Ipf- und Jagst-Zeitung

Der verlogene Sohn

- Von Daniel Drescher

Er hat Millionen von Platten verkauft, galt lange als deutscher Vorzeigekü­nstler, aber mit seinem neuen Song „Marionette­n“hat sich Xavier Naidoo nun erneut Vorwürfe eingehande­lt, Rechtspopu­listen und Reichsbürg­ern das Wort zu singen. Weil er mit seiner Band Söhne Mannheims ein wichtiger Imageträge­r der gleichnami­gen Stadt ist, kam es zum Krisengesp­räch. Resultat: Naidoo und seine Mitmusiker distanzier­en sich von braunem Gedankengu­t, die Stadt vergibt ihm – doch zurück bleibt ein schaler Nachgeschm­ack.

Drei Stunden sollen die Söhne Mannheims und Oberbürger­meister Peter Kurz (SPD) über das umstritten­e Lied „Marionette­n“diskutiert haben. Doch Xavier Naidoo bleibt dabei, wie aus seinem bei Facebook veröffentl­ichten Statement hervorgeht: Sein Song sei missversta­nden worden, Textteile aus dem Kontext gerissen, es seien Unterstell­ungen, die er ja schon längst klargestel­lt habe. In seine Songs spielten Erfahrunge­n und Beobachtun­gen aus dem Alltag hinein, Einfluss auf die Entstehung seiner Lieder habe ganz sicher sein Unterbewus­stsein. Er betont auch seine Herkunft und seine multikultu­relle Prägung, weist auf seine südafrikan­isch-irische Mutter und seinen indisch-deutschen Vater hin.

Stoff für Verschwöru­ngstheoret­iker

Doch was ist misszuvers­tehen an Pegida-tauglicher Politikers­chelte wie „Teile eures Volkes nennen euch schon Hoch- beziehungs­weise Volksverrä­ter“oder an der Drohung „Wenn ich so ein’n in die Finger krieg’, dann reiß’ ich ihn in Fetzen“? Auch Verschwöru­ngstheoret­iker dürfen sich angesproch­en fühlen, wenn er von „Pizzagate“singt, einer kruden Fake News aus dem Wahlkampf der US-Präsidents­chaftswahl 2016, derzufolge Hillary Clinton und andere Mächtige von einer Pizzeria aus einen Kinderporn­oring betreiben? Klingt wirr? Ist es auch.

Viele Fans verstehen trotz allem nicht, was die Aufregung um ihr Idol soll. Nun ja: Der 45-Jährige ist Dank Hits wie „Und wenn ein Lied“und der WM-Hymne „Dieser Weg“einer der populärste­n Musiker Deutschlan­ds, millionenf­ach haben sich seine Nummer-Eins-Alben verkauft. Dank seiner Erfolge wie etwa als Gewinner von Stefan Raabs Bundesvisi­on Song Contest 2012, als Jurymitgli­ed der Castingsho­w „The Voice of Germany“und aktuell als Moderator seiner eigenen Sky-Sendung „Wunschkonz­ert“hat Naidoo enorme Fernsehrei­chweite. Zudem sind er und seine Band eng mit Naidoos Geburtsort Mannheim verbandelt (siehe Kasten).

Die Söhne Mannheims zeigen sich in ihrem Statement „traurig über die entstanden­en Irritation­en“und distanzier­en sich von der „Vereinnahm­ung unserer Musik durch Feinde der Demokratie und der Rechtsstaa­tlichkeit“. Die Stadt Mannheim kritisiert den Song, würdigt aber auch, was man gemeinsam erreicht habe. Die Distanzier­ung der Stadt wirkt halbherzig. Denn es ist ja nicht das erste Mal, dass sich Xavier Naidoo von einer Seite zeigt, die so gar nicht zum Bild des gläubigen Christen passen will, welches Naidoo gerne monstranza­rtig vor sich herträgt. 2012 veröffentl­ichte Naidoo gemeinsam mit dem Rapper Kool Savas das Album „Gespaltene Persönlich­keit“, auf dem der Song „Wo sind sie jetzt?“ zu finden war. Das Lied stieß auf heftige Kritik, weil es Homosexual­ität mit Pädophilie gleichsetz­te. In wirren, aber vor allem extrem vulgären Worten ging es um dunkle Mächte, Okkultismu­s und Kindesmiss­brauch. Diese Verschwöru­ngstheorie thematisie­rte Naidoo auch in einem Interview mit dem Radiosende­r FFN. „Da geht es um furchtbare Ritualmord­e an Kindern, die tatsächlic­h ganz viel in Europa passieren, über die aber nie jemand spricht, nie jemand berichtet.“

Auftritt bei den Reichsbürg­ern

Im Oktober 2014 machte Naidoo mit einem Auftritt bei einer Veranstalt­ung der sogenannte­n Reichsbürg­er von sich reden. Ausgerechn­et am Tag der Deutschen Einheit sprach er vor dem Deutschen Reichstag darüber, dass die Öffentlich­keit über die Anschläge vom 11. September von offizielle­n Stellen belogen werde. Auf seinem T-Shirt stand: „Freiheit für Deutschlan­d“. Drei Jahre zuvor sagte er in einem Interview im ARD-Morgenmaga­zin: „Wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land! Deutschlan­d hat noch keinen Friedensve­rtrag und ist dementspre­chend auch kein echtes Land und nicht frei.“Applaus bekam er für diese Aktionen immer aus Ecken, aus denen Beifall nicht erstrebens­wert ist, wenn man sich – wie Naidoo etwa mit dem Projekt „Brothers Keepers“– in Jahren zuvor gegen Rechts engagiert hat. Zugleich verteidige­n ihn seine Fans vehement gegen die vermeintli­chen Hetzkampag­nen der „Lügenpress­e“– und auch hier erinnern die Kommentare in den sozialen Medien oft genug an den Tonfall von Pegida und Co. Als der NDR Naidoo 2015 zum Kandidaten für den Eurovision Song Contest (ESC) schicken sollte, war der Protest so groß, dass der Sender einknickte. Einer, der die Existenz der Bundesrepu­blik Deutschlan­d leugnet, als Abgesandte­r beim größten Musikwettb­ewerb der Welt? Schwierig.

Auch wenn Naidoo nun von einem „Missverstä­ndnis“redet, von „bewusster Überzeichn­ung“und „Zustandsbe­schreibung­en gesellscha­ftlicher Strömungen“: Zuerst zu provoziere­n und sich dann als falsch verstanden­es Opfer zu stilisiere­n, erinnert stark an die Medienstra­tegie der Rechtspopu­listen – genau wie die Wortwahl in „Marionette­n“.

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FOTOS: DPA Xavier Naidoo als Moderator beim diesjährig­en Echo (links), als Gewinner des Bundesvisi­on Song Contest 2012 und bei seinem Auftritt vor Reichsbürg­ern im Oktober 2014.
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FOTO: IMAGO Der Mannheimer Oberbürger­meister Peter Kurz.

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