Im Reich der Sterne
Gourmets schätzen das Genießerland im Südwesten – Baden glänzt mehr als Württemberg
Baden-Württemberg besitzt unter Feinschmeckern europaweit einen ganz besonderen Ruf, und zwar zu Recht: Denn von den bundesweit 290 Sternerestaurants stehen allein 73 im Land. Damit ist Baden-Württemberg als Genießer-Region Weltspitze und liegt auch im Vergleich zu anderen Bundesländern uneinholbar in Führung. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der legendäre Küchenchef der Schwarzwaldstube in Baiersbronn, Harald Wohlfahrt, nach mehr als 40 Jahren das Zepter an Sous-Chef Torsten Michel weiterreicht. Wohlfahrt ist der dienstälteste Drei-Sterne-Koch Deutschlands.
Auf Platz zwei folgt abgeschlagen Bayern mit 49 Sternehäusern. Oder anders gesagt: Ohne die baden-württembergischen Spitzenköche läge Deutschland im internationalen Vergleich unter ferner liefen. So aber spielt die Republik in der gleichen Liga wie Frankreich, dem Mutterland der feinen Küche. Badener und Württemberger sind im guten Geschmack vereint – so scheint es zunächst. Denn wenn man genau hinschaut, liegt die Keimzelle des kulinarischen Ruhms mit 42 Sternerestaurants vor allem in Baden, genauer gesagt in Baiersbronn im Schwarzwald, wo sich acht Sterne auf nur drei Restaurants verteilen.
Jedenfalls ist das Tonbachtal berühmt für den Ehrgeiz seiner Köche, die tatsächlich denkwürdige TellerEreignisse aufzutischen in der Lage sind. Etwa in der Köhlerstube, wo Florian Stolte auch unbesternt den Gaumen jubilieren lässt – zum Beispiel mit Feinem vom Alblamm, das Filet und Bäckchen mit einer Soße in Szene setzt, deren Geschmackskraft Aromenschauer über den Gaumen jagt. Ganz zu schweigen von GänseKöstlichkeiten, die sich als Medaillon und Mousse nebst Rhabarber einen vorderen Platz im Poesiealbum der erlesenen Genüsse sichern.
Warum aber ist ausgerechnet Baiersbronn, eine Kleinstadt mit knapp 15 000 Einwohnern, das erklärte Ziel für Gourmets aus aller Welt, abgelegen in einem abseitigen Tal, nur mühsam über kurvenreiche Landstraßen erreichbar? Einer, der es ganz genau wissen muss, ist Hotelier Heiner Finkbeiner, der das berühmteste Hotel im Baiersbronner Teilort Tonbach führt: die Traube. Seit 1984 steht er dem internationalen Fünfsterne Superior-Haus als Direktor vor, seit 1993 auch als Inhaber.
„Nun, ich denke, das liegt an der Religion“, erklärt Finkbeiner. Denn während Württemberg überwiegend evangelisch geprägt sei, dominierten in Baden die Katholiken. „Und die sind, wie man weiß, den leiblichen Genüssen seit jeher nicht abgeneigt“, sagt Finkbeiner und begleitet seinen Satz mit einem breiten Grinsen.
Für den besonderen Status von Baiersbronn hat Finkbeiner aber eine eindeutige Erklärung und die heißt Harald Wohlfahrt: „Er hat 1977 hier angefangen“, erinnert sich der Hotelier. Ausgestattet mit Ehrgeiz, Fleiß und großem Talent hat der Schwarzwälder rasch das Zepter in der Küche übernommen. „1993 kam der dritte Michelin-Stern, der seitdem ununterbrochen unsere Schwarzwaldstube auszeichnet.“Und weil aus der näheren und weiteren Umgebung viele Köche bei Wohlfahrt gelernt haben, ist es kein Wunder, dass es in Baiersbronn noch mehr Sterne gibt – etwa im Hotel Bareiss, wo Claus-Peter Lumpp auf Drei-Sterne-Niveau kocht und im Restaurant Schlossberg, in dessen Küche Jörg Sackmann seit langer Zeit zwei Sterne verteidigt. „Wir verstehen uns untereinander nicht als Konkurrenten“, betont Finkbeiner. Vielmehr sei es für einen Ort wie Baiersbronn sehr befruchtend, wenn viele gute Leute nahe beieinander seien. „Das sorgt dafür, dass sich jeder einzelne bemüht, der Beste zu sein. Denn Sie wissen ja: ,Das Bessere ist der Feind des Guten’.“
Der Einfluss von Harald Wohlfahrt geht aber nicht nur weit über Baiersbronn und Baden-Württemberg hinaus: Der Mann hat ganze Köche-Generationen beeinflusst. Bester Beweis: All seine Schüler haben es bis heute auf knapp 80 MichelinSterne gebracht.