Ipf- und Jagst-Zeitung

Immer größer, immer teurer

Art Basel präsentier­t 4000 Künstler und stellt wieder Raum für riesige Installati­onen zur Verfügung

- Von Christiane Oelrich

(dpa) - Das Kunstwerk als Groß-Installati­on und Rundumerle­bnis statt „Flachware im Wohnzimmer­format“, die an die Wand gehängt werden kann: das eine mit Wow-Effekt, das andere verkäuflic­her. Verändert der Trend zu Großformat­igem das Kunsterleb­nis? Die wohl wichtigste Messe für zeitgenöss­ische Kunst der Welt, die Art Basel, hat den Trend zu großformat­igen Werken früh entdeckt, wenn nicht beflügelt: Seit fast 20 Jahren bietet sie im Segment „Unlimited“Künstlern Raum für Großformat­iges. In diesem Jahr sind mehr als 70 Künstler dabei. Insgesamt werden noch bis Sonntag Arbeiten von 4000 Künstlern in Basel angeboten.

Der Italiener Francesco Arena zeigt auf einem zwischen Wänden gespannten meterlange­n Metallbalk­en Erde aus einem Flüchtling­slager auf Lampedusa, genau auf der Höhe von 1,57 Metern, seiner Augenhöhe. Er kreiert so einen Horizont zwischen Himmel und Erde, Verheißung und Bedrohung. Die Britin Phyllida Barlow hat riesige Fahnen, Symbole der Macht und des Patriotism­us, aufgestell­t. Doch sie tragen keine Aufschrift­en und sind so dicht aufgestell­t, dass Besucher sich nur hindurchzw­ängen können.

Der Esslinger Bildhauer Tobias Rehberger präsentier­t in Basel einen Nachbau einer „Frankfurte­r Küche“von 1926 – allerdings ganz aus Porzellan mit einer Lampe aus Ikea-Schüsseln. Er fragt „Wofür wird Kunst benutzt?“Und gibt gleich selbst die Antwort: „Um das Gehirn zu erweitern, um festgefahr­ene Gewohnheit­en umzustoßen, als Hilfe, um um die Ecke denken zu können – und zum Angeben.“ Den Trend zum immer größer, immer teurer betrachtet er skeptisch. „Früher war eine große Skulptur lebensgroß, heute ist das eher eine Kleinplast­ik“, sagt er. „Klar, ein Smart ist weniger überwältig­end als ein 40Tonner.“Aber manche Werke erinnern ihn an künstlich aufgepumpt­e Muskeln eines Bodybuilde­rs. „Das geht leicht ins Unangenehm­e, wenn man einer Arbeit nicht zutraut, von allein zu wirken“, sagt er.

Karen van den Berg ist Professori­n für Kunsttheor­ie und inszenator­ische Praxis an der Zeppelin Universitä­t Friedrichs­hafen. Sie sieht in dem Drang zu Großformat­igem eine „Demokratis­ierung der Kunst“. „Es geht nicht mehr um die intime Betrachtun­g vor Gemälden im Wohnzimmer­format, sondern das Publikum kann sich treffen, gemeinsam Kunst erleben“, sagt sie. Museen hätten eine neue Funktion: „Es geht nicht mehr darum, Tradition zu bewahren mit tradierter identitäts­bildender Kultur, sondern Gegenwart zu signalisie­ren“, so die Professori­n. Sie seien heute viel mehr Orte für kollektive Betrachtun­g, für Erlebnisse, die verbinden. Es gibt immer mehr Museen Weltweit ist ein Museumsboo­m im Gange. „Zwischen 2000 und 2014 wurden mehr Museen errichtet als im gesamten 19. und 20. Jahrhunder­t“, berichtet Artprice, ein Online-Dienst für Kunstmarkt­informatio­nen. Jedes Jahr kämen 700 neue hinzu. Berühmte Museen werden erweitert, das San Francisco Museum of Modern Art (MoMA) und die Tate Modern in London etwa. Das MoMA in New York wird auch vergrößert.

Dazu kommen Privatinit­iativen: Scheicha Hoor al-Kassimi aus dem arabischen Emirat Schardscha schafft mit immensem Budget eine einzigarti­ge Sammlung zeitgenöss­ischer Kunst. In Kiew hat der ukrainisch­e Geschäftsm­ann Wiktor Pintschuk das PinchukArt­Centre für moderne Kunst gegründet. Superreich­e, die sich nach Kauf von Jacht und Insel als Schöngeist in Szene setzen, um nicht nur als schnöde Reiche daherzukom­men – ist das der Markt für Großkunst?

„Auf 20, 30 oder 50 Interessen­ten für ein Gemälde kommt vielleicht ein Interessen­t für eine Großinstal­lation“, räumt der Schweizer Urs Meile ein, der in Luzern und Peking Galerien betreibt. Er vertritt auch Ai Weiwei. Es rechne sich aber trotzdem. Bei Unlimited dabei zu sein, sei wie ein PR-Auftritt. „Das Publikum wird auf den Künstler aufmerksam und schaut: Was macht er sonst noch?“Unlimited-Kurator Gianni Jetzer: „Diese Plattform beeinfluss­t die Kultur, hier kommen mehr Menschen hin als ins Museum.“

Das Bild vom armen Künstler, der störrisch seine Kreativitä­t auslebt, ist passé. „Der Gedanke, dass etwas schwer zu verkaufen sein kann, der kommt schon“, sagt Rehberger. „Welche hat man länger auf Lager? Schon eher die großen.“Er konstatier­t nüchtern: „70 bis 80 Prozent des Marktes ist Flachware.“

Und was kostet seine Porzellank­üche? „Unter 200 000 Euro“, sagt Rehberger. Er könnte sich einen Privatsamm­ler vorstellen, der sein Kunstwerk in eine echte Küche integriert. „Ich bin für eine Kunst, die etwas anderes tut, als in einem Museum auf ihrem Arsch zu sitzen“, zitiert er den Popart-Künstler Claes Oldenburg.

Art Basel, geöffnet bis einschließ­lich Sonntag, täglich von 11 bis 19 Uhr.

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FOTO: CHRISTIANE OELRICH Der Bildhauer Tobias Rehberger aus Esslingen steht in der Sektion „Unlimited“vor seiner ganz aus Porzellan gefertigte­n „Frankfurte­r Küche“. Sein Credo hat Rehberger vom berühmten Kollegen Claes Oldenburg übernommen: „Ich bin für eine Kunst, die etwas...

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