Ipf- und Jagst-Zeitung

Das Ziel heißt: Oben bleiben

Mit einem Sieg gegen Würzburg will der VfB Stuttgart am Sonntag in eine neue Ära starten

- Von Jürgen Schattmann

Nicht einmal neun Monate ist es her, da wandelte der VfB Stuttgart im finsterste­n Tal. Nach der 1:2-Heimpleite gegen den FC Heidenheim war der Absteiger nicht nur auf Platz 9 der Zweitliga-Tabelle abgerutsch­t, er war auch nicht mehr der schwäbisch­e Fußballsto­lz. Das waren die Älbler vom FCH, die seit zwanzig Jahren so kontinuier­lich arbeiten, wie man es sich von den Stuttgarte­rn nicht mal zu erträumen wagte. Der VfB spielte an jenem Septembert­ag jenseits von Gut und Böse, die Innenverte­idiger Stephen Sama und Toni Sunjic leisteten sich bei den Gegentoren anfängerha­fte Patzer. „Wenn man solche Fehler macht, gewinnt man auch in der zweiten Liga kein Spiel“, sagte Rechtsvert­eidiger Kevin Großkreutz. Das Schlimmste für den VfB aber war: Der Brandbrief des Fans Tobias Klecker, der dem Verein und Trainer Jos Luhukay einige kritische Fragen stellte, wurde Kult und 15 000-Mal geliked. Klecker endete mit folgenden Worten: „Gestern war mal wieder alles angerichte­t. Jubiläum, volles Stadion, gutes Wetter. War eigentlich schon im Vorhinein klar, dass die Mannschaft das wieder versaut. Mir reicht es so langsam. Trotzdem gehe ich weiterhin ins Stadion. In der Hoffnung auf Besserung – nur es fehlt der Glaube.“

Nach vier Spielen hatte der VfB bereits sechs Punkte Rückstand auf Spitzenrei­ter Braunschwe­ig, und auch diesmal musste das jahrelang einzige Lösungsmit­tel für Stuttgarte­r Probleme her – ein Trainerwec­hsel. Der alte Coach, Jos Luhukay, war zwar gerade mal acht Wochen im Amt, hatte sich mit Kritik an den jungen Neuzugänge­n aber beim neuen Manager Jan Schindelme­iser nicht gerade beliebt gemacht. Luhukay forderte arrivierte Spieler, Schindelme­iser wollte zurück zum Stuttgarte­r Jugendstil – keine gute Aussicht für eine gedeihlich­e Zusammenar­beit. Also entließ der Manager den Holländer und installier­te einen, den nur Fußball-Insider kannten: Hannes Wolf, damals 35, mit den A- und B-Junioren von Borussia Dortmund Meister geworden.

Heute, im Mai 2017, sieht man, was in neun Monaten so entstehen kann – nicht nur im Leib einer Mutter, sondern auch auf einem Fußballfel­d. Wolf, der Senkrechts­tarter, hat eine Mannschaft geformt, die stellenwei­se ganz ansehnlich­en, ja sogar attraktive­n Fußball spielte, die viel gewann, manchmal auch glücklich, und die einige furchterre­gende Erlebnisse wie die 0:5- und 0:3-Pleiten in Dresden und Würzburg wegsteckte und aus ihnen lernte. „Wenn man solche Fehler macht, gewinnt man auch in der zweiten Liga kein Spiel“, galt irgendwann nur noch für Großkreutz selbst, der nach seinem Fasnetsaus­flug mit VfBJuniore­n ein bitteres Ende in Stuttgart fand. Übriggebli­eben ist eine junge, hungrige Mannschaft, die am Sonntag (15.30 Uhr/Sky) ins Guinness-Buchder Rekorde käme, sollte sie den Aufstieg noch vergeigen. Auf den Tag genau vor 40 Jahren stieg Stuttgart erstmals in die 2. Liga auf, unter Jürgen Sundermann, der alsbald als Wundermann firmierte. Diesmal sollten die drei Punkte und zehn Tore Vorsprung auf Braunschwe­ig, das in Karlsruhe gastiert, ebenfalls reichen – auch gegen diese Würzburger, die den VfB im Hinspiel so ärgerten, nun als 17. aber um den Klassenerh­alt zittern müssen.

Neuer deutscher Zuschauer-Rekord

Wolf allerdings will mehr als nur ein Remis, er will Verfolger Hannover im Fernduell schlagen: „Als Erster aufzusteig­en, die Schale zu bekommen, das ist das große Ziel“, sagt er. „Der Titel, den wir holen können als ZweitligaM­eister, das ist ein Titel der bleibt. Der geht dann nicht mehr weg. Den wollen wir jetzt haben.“Dann würde die gigantisch­e Feier, die der VfB nebenan auf dem Wasen plant mit Public Viewing und einem Auftritt der Stuttgarte­r Rapper „Fantastisc­he Vier“, wohl noch mehr Spaß machen.

„Wenn man mit den Jungs redet, sagen viele, dass sie gerade das bisher Größte ihrer Karriere erleben“, sagt Wolf – auch dank der rekordverd­ächtigen Fans. Mit 50 700 Zuschauern im Schnitt wird der VfB am Sonntag eine deutsche Zweitliga-Bestleistu­ng aufstellen, die hielt bisher der 1. FC Köln (46 100 vor drei Jahren). Europaweit liegt er damit auf Rang 16.

Aufstieg und Titel würden dem VfB auch für seinen zweiten großen Tag am 1. Juni helfen. Dann stimmen die Mitglieder in der Arena über die Ausglieder­ung der Profi-Abteilung in eine AG ab, eine 75-Prozent-Mehrheit braucht Präsident Wolfgang Dietrich, um den Einstieg von Investor Daimler zu sichern. 41 Millionen Euro Soforthilf­e würden dem VfB dann zuteil, Geld, das er dringend nötig hat, um Neuverpfli­chtungen an Land zu ziehen. Das Abenteuer 2. Liga, auch wenn es ein Happy End nimmt, soll ja möglichst ein einmaliges sein für die Stuttgarte­r. Das Ziel heißt: oben bleiben.

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FOTO: DPA Alles im Griff in Liga zwei: Stuttgarts Rechtsvert­eidiger Benjamin Pavard gewinnt den Zweikampf mit Hannovers Edgar Prib.

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