Feste Gruppe war gestern
Im Jagstzeller Kindergarten gibt es jetzt offene Bildungsbereiche
- Für die Kinder ist es gar keine große Sache gewesen, für manche Eltern dagegen schon: die Einführung des neuen pädagogischen Konzeptes im Kindergarten Sankt Vinzenz in Jagstzell. Seit September 2016 gibt es hier keine festen Gruppen mehr, stattdessen werden die aktuell 78 Kinder nun in sogenannten offenen Bildungsbereichen betreut. Spielen, Singen, Turnen, kreatives Gestalten, Experimentieren oder auch Musizieren stehen täglich auf dem Programm. Die Kinder entscheiden selbst, was, wie und mit wem sie ihre Zeit verbringen möchte.
„Wir haben damit das Rad in Jagstzell nicht neu erfunden“, betonen Kindergartenleiterin Simone Kuhn und ihre Stellvertreterin Nina Wagner. Offene Bildungsbereiche in Kindergärten gebe es in deutschen Kindergärten schon seit längerem. Gleichwohl sei die Einführung dieses Konzepts für den Kindergarten Jagstzell eine große Umstellung und ein großer Schritt gewesen. Nicht nur, dass die Räume für dieses Konzept entsprechend umgeräumt und vorbereitet werden mussten, es galt auch Widerstände zu überwinden. Nicht alle hätten mit dieser Art der Kinderbetreuung vom Fleck weg etwas anfangen können, erzählt Kuhn.
Die anfängliche Skepsis habe sich dann aber zum Glück sehr schnell gelegt. Das Feedback, das jetzt von den Eltern zurückkomme, sei durchweg positiv, berichtet die Jagstzeller Kindergartenleiterin.
Kinder blühen regelrecht auf
Und nicht nur die Eltern seien mittlerweile überzeugt. Auch diejenigen, die das neue Konzept in der Hauptsache mittragen müssen, die Kinder, kämen mit dieser neuen, weniger starren Art der Betreuung bestens zurecht, berichten Kuhn und Wagner übereinstimmend. Viele Kinder blühten regelrecht auf, was letztlich auch die Arbeit für die Erzieherinnen deutlich interessanter und spannender mache. „Wir werden viel mehr gefragt, die Kinder sind mit einer viel größeren Motivation bei der Sache, das ist eine ganz tolle Entwicklung“, findet Nina Wagner. Die Erzieherinnen setzten in den verschiedenen Bildungsbereichen praktisch nur noch die Impulse, die Kinder erledigten dann den Rest. Und das zumeist mit großer Begeisterung. Deshalb wünsche sich auch keine der Kolleginnen das alte, starre Gruppensystem wieder zurück.
Im neuen Jagstzeller Kindergarten entscheiden tatsächlich die Kinder, auf welchen Bildungsbereich und auf welchen Erzieher sie Lust haben. Die Drei- bis Sechsjährigen können wählen zwischen dem Atelier, dem Bewegungsland, der Forscherwelt, der Klangwerkstatt, der Küche, dem Bauland, dem Theaterraum, der Bibliothek oder dem Garten. Und nicht zu vergessen, dem Bistro, das die Kleinen nun nicht mehr zu festen (vorgeschriebenen) Zeiten gemeinsam mit ihrer Gruppe aufsuchen müssen. Stattdessen vespern sie, wenn der Hunger kommt.
Auch wenn es ans Basteln geht, hat die freie, kreative Entfaltung der Kinder oberste Priorität. Kürzlich stand Nähen auf dem Plan. Was genäht wurde, durften die Kinder entscheiden. Und so entstand – neben Kuschelkissen, Rock und Hut – auch ein selbst genähter BH. „Wir werden hier praktisch jeden Tag von den Kindern überrascht. Das neue Konzept fordert sie, es fördert sie aber auch“, ist Kuhn überzeugt, die mit der Einführung des offenen Konzeptes die frühkindliche Bildung im Kindergarten deutlich voranbringen will. Daneben sollen den Kindern aber auch frühzeitig Werte wie Anstand und Respekt vermittelt werden. Simone Kuhn verweist in diesem Zuge auf den kirchlichen Träger des Kindergartens, der das neue Konzept von Beginn an mitgetragen habe.