Die 54,2-Milliarden-Euro-Frage
Der Staat kassiert vom Steuerzahler wohl deutlich mehr als gedacht – Schon beginnt der Streit um die Verteilung
- Die deutschen Steuereinnahmen werden in den kommenden Jahren solide weiterwachsen. Das ist das Ergebnis der neuen Steuerschätzung, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstag präsentierte. Daher verfügen die gegenwärtige und die neue Bundesregierung ab Oktober über finanziellen Spielraum für zusätzliche Ausgaben, ohne dafür Schulden machen zu müssen. Die Debatte dreht sich nun darum, wie groß der finanzielle Spielraum ist, und wofür er verwendet werden soll.
Im Vergleich zur Steuerschätzung vom vergangenen November können Bund, Länder und Gemeinden mit insgesamt 54,2 Milliarden Euro mehr zwischen 2017 und 2021 rechnen. Die Summe der Steuereinnahmen soll von 732 Milliarden in diesem Jahr auf 852 Milliarden in 2021 wachsen.
Beim Bund könnten die Einnahmen von 308 Milliarden (2017) auf 353 Milliarden (2021) steigen. Der Zuwachs im Vergleich zur vergangenen Schätzung ist hier mit drei Milliarden Euro am geringsten, weil zwischendurch auch Mindereinnahmen wegen einer bereits beschlossenen kleinen Steuerentlastung zu Buche schlagen. Länder und Kommunen dürften bis 2021 dagegen deutlich mehr in den Kassen haben. Während die Länder dieses Jahr 294,8 Milliarden erhalten, sollen es 2021 schon 340 Milliarden sein. Das Plus im Vergleich zur Novemberschätzung beträgt rund 30 Milliarden Euro. Hier macht sich unter anderem die geplante, für sie günstige Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen bemerkbar.
Bruttolöhne steigen an
Der Staat nimmt mehr ein, weil die Wirtschaft gut läuft und die Zahl der Arbeitsplätze steigt. Die Schätzer nehmen an, dass die Bruttolöhne in diesem Jahr um 3,9 Prozent zulegen, deutlich über der Inflationsrate.
Angesichts dieser Lage plädieren Union und FDP dafür, die Steuern zu senken – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Schäuble wirbt für eine Entlastung von rund 15 Milliarden Euro pro Jahr. Laut FDP-Chef Christian Lindner hat die „Gier des Staates kleptokratische Züge angenommen. Angesichts der Mehreinnahmen sind 30 bis 40 Milliarden Euro jährliche Entlastung bis Ende des Jahrzehnts erreichbar.“
Die Grünen betonten die soziale Zielrichtung. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verlangte, die Mehreinnahmen für die Bekämpfung von Armut und Einkommensungleichheit einzusetzen. Mit rund 12 Milliarden Euro Kosten pro Jahr will die Partei eine höhere Kindergrundsicherung und einen Kindergeldbonus einführen.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz erklärte, der Staat müsse mehr in Bildung und Infrastruktur investieren. Alleine den Investitionsstau in den Kommunen beziffert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auf knapp 140 Milliarden Euro. Am kommenden Montag will Schulz einen konkreten Vorschlag für eine Steuerreform machen.