„Elektronische Musik ist in einer Depression“
Sebastian Szary von Moderat über die Zukunftspläne der Berliner und die Entwicklung der Szene
Das Berliner Trio Moderat hat sich zum deutschen Exportschlager für elektronische Musik entwickelt. Warum die drei nach diesem Sommer trotzdem zumindest vorerst getrennte Wege gehen wollen, wie sich das Genre in den vergangenen Jahren verändert hat und was David Guetta damit zu tun hat, erklärt Sebastian Szary im Interview mit Marvin Weber.
Vor einigen Tagen seid ihr noch auf dem Coachella-Festival in Amerika gewesen. In ein paar Tagen beginnt für euch der Festival-Sommer in Europa. Seid ihr schon heiß auf die Auftritte?
Wir spielen die Festivals, auf denen man jedes Jahr unterwegs ist, wie das Pukkelpop oder das Lowlands-Festival. Wir sind meist so international unterwegs, dass wir Deutschland dabei manchmal etwas ausklammern. Deswegen freuen wir uns sehr, in diesem Sommer auch den südwestlichen Raum beglücken zu dürfen.
Wie unterscheidet sich ein Auftritt auf dem Glastonbury von dem auf einem kleineren Festival wie dem Maifeld Derby?
Die großen Festivals sind auf jeden Fall geil. Aber mit der Masse der Menschen ist die Aufmerksamkeitsquote der Leute natürlich kleiner. Die kleinen Festivals haben ihren besonderen Reiz. Da ist die Stimmung um einiges komprimierter.
Der Singer-Songwriter schnappt sich die Gitarre, schreibt ein paar Zeilen und fertig ist der Song. Wie funktioniert das Songwriting bei euch?
Das beginnt meistens mit einer sehr kryptischen Session am Rechner mit Drum Machines und Synthesizern. Damit experimentieren wir dann erst einmal rum. Man hört sich die Skizzen immer wieder an, und irgendwann kristallisiert sich der Song so langsam raus. Das ist ein Auswahlverfahren.
Produziert ihr Lyrics und Beats gleichzeitig?
Nein, das läuft getrennt. Beats bauen wir alle zusammen. Sascha kann genauso krasse Melodien bauen wie Gernot und ich. Wenn Sascha Lyrics produziert, ist das eine relativ intime Sache. Meistens passiert das über Nacht, und Sascha hat neue Textzeilen am Start.
Sascha hat in einem Interview mal gesagt, dass es bei der Produktion eurer Platten immer wieder zu reichlich Reibung kommt. Warum ist das so?
Dazu muss man die Charaktere kennen. Wir drei sind sehr unterschiedlich. Bei der Songproduktion will natürlich jeder seine Meinung durchdrücken. Zum Ende der Produktionsspirale wird das immer extremer. Je mehr wir ins Detail gehen, desto mehr wird über jede Hi-Hat diskutiert. Uns ist aber wichtig, dass jeder mit dem Endprodukt leben kann.
Welche Bedeutung haben eure eigenen Projekte heute noch?
Wir denken viel darüber nach, was in Zukunft passiert. Wir hatten jetzt eine lange Phase, in der wir als Moderat zusammen unterwegs waren. Wir spielen den ganzen Sommer noch Festivals. Momentan machen wir uns über das Leben nach Moderat Gedanken. Wir sitzen auch schon an neuer Musik für Modeselektor.
Ist dann ab Herbst erst einmal mit Moderat Schluss?
Wir haben jetzt einfach auch genug von Moderat (lacht). Es wird ab Ende des Jahres erst einmal eine ModeratPause geben. Der Entschluss nach dem zweiten Album direkt das dritte zu produzieren, war wirklich eine schwierige Entscheidung. Nachdem das zweite Album aber so erfolgreich gewesen ist, dachten wir, dass wir weitermachen müssen. Vorher haben wir im Wechsel die eigenen Projekte und Moderat betreut.
Aber es ist kein endgültiges Aus für Moderat?
Wir lassen das erst einmal ruhen und haben keine weiteren Pläne. Das heißt aber auch nicht, dass das Projekt gestorben ist.
Heutzutage kann jeder mit einem Programm am Computer relativ leicht elektronische Musik produzieren. Ist das ein Vorteil für das Genre?
Es ist eigentlich gut, dass jeder die gleichen Mittel hat. Das führt aber auch zu einer relativ ähnlichen Ästhetik. Wir versuchen immer wieder, aus diesem Standard auszubrechen, der sich seit 25 Jahren im Kreis dreht. Ich bin immer wieder erstaunt, dass es bei Clubmusik überhaupt noch etwas Neues gibt. Unsere westliche Musik wandert auf einem sehr schmalen Grat. Elektronische Musik befindet sich in einer Depression.
Sind dafür auch Künstler wie David Guetta verantwortlich, der wild tanzend vor dem Turntable steht, aber eigentlich nur den PlayKnopf gedrückt hat?
Durch solche Personen wird die Musik ins negative Licht gerückt. Aber der Otto Normalverbraucher kann den Unterschied zwischen unserer Musik und dem, was David Guetta macht, nicht herausfiltern.
Berlin gilt nach wie vor als Hauptstadt der elektronischen Musik. Inwiefern beeinflusst das Leben in der Hauptstadt euer musikalisches Schaffen?
Heute nicht mehr wirklich. Früher hat uns die Stadt stark beeinflusst. Irgendwann haben wir einfach damit aufgehört, auszugehen und Partys zu besuchen. Ich habe auch nicht mehr den Überblick, wo in Berlin was genau so abgeht. Ich muss aber auch zugeben, dass ich mittlerweile am Stadtrand wohne.
Ihr habt im vergangenen Jahr zwei Preise für Popkultur abgesahnt. Wie wichtig sind euch solche Auszeichnungen?
Wir sind da schon stolz drauf. Damit hätten wir auch nicht gerechnet. Die Preise stehen im Studio auf einem Pokalboard. Da fühlt man sich wie ein kleiner Junge, der beim Sportfest eine Auszeichnung geholt hat.