Eine Familie sollte nicht zerstört werden
Eltern sind wegen einer möglichen Ausgliederung der AWO-Schulkindbetreuung in Sorge
- Jose Antonio Herrera Rosa ist geschockt: Die Nachricht, dass die AWO im Zuge ihres Neubaus Überlegungen anstellt, die Schulkindbetreuung auszugliedern und den Hort an einen anderen Standort zu verlegen, hat ihn wie viele andere Eltern tief ins Mark getroffen. „Wir können es nicht verstehen, dass ein Konzept, das jahrzehntelang funktioniert hat, plötzlich auf dem Prüfstand steht“, sagt Mirjana Bay.
Seit fast vier Jahren wird die Tochter von Mirjana und Andreas Bay im AWO-Kinderhaus „Im Tännich“betreut. Für die Einrichtung in der Hopfenstraße unterhalb des Ostalb-Klinikums hat sich das in Dewangen lebende Ehepaar bewusst entschieden. Da beide voll berufstätig sind, sei es kein Thema gewesen, ihre Tochter in einem der beiden Kindergärten des Aalener Stadtbezirks anzumelden. Wenn diese um 12.30 Uhr schließen, haben die Bays noch mehrere Stunden Arbeit vor sich. Und auch die Großeltern der Vierjährigen stehen im Berufsleben, so dass es auch ihnen nicht möglich sei, diese abzuholen und anschließend zu betreuen. „Insofern war es der Jackpot schlechthin, als wir bei der AWO einen Platz bekommen haben“, sagt Mirjana Bay. Hier können sie ihre Tochter um 6.30 Uhr hinbringen und, sofern nötig, erst um 17.30 Uhr abholen.
Erfolgreiches Konzept über Bord werfen
Mit starkem Bauchweh und mit vielen Ängsten sehen die Bays der Zukunft entgegen. Über eine mögliche Ausgliederung der Schulkindbetreuung sind sie vor wenigen Wochen beim Elternabend informiert worden. Und seither machen sie sich Sorgen. Dass die AWO neu bauen will, weil das Kinderhaus in die Jahre gekommen ist, sei verständlich. Aber die Überlegung, damit ein erfolgreiches Konzept über Bord zu werfen, könnten sie nicht nachvollziehen.
„Alle Eltern, die ihre Kinder bei der AWO angemeldet haben, haben dafür ihre Gründe“, sagt Mirjana Bay. Neben den flexiblen Öffnungszeiten ist auch die Betreuung durch qualifizierte Erzieherinnen in den Ferien gewährleistet, die auf jedes einzelne Kind eingehen. „Ich weiß hier meinen Sohn und meine Tochter gut aufgehoben und kann guten Gewissens zur Arbeit gehen und mich voll und ganz auf meinen Beruf konzentrieren“, sagt Marina Novak. Als absolut ideal bezeichnet auch Jose Antonio Herrera Rosa das Angebot der AWO. Vor rund vier Jahren ist er mit seiner deutschen Frau von Spanien nach Aalen gezogen. Die Tochter war damals drei Jahre alt. Herrera Rosa ist voll berufstätig und seine Frau arbeitet am Ostalb-Klinikum im Schichtdienst. Verwandte haben sie hier keine und sind insofern auf sich alleine gestellt. Deshalb sei für sie auch nur eine Anmeldung bei der AWO infrage gekommen.
Ein Familienzentrum auf dem Gelände zu planen und im gleichen Atemzug die zur Schule gehenden Hortkinder auszugliedern, sei ein Widerspruch. Wenn die Tochter des Ehepaars Bay nächstes Jahr eingeschult wird, war sie fünf Jahre lang ein Teil der AWO-Familie. „Hier hat sie ihr soziales Umfeld und ihre Freunde. Sollen wir ihr dann im Zuge der Einschulung sagen, dass sie plötzlich kein Teil dieser Familie mehr ist?“, fragt sich Mirjana Bay. Noch deutlicher wird Marina Novak: Mit dem angedachten Vorhaben der Einrichtung werde ein Familienzentrum zerstört, um ein anderes zu bauen. Doch zur Familie gehörten auch die Schulkinder.
Auch die Kinder machen sich Sorgen
Auseinandergerissen werden mit einer Ausgliederung der Schulkindbetreuung nicht nur Kinder, die über Jahre auch in altersgemischten Gruppen zusammen aufgewachsen und eng verbunden sind, sondern auch Geschwister, sagt Melanie Dambacher. Zwei ihrer mittlerweile drei Kinder werden in der AWO betreut. Bis zur Einschulung ihrer großen Tochter waren beide Mädchen gemeinsam in einer Gruppe untergebracht. Und selbst jetzt, nachdem die ältere Tochter in die Schule geht, kann sie nach Schulende immer noch in einer Gruppe die Zeit gemeinsam mit ihrer vierjährigen Schwester verbringen. Gemeinsam essen, spielen und auch Geburtstag feiern. Und das soll jetzt nicht mehr gehen? „Hätte ich von der Ausgliederung der Schulkindbetreuung vorher gewusst, hätte ich kein drittes Kind bekommen“, sagt Dambacher. Selbst die Kinder würden sich mittlerweile Sorgen machen, sagt Marina Novak. So habe sie ihr siebenjähriger Sohn erst neulich gefragt, warum er möglicherweise bald seine vierjährige Schwester nicht mehr sehen darf.
Mit einer Verlegung des Standorts verbunden sind auch organisatorische Probleme. „Das Kindergartenkind muss ich dann ,Im Tännich’ abholen und das Schulkind an einem anderen Ort“, sagt Dambacher. Bislang sei das mit wenig Zeitaufwand möglich gewesen. Da Dambachers Mann selbstständig ist und sechs Tage die Woche arbeitet und sie selbst im kommenden Jahr auch wieder zu 80 Prozent arbeiten muss, sei das ein enormer Kraftakt.
Als möglicher Standort für einen neuen Hort ist die Rosa Villa am Theodor-Heuss-Gymnasium im Gespräch. Und dieser sei für die Schulkinder, die zum größten Teil die Greutschule besuchen, nicht geeignet. Im Gebäude selbst gebe es keine Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder und im Freien keine Grünfläche, sondern nur den gepflasterten Schulhof des Gymnasiums. Und der nebenan gelegene Stadtgarten sei auch nicht der geeignete Ort, um zu spielen, sagt Andreas Bay und denkt unter anderem an die Hinterlassenschaften wie Bierflaschen oder Schlimmeres, die so manche hier einfach liegen lassen. „Hier hätten wir ein mulmiges Gefühl und wüssten unsere Kinder nicht mehr so gut aufgehoben.“
„Hier hat sie ihr soziales Umfeld und ihre Freunde“, sagt Mirjana Bay. „Ich weiß hier meinen Sohn und meine Tochter gut aufgehoben“, sagt Marina Novak.
Starke Nachfrage – aus gutem Grund
Die Argumentation, dass mit dem Ausbau der Nachmittagsbetreuung an der Greutschule im AWO-Kinderhaus die Zahl der zu betreuenden Kinder zurückgehen soll, kann Dambacher nicht nachvollziehen. Selbst als die Ganztagsbetreuung hier noch kostenlos war, seien die Plätze bei der AWO stark nachgefragt gewesen. Mit gutem Grund. Denn die flexiblen Betreuungszeiten und die Betreuung in den Ferien durch immer die gleichen Bezugspersonen könne eine Ganztagsschule nicht leisten.
Keiner der Elternteile, die ihr Kind bei der AWO angemeldet haben, könne und wolle beruflich kürzer treten. Eine Unterstützung von Familienangehörigen gebe es nicht, da diese entweder woanders leben oder selbst noch berufstätig sind. Insofern hoffen alle, dass die Überlegung einer Ausgliederung der Schulkindbetreuung ad acta gelegt wird.