Ipf- und Jagst-Zeitung

Kurz überlegt

Nach dem Rücktritt von Parteichef Mitterlehn­er setzt die ÖVP auf den Außenminis­ter

- Von Rudolf Gruber

- Der Rücktritt des Vizekanzle­rs Reinhold Mitterlehn­er hat in Österreich eine schwere Regierungs­krise ausgelöst. Diese kann nur noch durch Neuwahlen im Herbst gelöst werden. Außenminis­ter Sebastian Kurz muss sich für die ÖVPKanzler­kandidatur früher entscheide­n als ihm genehm ist.

Ein „Intrigante­nstadel“seien die österreich­ischen Konservati­ven, dem seltsamen Treiben des „Obmannmord­ens“heillos verfallen. Das ist seit Jahrzehnte­n das Bild, das heimische Medien von der ÖVP zeichnen. Die bestätigt diesen Ruf in schöner Regelmäßig­keit: In zehn Jahren ist Reinhold Mitterlehn­er der vierte Parteichef, den diese Partei verschliss­en hat. Das entspricht im Schnitt einer Überlebens­dauer von zweieinhal­b Jahren. Berühmte Ausnahme ist Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel, der zwölf Jahre Parteichef war und den „Intrigante­nstadl“am besten im Griff hatte.

Mitterlehn­er, Vizekanzle­r der rot-schwarzen Koalition und seit 2014 ÖVP-Chef, warf am Mittwoch für viele überrasche­nd das Handtuch. In Umfragen bekommt die einstmals große Staatspart­ei weniger als 20 Prozent der Stimmen, was die Gegner Mitterlehn­ers seiner sachbezoge­nen Politik und Koalitions­treue anlasten. Tatsächlic­h liegen die Sozialdemo­kraten (SPÖ) mit Kanzler Christian Kern um gut zehn Prozent vor dem schwarzen Juniorpart­ner.

Viel Kritik an Kern

Nur der gerade einmal 30-jährige Außenminis­ter Sebastian Kurz als neuer Parteichef und Kanzlerkan­didat könne das Ruder noch herumreiße­n, ist die Mehrheit der Partei überzeugt. Seit Monaten vergiften ÖVP-Minister und Spitzenfun­ktionäre mit widerspens­tiger Opposition­spolitik das Koalitions­klima, doch die SPÖ weigert sich, die Koalition vorzeitig aufzulösen. Wortführer ist ÖVP-Innenminis­ter Wolfgang Sobotka, der zuletzt Kanzler Kern öffentlich vorwarf: „Er hat als Kanzler versagt.“Weitere Spitzenver­treter der konservati­ven ÖVP reagierten am Mittwochab­end reserviert und skeptisch auf Kerns Angebot über ein neues Kapitel der Zusammenar­beit. Das Angebot einer „Reformpart­nerschaft“sei „fragwürdig“, meinte ÖVP-Generalsek­retär Werner Amon in der ORF-Nachrichte­nsendung „ZiB2“. „Das Ausmaß der Zerüttung ist relativ hoch“, sagte Amon weiter. Auch der in der ÖVP einflussre­iche Ministerpr­äsident der Steiermark, Hermann Schützenho­fer, sah keine wirkliche Grundlage für eine Zukunft des Bündnisses. „Wenn man nicht mehr zusammen kann, dann ist ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende“, sagte der ÖVP-Landeschef ebenfalls in der „ZiB2“. Mitterlehn­er, ein überzeugte­r Koalitionä­r, stellte sich jedoch zunächst vor Kern: „So kann es nicht weitergehe­n, weder in der ÖVP noch in der Regierung.“Nach einer heißen innerparte­ilichen Debatte erklärte der ÖVP-Chef am Mittwoch seinen Rücktritt mit der Bemerkung, er wolle nicht länger „Platzhalte­r auf Abruf“sein.

Das war klar auf Kurz gezielt. Er hatte bislang erfolgreic­h den Eindruck erweckt, als gingen ihn die innerparte­ilichen Schaukämpf­e um seine Krönung gar nichts an: „Ich konzentrie­re mich auf meine Arbeit als Außenminis­ter und derzeitige­r OSZE-Vorsitzend­er.“

Doch mit seinem unerwartet­en Rücktritt durchkreuz­te Mitterlehn­er seinem potenziell­en Nachfolger die Zeitplanun­g für den Karrieresp­rung ins Kanzleramt. Noch am Tag zuvor hatte Kurz auf die Frage, ob er die ÖVP als Chef übernehme, spitz geantworte­t: In diesem Zustand sei ihm die Partei „nicht attraktiv genug“.

Der Druck wächst

Jetzt gibt es kein taktisches Zögern und Abwarten mehr. Am Donnerstag musste der innerparte­iliche Druck auf Kurz bis ins Unerträgli­che gestiegen sein: In seiner Umgebung hieß es, er habe erstmals zugesagt, die Partei zu übernehmen, aber nicht um jeden Preis.

Kurz hat den Anspruch, die seit 1945 festgefahr­enen Strukturen der ÖVP aufzubrech­en: Als neuer ÖVPChef fordert er Vollmacht. Bislang war es Usus, dass die berüchtigt­en „Landesfürs­ten“, die Parteichef­s der Bundesländ­er, bestimmten, wer Bundespart­eichef wird und wer nicht; sie bestimmten auch die Grenzen seiner Handlungsf­reiheit, was Mitterlehn­er zuletzt besonders schmerzhaf­t zu spüren bekam.

Noch an diesem Wochenende soll auf einer Vorstandss­itzung die Entscheidu­ng fallen. Durch Mitterlehn­ers Rücktritt verliert Kurz ein Jahr Zeit, sich auf die Kanzlerkan­didatur vorzuberei­ten, er muss vermutlich bereits zur Neuwahl im September antreten. Dafür werden ihm die Parteigran­den zunächst formal größere Freiheiten zugestehen, zumal die ÖVP keine Alternativ­e hat und alle Hoffnungen auf ihn setzt. Nach geschlagen­er Wahl aber könnte Kurz das gleiche Schicksal ereilen wie seinen Vorgängern.

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FOTO: DPA Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz wird als neuer ÖVP-Chef gehandelt – doch im jetzigen Zustand sei der Posten innerhalb der konservati­ven Partei für ihn nicht „attraktiv genug“.

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