Oettingers ungewisse Zukunft
Nach vier Monaten Bedenkzeit hat die bulgarische Regierung eine Nachfolgerin für die zur Weltbank gewechselten Haushaltskomissarin Kristalina Georgiewa ernannt. Deren Funktionen hatte im Januar der deutsche Kommissar und Ex-Ministerpräsident Baden-Württembergs, Günther Oettinger, übernommen. Sein Digitalressort war seither verwaist.
Das fiel nicht weiter auf, da Kommissionschef Jean-Claude Juncker diesen Bereich zusätzlich einem seiner Vizepräsidenten übertragen hatte, dem Esten Andris Ansip. Ob Juncker, wie angedacht, Oettinger nun zu einem der Vizepräsidenten der EU-Kommission macht, bleibt weiterhin unklar. Mit der neuen bulgarischen Kommissarin Mariya Gabriel rücken Oettingers Angelegenheiten wieder in den Vordergrund. Georgiewa war eine der acht Stellvertreter Junckers gewesen. Beobachter hatten vermutet, dass Oettinger sie auch in dieser Funktion beerben werde. Aber dann kamen „Schlitzaugengate“und „Orbángate“. In lockerem Ton hatte Oettinger im Oktober vor Unternehmern davor gewarnt, dass „Schlitzohren und Schlitzaugen das Geschäft machen“, wenn die EU keine Freihandelsabkommen zustande bringen würde.
Kurz darauf kam heraus, dass der CDU-Politiker im Mai 2016 mit dem Privatjet des russischen Honorarkonsuls Klaus Mangold zu einem Treffen mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán geflogen war. Anders habe er seine Termine nicht einhalten können, sagte Oettinger zu seiner Rechtfertigung. Die Anhörung im Europaparlament überstand der Schwabe trotz dieser Skandale. Doch von der Beförderung zum Vizepräsidenten war nicht mehr die Rede.
Eine späte Erkenntnis
Juncker hatte die EU-Kommission bei seinem Amtsantritt radikal umorganisiert. Neben seinem Hauptvertreter Frans Timmermans und der außenpolitischen Beauftragten Federica Mogherini ernannte er für die wichtigsten Politikfelder seines Programms sechs Frauen und Männer, die die Arbeit koordinieren und voranbringen sollten. Diese neue Arbeitsteilung wurde zunächst skeptisch beurteilt, funktioniert aber erstaunlich gut. Oettinger, der nach seiner Ernennung zum Digitalkommissar stets erklärt hatte, er ziehe diesen Job mit zugehörigem Beamtenapparat einem Vizepräsidentenposten vor, scheint seine Meinung dazu geändert zu haben.
Für Oettinger kommt diese Erkenntnis aber wohl zu spät. Er hat durch lockere Sprüche Publicity erlangt, die im multikulturellen Brüsseler Umfeld nicht gut ankommt. Oettinger ist weder ein Rassist noch ein Frauenfeind. Doch manche Pointe, die im intimen Kreis richtig verstanden wird, wirkt aus dem Kontext gerissen irritierend. Da Vizepräsidenten auch die Aufgabe haben, an Junckers Stelle die Brüsseler Institution zu repräsentieren, will der Chef sich nicht dadurch Ärger einhandeln, dass sein schwäbischer Teamkollege sein loses Mundwerk nicht immer unter Kontrolle hat.