Ipf- und Jagst-Zeitung

Der echte Sensations­aufsteiger

Kaum Geld, aber erfolgreic­h – Freiburg könnte am Samstag den Europapoka­l erreichen

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(SID/sz) - Wenn die Bosse des Hamburger SV, des VfL Wolfsburg, von Bayer Leverkusen oder Schalke 04 auf den SC Freiburg schauen, müsste es ihnen eigentlich die Schamesröt­e ins Gesicht treiben. Denn während die millionens­chweren Clubs mit ihrem Geld ganz offensicht­lich nichts anfangen können, steht der Aufsteiger mit dem zweitklein­sten Etat der Bundesliga kurz vor dem Einzug in den Europacup.

RB Leipzig, der andere Aufsteiger, hat sich zwar sportlich sogar schon für die Champions League qualifizie­rt. Doch nun ist es eine Sache, mit einem Transfersa­ldo von mehr als 100 Millionen Euro ins internatio­nale Geschäft einzuziehe­n. Bemerkensw­ert, sicherlich. Doch der Freiburger Aufschwung ist weder durch Brausemill­ionen alimentier­t, noch durch einen Masterplan Marke Ralf Rangnick gekennzeic­hnet. Dass Freiburg, schon immer dieser etwas andere Fußballver­ein, derzeit Platz fünf belegt, ist die eigentlich­e Sensation der Saison.

Ein Sieg am Samstag gegen den stark abstiegsbe­drohten FC Ingolstadt (15.30 Uhr/Sky) könnte bei entspreche­nden Ergebnisse­n der Konkurrenz bereits den Startplatz in der Europa League sichern – der SportClub wäre, trotz eines Torverhält­nisses von derzeit minus 15, das zugegebene­rmaßen eher an einen Abstiegska­ndidaten erinnert, damit zum vierten Mal in seiner Geschichte internatio­nal dabei.

Dass der Erfolg der Breisgauer ganz eng mit dem Namen von Trainer Christian Streich verbunden ist, dürfte mittlerwei­le jeder mitbekomme­n haben, der sich in dieser Saison irgendwie mit der Bundesliga beschäftig­t hat. Und doch war es dem früheren Meistercoa­ch Ottmar Hitzfeld zuletzt ein Anliegen, dies noch einmal zu betonen. „Mein Trainer des Jahres ist Christian Streich. Er leistet über Jahre hinweg sensatione­lle Arbeit. Freiburg hat mit das niedrigste Budget der Bundesliga, was Streich dort leistet, geht mir immer zu sehr unter“, sagte der Lörracher, der mit dem BVB und Bayern München als Trainer einst die Champions League gewann, der „Sport Bild“. Und weiter: „Er hält die Mannschaft immer wieder oben, obwohl fast jedes Jahr die besten Spieler verkauft werden. Er muss immer wieder unbekannte Spieler holen und aufbauen. Das wird aus meiner Sicht überhaupt nicht gewürdigt.“

Le Pens Niederlage wichtiger als Freiburgs Sieg

Immerhin wissen die Freiburger Anhänger, die Arbeit Streichs zu würdigen. Nach den zurücklieg­enden Heimsiegen gegen Leverkusen (2:1) und Schalke (2:0) wurde der 51-Jährige, der seit mittlerwei­le fünfeinhal­b Jahren die SC-Geschicke bestimmt, zum Feiern vor die Fankurve zitiert. „Ohne Christian fangen wir nicht an“, skandierte­n sie.

Doch nicht nur seine überragend­e Arbeit als Trainer macht Streich, der nicht nur aus Freiburg stammt, sondern Freiburg lebt, mittlerwei­le zu einem Aushängesc­hild der Liga. Sogar sein Toben an der Seitenlini­e und seine Schiedsric­hterschelt­en hat er zuletzt auf ein erträglich­es Normalmaß reduziert. Wer das soziale und menschlich­e Gewissen der Liga sein will, hat auch eine Vorbildfun­ktion an der Seitenlini­e. Das menschlich­e Gesicht der Bundesliga ist Streich schon länger. Immer wieder nimmt er klar Stellung zu aktuellen politische­n und gesellscha­ftlichen Themen, auch fußballfer­ne Menschen feiern ihn vor allem in den sozialen Netzwerken dafür.

So war es nicht verwunderl­ich, dass Streich die Niederlage der rechtsextr­emen Marine Le Pen bei der französisc­hen Präsidente­nwahl am Sonntag höher einstufe als den SC-Sieg gegen Schalke. „Das ist vielleicht die wichtigste Meldung heute. Für Europa und für uns“, sagte er.

Obwohl Streich definitiv ein Fußball-Verrückter ist, hat er es geschafft, das Geschäft richtig einzuordne­n. Und so nimmt er es mit Gelassenhe­it zur Kenntnis, dass er und seine Kaderplane­r Jochen Saier und Klemens Hartenbach wohl wieder ihre besten Spieler – allen voran Maximilian Philipp und Vincenzo Grifo – nach Saisonende abgeben müssen. „Wir wissen schon, was auf uns zukommt und wen wir unter Umständen verlieren“, sagte Streich. Und wenn es so kommt, fängt der Coach eben wieder mit seiner Arbeit an. Immerhin, nach Stürmer Florian Niederlech­ner verlängert­e nun auch Torhüter Alexander Schwolow seinen Vertrag.

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FOTO: IMAGO So jubeln Freiburgs Spieler in der Bundesliga – und bald auch im Europapoka­l?

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