Ipf- und Jagst-Zeitung

Aufbruchst­immung an der Croisette

Arnaud Desplechin­s „Les Fantômes d’Ismaël“eröffnet die 70. Filmfestsp­iele von Cannes

- Von Rüdiger Suchsland

- Charlotte Gainsbourg, Marion Cotillard und Mathieu Amalric, nicht zu vergessen Monica Belluci, die die feierliche Gala zur Eröffnung der 70. Jubiläumsa­usgabe der Filmfestsp­iele von Cannes moderierte: Unter dem Blitzlicht­gewitter der Fotografen betraten sie und die über 1000 Gäste den roten Teppich mit seinen 24 Stufen das Festivalpa­lais von Cannes. Es war nicht nur der Festivalau­ftakt, sondern auch eine große Selbstfeie­r des Autorenkin­os, als dessen Heimat sich Frankreich seit jeher fühlt. Die „siebte Kunst“nennt man das Kino hier, ein Lebenselix­ier, das so pathetisch wie optimistis­ch bejubelt wird.

Auch der Eröffnungs­film wurde zu einer Hommage auf das Kino, nicht nur in Frankreich. Stars, Spaß, Ironie und tiefere Bedeutung: „Les Fantômes d’Ismaël“(„Ismaels Geister“) von Arnaud Desplechin ist ein Film, der vielen etwas zu bieten hat. Feingeiste­r können sich an Verweisen auf Philosophi­e und die europäisch­e Kunstgesch­ichte erfreuen, für jene, die gröbere Kinokost bevorzugen, gibt es Sex, auch Nacktszene­n mit Marion Cotillard. Außerdem Liebe, großes Drama und Anleihen aus Spionagefi­lm und Psychothri­ller.

Im Zentrum des Films steht Filmregiss­eur Ismaël (Mathieu Amalric), der mit Sylvia liiert ist, einer Astrophysi­kerin (Charlotte Gainsbourg). Eines Tages taucht aus dem Nichts Carlotta (Marion Cotillard) wieder auf, Ismaels Ehefrau, die vor 21 Jahren spurlos verschwand und inzwischen für tot erklärt wurde. Für ihre Abwesenhei­t hat sie nur vage Erklärunge­n, jetzt aber will sie den Mann zurück, der sie nie ganz vergessen konnte. Es ist die Wiederkehr des Nichtverdr­ängten.

So entspinnt sich eine turbulente Dreiecksge­schichte, in der der Mann zwischen zwei Frauen steht, sich gewisserma­ßen zwischen Gegenwart und Vergangenh­eit entscheide­n muss. Der Film mischt Melodram und Komödie, erinnert in seinem Dialogwitz stellenwei­se an Woody Allen. „Wir wollten uns immer verlassen, aber nie beide zur selben Zeit“, erzählt Ismael einmal über seine Ex-Frau. „Und es war praktisch: Es war immer jemand da, der ans Telefon ging.“Zusätzlich­en Schwung bringt die Film-im-Film-Handlung, in der Regisseur Ismaël in Alpträumen von seinen Filmfigure­n heimgesuch­t wird.

Besonders glänzt die Besetzung. Cotillard spielt eine entsetzlic­he Figur, Amalric einen immer gestresste­n, psychisch labilen Künstler. Der beste Part aber ist der von Charlotte Gainsbourg. Sie bildet das emotionale Zentrum des Films, der seine Figuren mag, aber sie und ihre sonderbare­n Gefühle nie über Gebühr ernst nimmt.

Deutscher Beitrag von Fatih Akin

Während dieser Film außer Konkurrenz läuft, wetteifern ab heute an der Croisette 19 Filme um die Goldene Palme und die weiteren Preise. Darunter auch ein deutscher Beitrag. „Aus dem Nichts“von Fatih Akin, sowie „Happy End“von Michael Haneke. Der Österreich­er könnte seine dritte Goldene Palme gewinnen, was bisher noch keinem Regisseur gelungen ist. Zu jenen, deren Werke man in diesem Jahr mit besonderer Spannung erwartet, gehört auch Sofia Coppola. Vor 11 Jahren war sie erstmals im Wettbewerb mit „Marie Antoinette“. „Die Verführten“heißt ihr neuer, zweiter Wettbewerb­sbeitrag.

Doch auch dieses Zentrum der Filmkunst ächzt unter dem Druck des Kommerz. Drei Filme des US-Internet-Studios Netflix haben als Fernsehfil­me keinen französisc­hen Verleih, was in den Regularien nicht vorgesehen ist. Diese Regularien sollen für 2018 verschärft werden. Auch vom Eröffnungs­film existieren schon heute zwei Fassungen. Die für Cannes nennt Desplechin die „version française“, sie dauert knapp zwei Stunden. Die 20 Minuten längere „version originale“läuft ab nächster Woche in ausgewählt­en Kinos.

Gefeiert wird aber in den nächsten Tagen in jedem Fall. Mit der Wahl des Soziallibe­ralen Emmanuel Macron zum Präsidente­n geht ein spürbarer Stimmungsa­ufschwung durch Frankreich. Die Ängste scheinen zumindest in Cannes zunächst verflogen, in Frankreich stehen die Zeichen auf Aufbruch.

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FOTO: DPA Die Jurymitgli­eder Will Smith, Jessica Chastain und Pedro Almodovar (von links) sind zur Eröffnung der Filmfestsp­iele in Cannes eingetroff­en. Der spanische Regisseur Almodovar ist Vorsitzend­er der neunköpfig­en Jury, der auch die deutsche Regisseuri­n...

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