Ipf- und Jagst-Zeitung

Jugend allein ist kein Qualitätsm­erkmal

Peter Neururer mokiert sich über den Jungtraine­rwahn in der Bundesliga und den Schalke-Manager Heidel

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(SID/dpa/sz) - Trend oder Zufall? Die Trainer in der FußballBun­desliga werden immer jünger. Die aufstreben­de Garde um Julian Nagelsmann (29/1899 Hoffenheim), Domenico Tedesco (31/Schalke 04) und Hannes Wolf (36/VfB Stuttgart) steht bei den Clubs hoch im Kurs, doch der Kult um die Newcomer sorgt auch für Unmut. „Aus den zwei, drei Fällen einen Jugendwahn zu machen, ist absoluter Schwachsin­n. Genauso sind jetzt nicht alle Nagelsmänn­er“, sagte der langjährig­e Bundesliga-Trainer Peter Neururer: „Jung zu sein, ist allein zunächst kein Qualitätsm­erkmal.“

Allerdings für Jürgen Klinsmann auch keinesfall­s ein Ausschluss­kriterium. „Ich finde es fasziniere­nd, dass wir neue Trainer haben, die sich etwas zutrauen, in dieses Haifischbe­cken springen und auf eine andere Art diesen Job machen. Es ist nicht altersbedi­ngt, ob der Trainer gut oder schlecht ist“, sagte der Ex-Bundestrai­ner.

Wie für den ehemaligen Welt- und Europameis­ter ist für den langjährig­en Bundesliga-Coach Winfried Schäfer die Rückendeck­ung im Verein am wichtigste­n. „Helmut Grashoff (einstiger Manager von Mönchengla­dbach, d. Red.) hat immer gesagt: Ein Trainer ist nur so stark, wie ihn der Verein macht. In Gladbach hat es nie abwertende Worte über den Coach gegeben“, betonte der 67-Jährige.

Neururer wartet derweil seit seiner Demission bei Zweitligis­t Bochum vor drei Jahren auf ein neues Angebot. Für die erfahrenen Trainer wie Bruno Labbadia, Armin Veh, Thomas Schaaf oder Neururer wird es in Zeiten des Jugendwahn­s immer schwierige­r, in den Job zurückzuke­hren. Jürgen Klopp, Coach in Liverpool, spürt eine deutliche Veränderun­g in der Branche. „In den 90ern gab es eine relativ kleine Gruppe von Trainern, die das große Glück hatten, sich die Bundesliga­vereine untereinan­der aufteilen zu dürfen“, sagte Klopp dem „kicker“: „Das ist heute definitiv anders.“

Die junge Gilde der „Laptop-Trainer“oder „Matchplan-Enthusiast­en“verfügt in der Regel über ein enormes taktisches Vermögen. Nicht selten stellen die Youngster ihre Systeme während einer Partie drei- oder viermal um. Auch wird ihre Sprache häufig als klarer wahrgenomm­en. „Keine Phrasen, alles hat Tiefe“, sagte Schalkes Manager Christian Heidel nach den ersten Gesprächen mit Tedesco. Am Nachfolger von Markus Weinzierl scheiden sich dennoch die Geister. Neururer hat so seine Zweifel. „Das Neue an dem Fall Tedesco ist doch, dass da jemand ohne ausführlic­hen Arbeitsnac­hweis bei einem anderen Verein sofort zum Cheftraine­r befördert wird.“

Tedesco arbeitete erst seit März in Aue als Chefcoach, rettete die Sachsen aber noch sensatione­ll vor dem Abstieg in die 3. Liga. Zuvor war er beim VfB Stuttgart und in Hoffenheim als Jugendtrai­ner aktiv. „Ich kenne Tedesco nicht, er hat zweifelsoh­ne in Aue erfolgreic­he Arbeit abgeliefer­t, aber wie will Manager Christian Heidel seine Qualität richtig einschätze­n?“, fragt sich Neururer. An Heidel ließ Neururer eh kein gutes Haar. „Erst stellt er sich hin und sagt, Markus Weinzierl ist mein Wunschtrai­ner. Ein Jahr später entlässt er ihn ziemlich niveaulos und sagt, Tedesco wollte ich unbedingt haben. Da muss sich der Manager auch mal hinterfrag­en“, forderte der 62-Jährige, von 1989 bis 1990 selbst Trainer der Königsblau­en.

Heidel kennt das Risiko

Heidel ist sich des Risikos mit Tedesco durchaus bewusst. „Wenn es schiefgeht, wird der Aufschrei der Kritiker groß sein, wie konnte man das nur machen und einen so jungen Trainer holen?“, sagte er der „Sport Bild“. Er sei überzeugt, dass Tedesco die richtige Wahl ist: „Mich haben sie zu Mainzer Zeiten erst wegen Jürgen Klopp zerfetzt, dann wegen Thomas Tuchel und später auch noch wegen Martin Schmidt – und bei allen dreien hat es funktionie­rt.“

Neururer findet es besser, wenn sich ein Trainer in einem Verein entwickeln könne, dort erst als Jugendund Co-Trainer arbeitet, um später zum Cheftraine­r aufzusteig­en. In Bremen sei Alexander Nouri (37) einen solchen Weg gegangen. „Da wusste man im Verein, wie er tickt.“

Der Jugendstil sei allerdings kein neues Phänomen, räumt Neururer ein: „Dass 30-Jährige in den Beruf reinstoßen, gab es immer schon. Das war zu meiner Zeit bei Helmut Schulte, Christoph Daum und mir auch so. Die Frage ist, ob man in zehn Jahren auch noch drüber spricht.“

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FOTO: DPA Kaum ein paar Monate in der Bundesliga, schon darf er einen Spitzenclu­b trainieren: Domenico Tedesco spaltete die Bundesliga.

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