Viel Wirtschaft, wenig Menschenrechte
Es war ein Blitzbesuch beim derzeit wichtigsten Partner in Lateinamerika. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schaute für gerade einmal 16 Stunden bei Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto vorbei. Mehr Zeit blieb nicht zwischen einem Staatsbesuch in Argentinien, den anstehenden Brexit-Verhandlungen und dem nahenden G20-Gipfel in Hamburg. Die Themenliste bei den Gesprächen mit Peña Nieto war für eine so kurze Zeit lang: Freihandel, G20 und der Umgang mit USPräsident Donald Trump. Die beiden Politiker betonten vor allem Gemeinsamkeiten und drängten kontroverse Themen an den Rand.
Denn es war ein heikler Besuch, weil der mexikanische Präsident wegen einer dramatisch schlechten Menschenrechtsbilanz stark unter Druck steht. Zugleich aber glänzt sein Land als Investitionsstandort für Firmen aus aller Welt und ist ein verlässlicher Partner beim Freihandel. Schließlich hat kein Land auf der Welt so viele Freihandelsabkommen unterzeichnet wie die zweitgrößte Volkwirtschaft Lateinamerikas. Davon profitieren auch knapp 1900 deutsche Unternehmen, die Trump und seinen Drohungen trotzen. Ein großer Teil plant sogar, dieses Jahr mehr Mitarbeiter anzustellen und die Investitionen zu erhöhen, wie aus dem von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Auftrag gegebenen „World Business Outlook“hervorgeht.
Mexiko bietet ausgesprochen gute Bedingungen für Unternehmen. Geringe Löhne, hohe Produktivität in Sektoren wie der Automobilproduktion und die besondere Nähe zu den USA machen das Land attraktiv. 2016 belief sich das deutsch-mexikanische Handelsvolumen auf 16,2 Milliarden Euro. Mexiko ist wichtigstes Empfängerland von deutschen Exporten in Lateinamerika. Deutschland bleibt Mexikos wichtigster Handelspartner in Europa.
Etwas unter den Tisch fiel beim Fokussieren auf Handel und Wirtschaft, dass – anders als beim nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta – beim Vertragswerk mit der EU auch politische Aspekte einbezogen werden sollen. Peña Nieto behauptete, sein Land teile mit Deutschland Werte wie Menschenrechte und den Wunsch nach einem starken Rechtsstaat. Angesichts Zehntausender Toter während seiner Amtszeit klingt das nahezu zynisch.
Wer sich von der Kanzlerin eine klare Stellungnahme zu der Menschenrechtsbilanz Mexikos erhoffte, wurde enttäuscht. Merkel erwähnte nur sehr zurückhaltend Probleme wie Journalistenmorde – und dass Menschen einfach verschwinden.
Die deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko (ein Zusammenschluss deutscher Nichtregierungsorganisationen) spricht von einer „alarmierenden Krise“der Menschenrechte. 200 000 Menschen seien laut Angaben des Nationalen Statistikamtes in Mexiko (INEGI) zwischen 2006 und 2017 ermordet worden. Im selben Zeitraum wurden 126 Journalisten getötet, mehr als 30 000 Menschen sind in den vergangenen zehn Jahren verschwunden. Die mexikanische Justiz ist entweder untätig oder unfähig, die staatlichen Institutionen sind auf allen Ebenen mit den Kartellen verstrickt. Mexiko ist zwar ein demokratisches Land, hat aber eine Menschenrechtsbilanz, die einer Diktatur oder einem Staat im Krieg gleicht.