SPD präsentiert ein Wahlprogramm mit Unbekannten
Genossen rücken Gerechtigkeit ins Zentrum – Pläne zu Steuer und Rente offen
(dpa) - Klare Kante gegen Verbrechen und Terror, Entlastung bei Sozialausgaben, mehr Geld für Bildung: Mit ihrem Wahlprogramm will die SPD nach den Niederlagen bei den jüngsten Landtagswahlen in die Offensive gehen. „Ich finde, wir haben ein starkes Programm vorgelegt, vielleicht das beste seit Willy Brandt“, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann am Montag in Berlin. Die Vorschläge seien ein „klares Kontrastprogramm“zu den Ideen von CDU und CSU. Allerdings gibt es bei den SPD-Vorschlägen noch einige Unbekannte. Bei Steuern und Rente wird noch gerechnet.
Auch gab es einiges Hin und Her, ehe Oppermann, der Co-Chef der Programmkommission, dann doch noch die die Ergebnisse der zweijährigen Beratungen verkündete. Zunächst hatte es geheißen, der Termin werde verschoben, dann stand er doch wieder auf der Tagesordnung. Außerdem waren die Beratungen der Parteispitze durch einen Bombenalarm unterbrochen worden. In der Poststelle des Willy-Brandt-Hauses war ein verdächtiger Gegenstand entdeckt worden. Nach etwa 90 Minuten gab die Polizei Entwarnung.
Endgültig beschlossen werden soll das Wahlprogramm am 25. Juni bei einem Sonderparteitag in Dortmund. Mit den Kerninhalten – 71 Seiten unter dem Titel „Mehr Zeit für Gerechtigkeit“– will Kanzlerkandidat Martin Schulz dann in die heiße Wahlkampfphase ziehen. Er fehlte bei der Präsentation am Montag.
Zum Schutz vor Alltagskriminalität müsse der Staat im Alltag präsenter sein. So fordert die SPD 15 000 neue Polizisten in Bund und Ländern. „Sicherheit ist die Voraussetzung für die offene Gesellschaft“, sagte Oppermann. Der Staat müsse wehrhaft gegen Terroristen, Rechtsextreme und Kriminelle vorgehen. Oppermann kritisierte die Union, die sich als Hüterin der inneren Sicherheit aufplustere.
In der Steuerpolitik will die SPD untere und mittlere Einkommen entlasten. Auch soll das Ehegattensplitting zu einem „Familientarif mit Kinderbonus“umgebaut werden, damit Eltern ohne Trauschein auch etwas davon haben. „Wir haben ein Steuerrecht, das an 3,4 Millionen Familien vorbeigeht“, so Familienministerin Manuela Schwesig. Der Haken dabei: Möglich ist, dass die SPD ihr durchgerechnetes Steuerkonzept erst nach dem Parteitag vorlegen wird.
Ähnlich sieht es bei der Rente aus. Die Genossen wollen das Modell von Arbeitsministerin Andrea Nahles umsetzen. Es sieht eine sogenannte doppelte Haltelinie vor: Das Absinken des Rentenniveaus soll verhindert, gleichzeitig eine Explosion der Beiträge vermieden werden. Zu den Kosten sagte die SPD jedoch noch nichts.
- Eine Vorstellung mit Hü und Hott. Erst wollte die SPD ihren Leitantrag für den Wahlparteitag im Juni präsentieren, dann sagte sie ein Pressegespräch ab, weil man vielleicht doch länger beraten müsse. Als aber spekuliert wurde, dass es noch heftigen Streit über das Programm gebe, hieß es: Kommando zurück. Man streite nicht, sondern feile am Programm.
Fast trotzig sagt SPD-Generalsekretärin Katarina Barley: „Wir haben jetzt schon mehr Inhalte als CDU/ CSU bisher haben verlauten lassen.“Doch beim Thema Rente und Steuern fehlen auch in der SPD konkrete Festlegungen. Denn erst einmal muss noch gerechnet werden.
Während die Union in München wieder geschlossen auftritt und Steuersenkungen ankündigt, während Kanzlerin Merkel wieder ganz oben auf die Beliebtheitsskala der Deutschen gerutscht ist, steigt im Willy-Brandt-Haus die Nervosität. „Jetzt haben wir harte Tage vor uns“, hat Parteichef Martin Schulz am Sonntag in Schweinfurt prognostiziert. Denn die Unruhe bei den Sozialdemokraten ist nach den Niederlagen bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen groß.
Fehlalarm
Der Schulz-Effekt scheint verpufft. Wahlkämpfer berichten, dass viele Wähler sich fragen, wofür genau die SPD steht. Das genau will die Partei mit dem Wahlprogramm beantworten. Doch auch hier lief am Montag in Berlin nicht alles nach Plan. Der Alarm ging los, als Martin Schulz am Morgen im Willy-Brandt-Haus den Parteivorstand begrüßte. Ein verdächtiger Gegenstand war gefunden worden, die Parteizentrale wurde zwei Stunden lang evakuiert – bis zur Entwarnung. Doch das war noch die geringste Panne an diesem Tag.
Der SPD-Vorstand beriet das Wahlprogramm, genauer gesagt eine „hohe dreistellige Zahl von Änderungsanträgen“. Da sei es häufig nur um Spiegelstriche gegangen, hieß es in der Zentrale. Es habe nicht den „Hauch eines Streits“gegeben, versicherten Vorstandsmitglieder wie Florian Pronold. Doch die Verwirrung war da, und sie schwand auch dann nicht, als die SPD-Programmkommission, bestehend aus SPD-Generalsekretärin Barley, Familienministerin Manuela Schwesig und Fraktionschef Thomas Oppermann dann am Nachmittag doch noch die Eckpunkte vorstellten. Von einem leichten Durcheinander im Willy-BrandtHaus zeugte schon die Überschrift des Leitantrags: „Mehr Zeit für Gerechtigkeit“. Wo es doch eigentlich „Zeit für mehr Gerechtigkeit“heißen sollte.
Wo Martin Schulz vor vier Monaten auf dem Parteitag in Berlin noch auf Mieten einging, die normale Arbeiter nicht mehr bezahlen können, auf bröckelnden Putz an Schulen, während für die Banken Milliarden da seien, auf die Steuern des kleinen Bäckers um die Ecke, während riesige Kaffeekonzerne freigestellt würden, da fehlen jetzt die Bilder. Nicht Schulz, sondern die Programmkommission wollte jedoch ihre eigene Arbeit vorstellen. Und so dozierte am Montag Oppermann nüchtern, wie man die sachgrundlose Befristung bei der Arbeit wieder abschaffen wolle, damit junge Leute nicht zehn Jahre auf eine Festanstellung warten müssten.
Man forderte die Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, Mitbestimmung schon ab 1000 (statt 2000) Beschäftigten. Beim Thema innere Sicherheit setzen die Sozialdemokraten nicht nur auf 15 000 Polizisten mehr, sondern auch auf mehr Staatsanwälte und auf mehr Härte gegen Straftäter. Fraktionschef Oppermann kritisierte die Union, die sich als Hüterin der Inneren Sicherheit aufplustere, dabei stelle sie einen Innenminister, der es zulasse, dass ein rechtsextremer Soldat sich als Flüchtling habe tarnen können. Das zeige doch einen „verlotterten Zustand“.
Schon bekannt ist die Forderung der SPD, die Kitas gebührenfrei zu stellen. Dafür müsse der Bund 3,5 Milliarden Euro bereitstellen. Die SPD will hier den großen Wurf statt Steuerversprechen, die man nicht brauche. „Die CDU sitzt doch im Ohrensessel“, meint Manuela Schwesig. Auch eine Pflegezeit, die analog zum Elterngeld eine bis zu dreimonatige Freistellung oder Reduzierung der Arbeitszeit ermöglicht, wollen die Sozialdemokraten einführen.
Am 25. Juni in Dortmund soll auf einem Sonderparteitag das Wahlprogramm beschlossen werden. Ob bis dahin klar ist, welches Rentenniveau die SPD halten will, bis zu welcher Einkommensgrenze sie kleine und mittlere Einkommen entlasten will, und wer mehr bezahlen soll, ist offen. Vielleicht soll das Steuerkonzept auch erst nach dem Parteitag vorgestellt werden, heißt es. Sicher ist nur, so Katarina Barley, dass Martin Schulz noch einmal „ein eigenes, kantiges Programm mit Zuspitzungen“vorstellen werde.