Bauboom auf dem Land erwartet
Gemeinden können einfacher Wohngebiete ausweisen – Naturschützer sind entsetzt
- Eine Änderung im Bundesbaugesetz erleichtert Gemeinden die Ausweisung von Wohngebieten. Die Kommunen freuen sich, dass nun schneller dringend benötigter Wohnraum entstehen kann. Naturschützer beklagen hingegen massive Rückschläge für den Umweltschutz. Auch die Landesregierung hat hart gerungen.
Mitte Mai ist das sogenannte vereinfachte Verfahren in Kraft getreten. Es gilt für die Ausweisung neuer Wohngebiete, die nicht größer als 10 000 Quadratmeter sind und direkt an eine Ortschaft anschließen. Vereinfacht heißt: Die Öffentlichkeit muss nicht frühzeitig eingebunden werden, verpflichtende Umweltprüfungen können ebenso wegfallen wie Ausgleichsmaßnahmen, mit denen der Eingriff in die Natur kompensiert wird. Die Grundlage dafür bildet der Paragraf 13b im Baugesetzbuch.
Roland Bürkle (CDU), Bürgermeister von Bad Wurzach im Landkreis Ravensburg, spricht von „echter Erleichterung“und „erheblicher Beschleunigung“. Konkret hat das Stadtoberhaupt vier Wohngebiete in Teilorten im Blick, die nun schneller und kostengünstiger erschlossen werden können. „Durch das Gesetz überlegen wir, ob wir das schneller umsetzen als gedacht“, sagt Bürkle.
Bad Wurzach ist nicht die einzige Gemeinde, die sich über die Gesetzesänderung freut. „Wir sind froh, was die jetzige Formulierung angeht“, sagt Lidija Schwarz-Dalmatin vom baden-württembergischen Gemeindetag. Durch die Erleichterungen erwartet der Verband einen Boom, gerade auf dem Land. „Ich denke, dass die Änderung einen Anreiz bietet.“Zumal die Zeit drängt, die Vereinfachung ist nämlich bis Ende 2019 befristet. Die Erleichterungen gelten für Baugebiete, für die bis zu diesem Zeitpunkt der Bebauungsplan aufgestellt ist. Bis Ende 2021 muss zudem der Satzungsbeschluss gefasst sein.
Kritik vom Umweltminister
Der grüne Teil der Landesregierung war mit dem Paragrafen 13b überhaupt nicht einverstanden. Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hatte vorab erklärt: „Der Vorschlag der Bundesregierung widerspricht elementaren Grundsätzen des Naturund Bodenschutzes.“Er kritisierte, dass Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen nicht mehr erhoben würden und äußerte die Befürchtung, dass Baugebiete auf Vorrat ausgewiesen würden. Das für Wohnbau zuständige Wirtschaftsministerium unter Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) verweist hingegen auf die Vorteile der Änderung: „Vor dem Hintergrund des dringend benötigten, vor allem bezahlbaren Wohnungsbaus und des starken Bedürfnisses von Städten und Gemeinden nach planerischen Erleichterungen hat das Land nach Abwägung aller Belange die Neuregelungen mitgetragen“, heißt es aus dem Ministerium.
Wegen der konträren Meinungen der grünen und schwarzen Teile in der Landesregierung hatte sich Baden-Württemberg bei der Abstimmung über das Gesetz Ende März im Bundesrat enthalten. „Eine Enthaltung ist keine Zustimmung“, betont Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand. Besonders kritisch sieht er den zu erwartenden Flächenfraß.
Den kritisieren auch Umweltverbände scharf. „Die Konsequenzen sind einschneidend“, sagt Klaus-Peter Gussfeld vom Bund für Umwelt und Naturschutz. „Das öffnet einer Fehlentwicklung Tür und Tor.“Eigentlich sei das Ziel, die Innenentwicklung voranzutreiben. Die Gesetzesänderung fördere stattdessen die Außenentwicklung. „Gerade die kleinen Gemeinden auf dem Land werden nach unserer Prognose darauf zurückgreifen, am Rand zu bauen“, sagt er.
„Hoppla, hier laichen ja Kreuzkröten“
Johannes Enssle, Vorsitzender des Naturschutzbunds (Nabu) BadenWürttemberg, bezeichnet es als „dramatisch“, dass keine Umweltprüfungen und Ausgleichsmaßnahmen nötig sind und sagt: „Von einer grün-geführten Landesregierung hätte ich mir ein stärkeres Engagement gegen die Novelle gewünscht“– doch so sei eben die Realität in einer grünschwarzen Koalition. Zwar gelte der strenge Artenschutz auch weiterhin. Doch da die Umweltprüfung wegfällt, sei es ein reines Glücksspiel, ob geschützte Arten auch beachtet würden. „Dann wird erst während der Bauphase festgestellt: ,Hoppla, hier laichen ja Kreuzkröten.‘ Wenn es keiner merkt, wird weiter gemacht. Wenn es jemand merkt, steht der Naturschutz wieder als Verhinderer da, obwohl eigentlich die mangelnde Planung und Vorprüfung das Problem ist.“
Vor allem Einfamilienhäuser
Zumindest in Bad Wurzach soll es nicht soweit kommen, erklärt Bürgermeister Bürkle. „Für den Artenschutz werden wir einen Biologen vorher bitten, das Gebiet zu prüfen.“Denn würde während der Erschließungsarbeiten eine geschützte Art die Bagger zum Stoppen bringen, würde es erst richtig teuer. Auch lässt Bürkle die Kritik der Naturschützer nicht gelten, dass nun vornehmlich Einfamilienhäuser an den Ortsrändern entstehen würden – und eben nicht der dringend benötigte, kostengünstige Wohnraum. „In größerer Summe werden es Einfamilienhäuser sein, weil das der Bedarf ist“, bestätigt Bürkle zwar. Er spricht hingegen von einer Art Kreislauf. Vor allem ortsansässige Bürger suchten Bauland für ein eigenes Häuschen. „Wir erhoffen uns, dass dadurch ihre Wohnungen, in denen sie jetzt wohnen, frei werden“, sagt Bürkle. Und so entstehe Platz für andere.