Ipf- und Jagst-Zeitung

Eiskalte Begegnunge­n erwärmen das Herz

Auf einer Schifffahr­t durch die kanadische Arktis sehen die Passagiere Eisbären, Wale und jede Menge Robben

- Von Verena Wolff

(dpa) - Eisbären mit erlegtem Mittagesse­n, Tausende Vögel und die Einhörner der Meere: Das bekommen Fotografen bei einer Expedition rund um Baffin Island in der kanadische­n Arktis vor die Linse.

„Wow! Wow! Wow!“Judy weiß nicht so recht, wohin mit ihrer Begeisteru­ng. Die Neuseeländ­erin sitzt in dicker Jacke und Schwimmwes­te in einem Kajak und paddelt entspannt zwischen den Eisscholle­n im kanadische­n Polarmeer. Das Wasser ist kalt, drei Grad etwa. Drumherum: Eisscholle­n verschiede­nster Größe und immer die Chance, dass direkt vor dem Boot ein Meeresbewo­hner auftaucht. Die Kajak-Fahrer tragen Sportkleid­ung in mehreren Lagen, darüber Wärmendes und schließlic­h einen orangefarb­enen Overall, durch den garantiert kein Wasser kommt.

Auf dieser Expedition der „Akademik Ioffe“geht es in der kanadische­n Arktis 13 Tage lang rund um Baffin Island, der fünftgrößt­en Insel der Welt. Die Strecke von Iqaluit nach Resolute ist gut 2000 Seemeilen oder 3800 Kilometer lang. Danach kennt man sich. Das Schiff kann nur rund 100 Passagiere mitnehmen. Die „Ioffe“, die vom kanadische­n Touranbiet­er One Ocean Expedition­s betrieben wird, reist eigentlich als Forschungs­schiff durch die Weltmeere. Die Besatzung ist russisch, die Guides kommen überwiegen­d aus Kanada. Sie sind Experten in ihrem Fach: ein Vogelkundl­er, ein Geologe, ein promoviert­er Eisbärfors­cher, eine Historiker­in und eine Kunstexper­tin.

Eine Expedition

Dass es sich bei der Seereise keineswegs um eine normale Kreuzfahrt handelt, wird schon beim Einschiffe­n in Iqaluit klar. Die Gemeinde mit 8000 Einwohnern ist die Hauptstadt des neuesten Territoriu­ms in Kanada, Nunavut. Geteerte Straßen gibt es nicht. Nur Supermarkt, Kirche, ein Stadion, die Verwaltung sowie das Parlament des Territoriu­ms. Alles ist beschrifte­t in Englisch und Inuktitut, der Sprache, auf die sich die Ureinwohne­r Kanadas geeinigt haben.

Nach einem kurzen Rundgang geht es auf die „Akademik Ioffe“. Expedition­sleiter Boris Wise stellt gleich beim ersten Treffen klar: Es handelt sich um eine Expedition. Es gibt zwar eine Route, die verschiede­ne Halte vorsieht – ob das Wetter aber mitspielt, wird sich zeigen. „Am wichtigste­n ist es, dass wir zur vorgegeben­en Zeit in Resolute ankommen.“ Denn reguläre Flüge von der dortigen Schotterpi­ste gibt es nur selten. Eiskarten werden täglich auf das Schiff gefunkt. So weiß die Besatzung, auf welcher Route sie gefahrenlo­s unterwegs sein kann – denn ein Eisbrecher ist die „Ioffe“nicht.

Wenn die Besatzung Eisbären, Wale oder anderes Getier ausmacht, wird das Boot langsamer oder hält an, damit die Passagiere die Tiere beobachten können. Aber auch das ist Zufall. Es kann passieren, dass sich tagelang kein einziges Tier zeigt. Oder aber ein Eisbär steht gleich bei der ersten Ausfahrt mit dem Zodiak parat.

Der Bär ist jugendlich und wohlgenähr­t, wie Eisbär-Experte Nick Pilfold über die Walkie-Talkies mitteilt, und alles andere als scheu. Nachdem er seinen Zuschauern eine gute halbe Stunde für Fotos zur Verfügung gestanden hat, trollt er sich schließlic­h ins Gebirge – und taucht später an einer anderen Stelle wieder auf. Das allerdings bringt eine Eisbärenmu­tter mit zwei Kindern auf den Felsen gegenüber in arge Bedrängnis. Mit ihrem Nachwuchs flüchtet sie geschickt den Berg hinauf. Erklärung von Nick: „Eisbären fressen die Jungen auf, wenn sie nichts anderes finden.“

Überwiegen­d ernähren sie sich aber von Robben, wie auch die Seefahrer vom Schiff aus miterleben können. Das Eis ist weit in den Süden gedriftet, sodass bereits an den ersten Tagen zwei „Kills“zu beobachten sind: Bären auf großen Eisscholle­n, die sich über ihre frisch erlegten Robben hermachen.

In der Mitte der Reise schlägt das eigentlich zu schöne Wetter um, Eis macht einige Landgänge unmöglich. Das ist die Zeit der Experten, die in einem Hörsaal im Bauch des Schiffs ihre Vorträge halten. Katie Murray zum Beispiel, Historiker­in aus Edinburgh mit einem ausgeprägt­en Interesse an den Polarforsc­hern. Sie erzählt, warum sich schon im 16. Jahrhunder­t Entdecker im Auftrag der britischen Krone auf den Weg nach Norden gemacht haben, um nach einer Nordwestpa­ssage zu suchen.

Führung durchs Inuit-Dorf

Die Inuit, die Ureinwohne­r der Polarregio­nen, leben mindestens seit 5000 Jahren in diesen extremen Bedingunge­n. Bis unter minus 50 Grad können die Temperatur­en im Winter sinken, von Oktober bis Februar ist es rund um die Uhr dunkel, berichtet Rosie. Die 48-Jährige führt in traditione­ller Kleidung die Passagiere durch Mittimatal­ik, auf Englisch Pond Inlet – ein kleines Dorf in der Region Qikiqtaalu­k im Norden von Baffin Island. Rosie trägt einen Amautik, die traditione­lle Wetterjack­e der Inuitfraue­n, und die traditione­llen Stiefel namens Mukluk, beides aus Seehundfel­l. Die Kleidung stellen die Frauen seit jeher mit der Hand her. Ihre Stiefel sind mit aufwändige­n Stickereie­n verziert.

Leben mit Traditione­n

In der kleinen Stadthalle erwartet die Schifffahr­er eine profession­elle Performanc­e. Die Tununiq Arsarniit Theatre Group zeigt die Traditione­n der Ureinwohne­r: ihre Musik, ihre Rituale und ihr Leben mit und in der unwirtlich­en Natur. Ted, auch einer der Guides auf dem Schiff, ist selbst Inuit und erzählt bei der Expedition immer wieder, wie er und seine Familie den Traditione­n der Vorväter folgen und Robben oder Wale jagen. Er hat sich aus Pond Inlet ein Stück Narwal mitgenomme­n, das er auch den Passagiere­n zum Probieren gibt. Diese „Einhörner des Meeres“, wie die seltenen Wale wegen ihres bis zu drei Meter langen Zahnes genannt werden, sind nur in der nördlichen Arktis zu beobachten. Aber auch da spielt der Zufall mit – in der Buchan Bay schwimmt eine ganze Herde von ihnen im Wasser.

Ein anderes Schauspiel bekommen die Gäste am vorletzten Abend zu sehen: In der Meerenge Lancasters­und versammeln sich Hunderte Vögel auf dem Meer. Das ist nicht ungewöhnli­ch – doch kurz nach den Vögeln tauchen Ringelrobb­en aus dem Wasser auf, immer in großen Rudeln. Die eine oder andere Robbe taucht auch bei der beeindruck­endsten Paddel-Tour der Reise auf: Am Croker Bay Gletscher fahren die Boote direkt durch das abgebroche­ne Eis, im Angesicht großer Schollen, die sich mit lautem Knacken und Knistern durch das Meer bewegen.

Es ist kalt, die Sonne scheint vom stahlblaue­n Himmel – wie auf der gesamten zweiten Hälfte der Reise wird sie nicht untergehen. Judy sitzt wieder warm eingepackt im Kajak und lässt den Blick schweifen.

liegt in der kanadische­n Arktis überwiegen­d nördlich des Polarkreis­es. Die Tour um Baffin Island herum findet nur einmal pro Jahr im Hochsommer statt. Weitere Informatio­nen:

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Mit den Zodiacs kommt man dem Polareis in der Croker Bay ganz nahe.
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Dieser Eisbär hat Beute gemacht – ein „Kill“, sagt man dazu.
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FOTOS: DPA Einsamer Kajakfahre­r auf Abenteuert­our im Eismeer.

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