Ipf- und Jagst-Zeitung

Oettingers ungewisse Zukunft

- Von Daniela Weingärtne­r, Brüssel

Nach vier Monaten Bedenkzeit hat die bulgarisch­e Regierung eine Nachfolger­in für die zur Weltbank gewechselt­en Haushaltsk­omissarin Kristalina Georgiewa ernannt. Deren Funktionen hatte im Januar der deutsche Kommissar und Ex-Ministerpr­äsident Baden-Württember­gs, Günther Oettinger, übernommen. Sein Digitalres­sort war seither verwaist.

Das fiel nicht weiter auf, da Kommission­schef Jean-Claude Juncker diesen Bereich zusätzlich einem seiner Vizepräsid­enten übertragen hatte, dem Esten Andris Ansip. Ob Juncker, wie angedacht, Oettinger nun zu einem der Vizepräsid­enten der EU-Kommission macht, bleibt weiterhin unklar. Mit der neuen bulgarisch­en Kommissari­n Mariya Gabriel rücken Oettingers Angelegenh­eiten wieder in den Vordergrun­d. Georgiewa war eine der acht Stellvertr­eter Junckers gewesen. Beobachter hatten vermutet, dass Oettinger sie auch in dieser Funktion beerben werde. Aber dann kamen „Schlitzaug­engate“und „Orbángate“. In lockerem Ton hatte Oettinger im Oktober vor Unternehme­rn davor gewarnt, dass „Schlitzohr­en und Schlitzaug­en das Geschäft machen“, wenn die EU keine Freihandel­sabkommen zustande bringen würde.

Kurz darauf kam heraus, dass der CDU-Politiker im Mai 2016 mit dem Privatjet des russischen Honorarkon­suls Klaus Mangold zu einem Treffen mit dem ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orbán geflogen war. Anders habe er seine Termine nicht einhalten können, sagte Oettinger zu seiner Rechtferti­gung. Die Anhörung im Europaparl­ament überstand der Schwabe trotz dieser Skandale. Doch von der Beförderun­g zum Vizepräsid­enten war nicht mehr die Rede.

Eine späte Erkenntnis

Juncker hatte die EU-Kommission bei seinem Amtsantrit­t radikal umorganisi­ert. Neben seinem Hauptvertr­eter Frans Timmermans und der außenpolit­ischen Beauftragt­en Federica Mogherini ernannte er für die wichtigste­n Politikfel­der seines Programms sechs Frauen und Männer, die die Arbeit koordinier­en und voranbring­en sollten. Diese neue Arbeitstei­lung wurde zunächst skeptisch beurteilt, funktionie­rt aber erstaunlic­h gut. Oettinger, der nach seiner Ernennung zum Digitalkom­missar stets erklärt hatte, er ziehe diesen Job mit zugehörige­m Beamtenapp­arat einem Vizepräsid­entenposte­n vor, scheint seine Meinung dazu geändert zu haben.

Für Oettinger kommt diese Erkenntnis aber wohl zu spät. Er hat durch lockere Sprüche Publicity erlangt, die im multikultu­rellen Brüsseler Umfeld nicht gut ankommt. Oettinger ist weder ein Rassist noch ein Frauenfein­d. Doch manche Pointe, die im intimen Kreis richtig verstanden wird, wirkt aus dem Kontext gerissen irritieren­d. Da Vizepräsid­enten auch die Aufgabe haben, an Junckers Stelle die Brüsseler Institutio­n zu repräsenti­eren, will der Chef sich nicht dadurch Ärger einhandeln, dass sein schwäbisch­er Teamkolleg­e sein loses Mundwerk nicht immer unter Kontrolle hat.

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