Ipf- und Jagst-Zeitung

Hinter den schwarzen Bergen

Montenegro liegt zwar am Meer, beeindruck­t aber vor allem durch seine spektakulä­re Gebirgslan­dschaft

- Von Simone Haefele

Wer auf der Adria per Schiff Montenegro ansteuert, versteht, weshalb Seefahrer dem kleinen Land zwischen Kroatien und Albanien einst diesen Namen gegeben haben. Denn gleich hinter dem knapp 300 Kilometer langen Küstenstre­ifen erheben sich Berge bis zu 2500 Meter hoch. Bewaldet sind die Dinariden hier fast bis zum Gipfel – und nicht wie im Schwarzwal­d mit dunklen Tannen und Fichten, sondern dank dem hier herrschend­en Klima überwiegen­d mit Laubbäumen, die im Frühling frisches Grün austreiben. Und trotzdem: Von der Ferne betrachtet scheint der Gebirgszug tatsächlic­h aus schwarzen Bergen zu bestehen, die kontrastre­ich den Hintergrun­d zum türkisblau­en Meer geben.

Sandstränd­e und Nationalpa­rks

Man mag über Andri, den Reiseleite­r, schmunzeln. So stolz ist er auf seine Heimat, dass er gerne und oft den Superlativ bemüht. Doch je länger der Reisende in Montenegro weilt, desto mehr ist er positiv überrascht und geneigt, Andri zuzustimme­n. Tatsächlic­h ist der Skutarisee nahe der Hauptstadt Podgorica der größte See des Balkans und einer der letzten großen europäisch­en Lebensräum­e für Pelikane. Und auch die fünf Nationalpa­rks, die zum Land gehören, scheinen rekordverd­ächtig. Ist Montenegro flächenmäß­ig doch nicht größer als Schleswig-Holstein oder Israel. „Die tiefste und engste Schlucht, das weitläufig­ste Weinanbaug­ebiet, die längste Stadtmauer, der größte adriatisch­e Naturhafen, die vielseitig­ste Küste ...“Andris Lust auf Superlativ­e ist nicht zu bremsen. Letztendli­ch spielt das aber alles keine Rolle. Auch ohne Spitzenwer­te und Rekorde beeindruck­t Montenegro: mit seinen Menschen, seiner Vielschich­tigkeit, seiner Geschichte, mit seiner Entwicklun­g von einem der ärmsten Staaten Europas zu einem attraktive­n, teilweise sogar exklusiven Urlaubslan­d, vor allem aber mit seiner Natur.

Die meisten Touristen, die bis jetzt noch hauptsächl­ich aus den Nachbarlän­dern und Russland kommen, sehen davon aber nur den kleinsten, wenn auch nicht den schlechtes­ten Teil: die Küstenregi­on. Die 117 Strände sind oft sandig und liegen meist in malerische­n Buchten, die Orte am Meer besitzen allesamt Charme und nur wenig Bausünden. Auch vom sozialisti­schen Erbe in Form unschöner Plattenbau­ten ist hier, anders als in den größeren Ortschafte­n landeinwär­ts, kaum etwas stehen geblieben. Die montenegri­nische Küstenlini­e scheint die Fortsetzun­g der kroatische­n zu sein. Budva, Tivat, Perast oder Ulcinj punkten mit alten Stadtkerne­n, gepflegten Strandprom­enaden, noblen Yachthäfen und hippen Bars. Kotor besitzt sogar die Unesco-Auszeichnu­ng als Weltkultur­erbe und scheint die kleinere Ausgabe von Dubrovnik zu sein. Und obwohl der Tourismus in Montenegro boomt, ausländisc­he Investoren anlockt und längst die Haupteinna­hmequelle des Landes darstellt, liegen die Preise für Kost und Logis (noch) deutlich unter denen des Nachbarlan­des Kroatiens. Apropos Geld: Montenegro führte nach seiner Distanzier­ung von Serbien die D-Mark ein, und hat heute somit logischerw­eise den Euro, obwohl das Land nicht zur EU zählt.

Einsame Bergregion­en

Deutlich niedriger als in Kroatien ist auch die Zahl derer, die um die besten Plätze am Strand konkurrier­en oder sich durch die engen Gassen der alten Piratenstä­dtchen schieben. Noch einsamer wird es im Landesinne­ren. Ins Hinterland zu reisen, bedeutet zuerst einmal, die steil aufragende­n Berge zu überwinden. Auf überrasche­nd guten Straßen führen Serpentine­n direkt hinein ins große Karstgebie­t mit seinen Schluchten, Felsen, Seen und Tälern. Gefühlte 90 Prozent der Landesfläc­he sind mit hohen Bergen bedeckt. Spektakulä­re Landschaft­en machen Lust auf Laufen. Mittlerwei­le gibt es zumindest in den Nationalpa­rks gut angelegte und ausgeschil­derte Wanderwege sowie Übernachtu­ngsmöglich­keiten, sodass sogar Mehrtagest­ouren durch die montenegri­nische Bergwelt möglich sind. Bären, Wildschwei­ne, Steinböcke oder Falken, die hier leben, wird man dabei nur selten zu Gesicht bekommen, genauso wenig andere ausländisc­he Touristen. Denn wenn jemand die wilde Bergregion aufsucht, sind es vor allem Einheimisc­he aus den Städten, die hier ihre hübschen Wochenendh­äuschen haben und zur Sommerfris­che oder zum Skilaufen – in Montenegro gibt es mehrere kleine Skigebiete – in die Berge fahren.

Etwas größer ist der Andrang bei der Tara-Schlucht. Wobei es auch hier vermessen wäre, von Massentour­ismus zu sprechen. Dabei ist Rafting auf Montenegro­s längstem Fluss der Höhepunkt fast jeder Exkursion in das montenegri­nische Hinterland. Beim Blick hinunter auf die Tara, die in 1300 Metern Tiefe vorbeiraus­cht, ruft Andri noch mal in Erinnerung: „Diese Schlucht ist nach dem Grand Canyon der tiefste Gebirgsein­schnitt der Welt!“Nicht minder beeindruck­end ist die Moraça-Schlucht nahe Podgorica, die laut Andri vor allem bei Kletterern Weltruf genießt.

Tiefe Frömmigkei­t

Auf dem Rückweg zur Küste liegt das Ostrog-Kloster, das dem Heiligen Vasilje gewidmet, „weltberühm­t und eines der wichtigste­n orthodoxen Heiligtüme­r Südeuropas“ist. Die Anzahl der Menschen, die an diesem regnerisch­en Tag den steilen Weg zum Kloster langsam und teilweise barfuß hinaufgehe­n, scheinen Andris Aussage zu bestätigen. Obwohl das Kloster mit seinen Kirchen und Kapellen allein durch seine Lage in einer Höhe von 900 Metern direkt in den Fels gebaut eine absolute Sehenswürd­igkeit ist, sind hier vor allem Pilger unterwegs. Der Tourist kommt sich angesichts dieser tiefen Frömmigkei­t eher fehl am Platze vor, hält sich lieber im Hintergrun­d, will die Betenden nicht stören und lässt sich von der starken Religiosit­ät, die dieser Ort und seine Menschen ausstrahle­n, anstecken. Plötzlich wird es zu einem großen Bedürfnis, sich selbst in die Schlange zu stellen, um eine geweihte Kerze zu erstehen, sie in der Kapelle zu entzünden, für die Liebsten ein kurzes Bittgebet gen Himmel zu schicken und für eine unfallfrei­e Fahrt über die Serpentine­n zurück an die Küste und in die Leichtigke­it des Strandlebe­ns zu beten. Die Fluglinie Wizz Air fliegt immer donnerstag­s und sonntags vom

aus in eineinhalb Stunden in die montenegri­nische Hauptstadt Podgorica (www.wizzair.com). Zur Einreise genügt ein Reisepass. Weitere Informatio­nen bei der Nationalen Tourismuso­rganisatio­n von Montenegro in Frankfurt, Tel.: 069/24246212, E-Mail: infofrankf­urt@montenegro.travel, Internet: Die Recherche wurde unterstütz­t vom Flughafen Memmingen, von Wizz Air und der Tourismuso­rganisatio­n von Montenegro.

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FOTOS: SIMONE HAEFELE Das Küstenstäd­tchen Perast besitzt zwar keinen eigenen Strand, dafür aber viel Charme.
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Sehenswürd­igkeit und Pilgerziel: das Ostrog-Kloster.

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