Anliegen zu tun. Europa wird als krisenhaft erlebt, als Europa, das der Flüchtlingskrise nicht Herr wird, das mit Währungs- und Bankenproblemen kämpft und das die Sicherheit im Schengen-Raum nicht gewährleisten kann.
Aber diese Probleme existieren ja durchaus.
Ja, aber umso mehr müssen wir den Menschen verdeutlichen, was Europa für sie persönlich bedeutet. Gerade viele junge Menschen genießen ganz selbstverständlich die Vorteile der Freizügigkeit, von Erasmusprogrammen, mit denen sie im Ausland studieren, und dass sie fast überall mit dem Euro bezahlen können. Aber ihnen ist nicht mehr hinreichend bewusst, dass dies keine zwingend bleibenden Errungenschaften sind, sondern dass man dafür kämpfen und eintreten muss. Die jungen Briten waren zwar gegen den Brexit, aber sie sind mehrheitlich nicht zur Wahl gegangen. Das muss uns herausfordern.
Nach Macrons Wahl hat sich die Debatte über mehr Europa sofort auf die Vergemeinschaftung von Schulden konzentriert. Wie stehen Sie dazu?
Die Menschen dürfen nicht den falschen Eindruck gewinnen, Europa sei etwas, was vor allem Geld kostet. Die Vergemeinschaftung von Schulden ist falsch. Sie vermittelt gerade dem deutschen Bürger, dass diese ihn teuer zu stehen kommen könnte. Deshalb ist dies aus meiner Sicht der falsche Ansatz und verengt die Debatte auf die wirtschaftlichen Aspekte, die mit der Europäischen Union verbunden sind. Nochmals: Europa ist sehr viel mehr als der Austausch von Waren und Dienstleistungen. Wir haben eine Werte- und Rechtsgemeinschaft zu verteidigen, in der Meinungs- und Pressefreiheit gilt. Das muss wieder stärker in den Köpfen der Menschen ankommen.
Haben globale und europäische Krisen wie der Wahlsieg von Trump, der Brexit und Le Pens starkes Auftreten in Frankreich die Menschen wachgerüttelt?
Mein Eindruck ist, dass die Menschen nach diesen Ereignissen sehr wohl wieder stärker zusammenstehen. Wochenende für Wochenende gehen durch die Bewegung „Pulse of Europe“auch Menschen für Europa auf die Straße. Wir brauchen die EU, um auf Augenhöhe mit unseren großen internationalen Partnern, den USA und den asiatischen Ländern, verhandeln zu können. Der Rückzug ins Nationale wäre das bewusste Inkaufnehmen von Instabilität und der Zerfaserung unserer Interessen. „Jetzt erst recht!“, das muss die Devise aus dieser krisenhaften Situation heraus sein.