Familienglück im Tal der Spinner
Auf dem Mieminger Plateau in Tirol versuchen Gastgeber, ein wenig die Zeit anzuhalten
Es ist nicht die verunglückte Soße zu den Nudeln beim Abendessen. Auch nicht das steinharte Frühstücksei am morgendlichen Büffet, das von einem Urlaub in der Erinnerung haften bleibt. Und es sind auch nicht die nassen Socken, die jemand nach einer Wanderung durch eine Feuchtwiese zum Trocknen ausgerechnet in den Schrank gehängt hat, wo sich der Duft des Mieminger Sonnenplateaus, aromatisiert mit Fußschweiß, für die Mitbewohner des Hotelzimmers konserviert. Nein, was bleibt sind andere Momente. Etwa während des Sonnenaufgangs nach einer frühmorgendlichen Wanderung auf einer Anhöhe nahe der Simmeringer Hütte: Als ob der liebe Gott persönlich das Licht aus seinen Händen über den Tiroler Alpen ausgießt, und es sich langsam messingfarben bis hinab in die Täler senkt. Und die Wanderer für einen Augenblick sogar das Fotografieren vergessen.
Ponys füttern mit Opa Toni
Diese Eindrücke mögen für einen Reisebericht aus den Alpen banal klingen. Doch sie passen gerade deshalb so wunderbar in diese Tiroler Region, weil sie Ausdruck dessen sind, worauf es den Gastgebern dort ankommt: aufs Wesentliche. Freilich hat dieses für jeden Reisenden eine andere Ausprägung. Für die Kinder sind es die Ponys, die Opa Toni abends füttert. Natürlich nicht, ohne die beglückten Knirpse beim Heuund Wasserholen einzubinden, bevor sie wieder weiter bis zur Erschöpfung auf den Abenteuerspielplätzen in der Nähe toben.
Bei den Großen mag eine dieser Wesentlichkeiten der Reise das Verspeisen einer urwüchsigen Jause sein, serviert von Andreas Riser, der nicht wenigen dieser konservativen Region als Spinner gilt. Weil er als Bio-Bauer den Verbänden mit ihren Ratschlägen zur Vergrößerung der Betriebe eine Absage erteilt hat und statt dessen alles auf eine Kleinheit setzt, die ihm, seinen Viechern und nicht zuletzt dem einmaligen Landschaftsschutzgebiet, den sogenannten „Larchwiesen“, eine Verschnaufpause verschafft.
Einer, der ganz besonders gern das Rad der Zeit anhält und sogar ein Stück weit zurückdreht, ist der Hotelier René Föger. Auch so ein Spinner. Er lässt seine Gäste im Elektrobus vom Bahnhof abholen. Sein Familien-Landhotel Stern bewirtschaftet er klimaneutral. Er hat es zur Schaltzentrale eines Tourismus’ ausgebaut, der nicht auf Teufel komm raus Sensationen aufs Plateau holt, sondern die Ursprünglichkeit dieses Flecken Erde für sich stehen lässt. Spinner auch, weil er, anstatt seine Gäste dazu aufzustacheln, mit einem Fahrrad irgendeinen Pfad in schützenswerten Wäldern hinunterzubrettern, lieber zu seiner Tante Elfi schickt. Damit die ihnen erklärt, wie man aus Schafgarbe, Löwenzahn, Spitzwegerich und Gänseblümchen das beste Butterbrot der Welt macht. Natürlich darf trotzdem ausgiebig Rad gefahren, Pony geritten und gewandert werden. Aber eben so, dass diese Leibesertüchtigungen keine hässlichen Narben am eigenen Körper oder in der Natur hinterlassen.
Das Mieminger Plateau liegt oberhalb des Tiroler Inntals auf knapp 1000 Metern Höhe. Diese Hochebene ist von allen Seiten von Bergen umgeben. Von besonderem Interesse sind die einheimisch „Larchwiesen“genannten Wiesen, die neben freien Flächen, die nur selten gemäht werden, von Lärchenbäumen dominiert sind. Aufgrund der sehr zurückhaltenden Bewirtschaftung dienen sie selten gewordenen Vogelarten als Rückzugsorte – wie auch dem Menschen. Die umfassenden naturerklärenden Angebote der Gemeinde Obsteig sorgen dafür, dass insbesondere Kinder – auch der wunderschönen Waldspielplätze wegen – einen positiven Zugang zu diesem Schutzgebiet erleben. Dass sie dabei, gesichert auf einem Stahlseil, zwischen den Bäumen rasant rutschen können, hebt den Abenteuercharakter noch.
Und die Eltern? Die können zum Beispiel bei einem weiteren Spinner vorbeischauen: Stefan Mair, der im nahe gelegenen Rietz auf sieben Hektar Obst anbaut, obwohl die anderen, von der Milchwirtschaft geprägten Bauern bis heute vereinzelt den Kopf über ihn schütteln. Doch Stefan Mair lacht darüber, als er mit Gästen einen Schnaps auf der Basis von jungen Lärchentrieben ansetzt – und ihm Kinder dabei helfen, die Pflanzenspitzen in die Flaschen zu schieben. Diese haben sie selbst gesammelt. Während der Schnaps nach zwei Wochen Reife den Eltern vorbehalten bleibt, dürfen die Kinder eine andere Spezialität aus dem Hause Mair ausgiebig testen: das selbstproduzierte Eis.
Watten mit den Einheimischen
Wenn sich schließlich die Nacht nach einem guten Essen über das Plateau senkt, ist es Zeit, die Karten herauszuholen. Hotelier Föger führt regelmäßig Gäste mit Einheimischen zusammen. Toni und Louis heißen die zum Beispiel und bringen den ahnungslosen Stadtmenschen das Watten bei. Ein Spiel, bei dem das Bluffen von größter Wichtigkeit ist, ebenso wie das lautstarke Ansagen, unter dem Zartbesaitete regelmäßig zusammenfahren.
Es stimmt natürlich, dass die Spinner auf dem Mieminger Plateau die Welt auch nicht werden retten können mit ihren Elektrobussen und der Kräuterbutter von Tante Elfie. Aber es ist eine große Freude, ihnen ein paar Tage dabei Gesellschaft zu leisten, wie sie es unbeirrt versuchen. Weitere bei Innsbruck Tourismus, A-6021 Innsbruck, Internet: Die Recherche wurde unterstützt vom TVB Innsbruck (Tourismusverband Innsbruck und seine Feriendörfer).