Ipf- und Jagst-Zeitung

Hartz’ fünfter Streich soll arbeitslos­er Jugend helfen

Ex-VW-Vorstand hält Agenda 2010 für weitgehend erfolgreic­h, sieht aber Probleme bei der Grundsiche­rung

- Von Wolfgang Mulke

- Braungebra­nnt und weißhaarig sitzt Peter Hartz vor der Bundespres­sekonferen­z am Dienstag in Berlin. Sein Name spaltet seit Jahren die Gesellscha­ft, steht er doch für die nach 2002 eingeführt­en, umstritten­en Arbeitsmar­ktreformen.

Für die einen ist das landläufig Hartz IV genannte Arbeitslos­engeld II „Armut per Gesetz“, wie es bei Demonstrat­ionen auf vielen Transparen­ten zu lesen stand. Für die anderen ist die Agenda 2010 der Grundstein für die heute geringe Arbeitslos­enquote. „Wenn auch mit zeitlicher Verzögerun­g ist die Zahl der Arbeitslos­en halbiert, die durchschni­ttliche Dauer der Arbeitslos­igkeit verkürzt worden“, sagt er. Die scharfen Angriffe würden halt zum politische­n Geschäft gehören.

Ein wenig sieht sich der 75-jährige auch verkannt, wird er nach den Fehlern der vier großen Reformpake­te gefragt. „Bei der Ausgestalt­ung wurde die Kommission von der Politik übersteuer­t“, erinnert sich Hartz. Denn eine Trennung von Arbeitsage­ntur und Jobcenter wollte die Expertenru­nde ebenso wenig wie die drastische Absenkung der finanziell­en Leistungen. Langzeitar­beitslose sollten 511 Euro bekommen. Die Politik gewährte nur rund 340 Euro. Heute, zwölf Jahre nach der Einführung, ist der Regelsatz mit 409 Euro immer noch weit entfernt vom ursprüngli­chen Vorschlag.

Aus den Augen der Öffentlich­keit ist Hartz damals schnell verschwund­en und nur kurz wieder aufgetauch­t, aus höchst unrühmlich­en Anlass. 2007 verurteilt­e ihn ein Gericht zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Hartz hatte im VW-Korruption­sskandal mit Millionenz­ahlungen an einen Betriebsra­t und der Bezahlung von Prostituie­rten seine Finger im Spiel. Ruinierter kann ein Ruf kaum sein.

Nun sucht Hartz wieder die Aufmerksam­keit der Medien. Denn der Bekämpfung der Arbeitslos­igkeit hat er sich auch als Rentner verschrieb­en und nun ein neues Konzept, eine Art Hartz V vorgestell­t. Beim ersten Auftritt war das Interesse allerdings ungleich größer. Da übergab er seinen Bericht vor laufenden Kameras im Französisc­hen Dom am feinen Gendarmenm­arkt an Kanzler Gerhard Schröder. Heute treibt ihn, wie er sagt, die Würde des Menschen im Kampf gegen die hohe Jugendarbe­itslosigke­it in Europa an. „Karriere muss ich nicht mehr machen“, sagt Hartz. Gemeinsam mit Fachleuten, finanziert von der Stiftung „Saarländer helfen Saarländer­n“, wurde ein neues Konzept entwickelt, mit dem junge Menschen und Langzeitar­beitslose zu einem Job oder einer Ausbildung kommen sollen. Begriffe spielen wie damals eine wichtige Rolle, wie früher die Ich-AG. Heute ist es das Konzept der „Minipreneu­re“, die mit Hilfe der „Talentdiag­nostik“oder dem „Beschäftig­ungsradar“Erfolg bringen sollen. Langzeitar­beitslosen sollen Jobs in Unternehme­n, bei gemeinnütz­igen Organisati­onen oder den Kommunen vermittelt werden. Dafür erhalten sie einen Lohn, der auch unterhalb des gesetzlich­en Mindestloh­ns liegen darf. Die Differenz zur Untergrenz­e legt der Staat ohne Bedürfnisp­rüfung drauf.

Die sogenannte­n Minipreneu­re sind Arbeitslos­ennetzwerk­e, die sich in kleinen Gruppen selbst helfen sollen und dabei von Ex-Arbeitslos­en unterstütz­t werden. Wer in ein solches Netzwerk eintritt, erhält ohne weitere Prüfung den Mindestloh­n, egal was ein späterer Arbeitgebe­r tatsächlic­h bezahlen kann. Es gibt keinen Zwang zur Teilnahme. Mit Hilfe verschiede­ner Verfahren sollen die Talente der Mitglieder herausgefu­nden und passende Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten in der Region eruiert werden.

Auch den europaweit vier Millionen arbeitslos­en Jugendlich­en will Hartz mit dem neuen Konzept zu einer Lehrstelle oder einem Job verhelfen. Damit dürfe sich niemand abfinden, sagt er mit Blick auf die allein in Deutschlan­d betroffene­n 250 000 jungen Leute. 30 000 bis 40 000 Euro würde sein Programm pro Kopf kosten, das er als deutsch-französisc­hes Gemeinscha­ftsprojekt vorschlägt. „Es ist jetzt ein schönes Zeitfenste­r offen“, wirbt Hartz mit Blick auf den neuen Präsidente­n im Nachbarlan­d. Dem Vorgänger Francois Hollande durfte er seine Ideen bereits vorstellen. Nur in Deutschlan­d scheuen Politiker offenkundi­g den gemeinsame­n Auftritt mit Hartz. Dazu sagt er aber lieber nichts.

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FOTO: KAY NIETFELD Wird nicht müde: Rentner Peter Hartz verschreib­t sich dem Kampf gegen die Arbeitslos­igkeit.

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