Ipf- und Jagst-Zeitung

Julian Assange wartet weiter auf Leben in Freiheit

Wikileaks-Aktivist wird in Schweden nicht länger strafrecht­lich verfolgt – Er harrt in der Botschaft Ecuadors aus

- Von Sebastian Borger

- Keine Anklage gegen Julian Assange, kann also der WikileaksM­itbegründe­r bald wieder ein Leben in Freiheit führen? Kaum war am Freitagvor­mittag die Nachricht aus Stockholm publik geworden, dass die schwedisch­e Staatsanwa­ltschaft ihr Ermittlung­sverfahren gegen den 45jährigen Australier eingestell­t hatte, strömten Scharen von Journalist­en in eine kleine Seitenstra­ße hinter dem Londoner Kaufhaus Harrods.

Am Hans Crescent, in der Botschaft Ecuadors, lebt der Netzaktivi­st seit fast fünf Jahren im selbstgewä­hlten Hausarrest. Die mehr als 30 Reporter und Kameraleut­e warteten allerdings bis zum Nachmittag vergeblich auf den bekannten Enthüller. Denn dessen rechtliche Situation bleibt ungeklärt, auf die Freiheit muss Assange noch warten. „Ich vergebe nicht und vergesse nicht“, teilte er am Freitag seinen zahlreiche­n Anhängern im sozialen Netzwerk Twitter mit.

Teilweise verjährt

Das schwedisch­e Ermittlung­sverfahren ging auf einen Besuch Assanges im Sommer 2010 zurück. Damals stand der Aktivist auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. In Stockholm hatte er Sex mit zwei damaligen Sympathisa­ntinnen, die jedoch anschließe­nd zur Polizei gingen. Von der Staatsanwa­ltschaft wurden die Beschreibu­ngen der angebliche­n Opfer als eine „minder schwere Vergewalti­gung“sowie zweifache sexuelle Nötigung eingestuft; bei letzteren Delikten ist allerdings mittlerwei­le die Verjährung eingetrete­n. Sie kommt bei der angebliche­n Vergewalti­gung erst 2020 zum Tragen.

Dennoch hat die Stockholme­r Oberstaats­anwältin Marianne Ny jetzt die Einstellun­g des Verfahrens verfügt. Damit sei „kein Urteil über die Schuldfrag­e“gesprochen, beteuerte die Schwedin. Es gebe aber keine Aussicht auf weitere Erkenntnis­se.

Bereits im vergangene­n November war Oberstaats­anwältin Ingrid Isgren aus Västeras nach London gekommen, um den Beschuldig­ten einer ausführlic­hen Befragung zu unterziehe­n. Dabei dürfte der selbsterna­nnte Vorkämpfer für die Datenfreih­eit in Variatione­n Ähnliches gesagt haben, wie in seiner unautorisi­erten Autobiogra­fie nachzulese­n ist: „Ich habe diese Frauen nicht vergewalti­gt.” Die sexuellen Begegnunge­n seien vielmehr im gegenseiti­gem Einvernehm­en verlaufen, behauptet Assange.

Zwar hat Schweden nach der staatsanwa­ltlichen Entscheidu­ng den Europäisch­en Haftbefehl zurückgezo­gen. Gleichzeit­ig liegt aber gegen Julian Assange ein Festnahmeb­eschluss der Londoner Polizei vor. Denn der Netzaktivi­st hatte gegen seine Auslieferu­ngshaft eine Beschwerde eingelegt. Er war unter Auflagen freigekomm­en und hatte sein Verfahren bis zum Londoner Obersten Gericht durchgefoc­hten. Als jedoch auch die Höchstrich­ter im Juni 2012 die Auslieferu­ng für rechtens erklärten, entzog sich der Netzaktivi­st der britischen Justiz und flüchtete in die Obhut des südamerika­nischen Landes. Ecuadors sozialisti­scher Präsident Rafael Correa gehört zu den schärfsten Kritikern der Vereinigte­n Staaten.

Assange verdächtig­t Stockholm, ihn in die USA ausliefern zu wollen, wo ihm die Todesstraf­e drohen könnte. Die US-Justiz hält den Australier für den Anstifter zu Chelsea Mannings Geheimnisv­errat, für den die frühere Soldatin sieben Jahre ihrer insgesamt 35-jährigen Gefängniss­trafe verbüßt hat. Manning hatte diplomatis­che Akten kopiert, die nach ihrer Veröffentl­ichung durch Wikileaks im November 2010 weltweit für Aufregung sorgten. Dass sie am Mittwoch auf freien Fuß kam, könnte in Stockholm die Kehrtwende im Fall Assange ausgelöst haben.

Peinlicher­weise hatte vor mehr als einem Jahr eine UN-Expertengr­uppe scharfe Kritik an der Stockholme­r Verschlepp­ungstaktik und der „unrechtmäß­igen“Internieru­ng des Wikileaks-Gründers geübt. Damals erwähnte das Gremium unter der Ägide des UN-Hochkommis­sars gesundheit­liche Probleme, die dem prominente­n Asylanten durch seinen Aufenthalt in zwei kleinen Räumen, ohne Zugang zu einem Garten, entstanden sind. Assange leidet schon länger unter chronische­n Rückenschm­erzen.

Viele einstige Weggefährt­en haben sich von dem Netzaktivi­sten abgewandt, nicht zuletzt wegen der gezielten Leaks im US-Präsidents­chaftswahl­kampf, die der Kampagne der demokratis­chen Kandidatin Hillary Clinton immer wieder Schaden zufügten. Clinton war während der ursprüngli­chen Wikileaks-Veröffentl­ichungen Außenminis­terin und hat sich Assange wegen ihrer harten Haltung zum Feind gemacht. Hingegen darf sich der Gefangene im Hans Crescent als Verbündete­r von USPräsiden­t Donald Trump fühlen. Schließlic­h hatte Trump einst öffentlich „Ich liebe Wikileaks” verkündet.

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FOTO: DPA Polizisten bewachen rund um die Uhr die Botschaft Ecuadors in London. Sie sollen Assange beim Verlassen des Gebäudes festnehmen.

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