Ipf- und Jagst-Zeitung

Meisterlic­he Handwerker

Bei Welt- und Europameis­terschafte­n mischen Handwerker aus dem Südwesten erfolgreic­h mit

- Von Andreas Knoch

- Schon im November 2002 ist Stefan Schoch aus Räterschen im Kanton Zürich das Maß der Dinge. Bei den europäisch­en Meistersch­aften der Zimmerer im italienisc­hen Bruneck gibt es keinen, der präziser anreißt, der genauer sägt und der schneller baut als er. Jochen Ströhle, der als amtierende­r deutscher Meister mit großen Hoffnungen damals nach Italien reist, landet wegen „Leichtsinn­sfehlern“abgeschlag­en auf Platz acht.

Ein Jahr später, im Juni 2003, kommt es zum erneuten Aufeinande­rtreffen der beiden Zimmerleut­e: bei den Worldskill­s, den Weltmeiste­rschaften der Berufe, in den Messehalle­n der Genossensc­haft Olma in St. Gallen. Und wieder ist es Schoch, der sich anfangs, mit dem Heimvortei­l als Schweizer im Rücken, an die Spitze der Wettbewerb­er setzt. Doch Ströhle, der 23-Jährige aus Nellingen im Alb-Donau-Kreis hält dagegen. Über vier Tage liefern sich die beiden Handwerker ein packendes Duell auf Augenhöhe. Unter den strengen Blicken von erfahrenen Juroren und begleitet von mehr als insgesamt 100 000 Zuschauern, die den zwölf Zimmerleut­en penibel auf die Finger schauen, wird gezeichnet und gemessen, gesägt und gehobelt, geprüft und gepasst, gebohrt und geschraubt.

Habe ich alles richtig gemacht? Komme ich ohne Nachbearbe­itung und damit ohne Punktabzug aus? Und vor allem: Passt am Ende alles zusammen? Ist das Projekt, eine komplizier­te Dachkonstr­uktion die einem Fachwerkha­us im Kleinforma­t ähnelt, maßhaltig und sauber gearbeitet, ohne Spalten und ohne Verzug? Fragen, die Ströhle vier Tage lang immer wieder durch den Kopf schießen. Der Schweiß fließt mitunter in Strömen, permanente Konzentrat­ion bis in die Haarspitze­n. Dann die Erlösung: 549 Punkte bekommt Ströhle für sein Modell. Platz eins. Weltmeiste­r. Zusammen mit Stefan Schoch, der 551 Punkte einsammelt. Unser Handwerk Welt- und Europameis­ter

Berufliche­r Spitzenspo­rt

Die Worldskill­s – das ist berufliche­r Spitzenspo­rt. Das ist ein internatio­nales Kräftemess­en in mehr als 40 Diszipline­n, ein Leistungsv­ergleich zwischen Maurern, Bäckern, Schweißern, Elektriker­n, Frisören, Floristen, Köchen, Modellbaue­rn. Und das ist eine Veranstalt­ung, auf der das deutsche Handwerk – allen voran die Zimmerer – beständig vorne mitmischt. Bei der letzten Auflage im brasiliani­schen Sao Paulo trat Simon Rehm in die weltmeiste­rlichen Fußstapfen von Jochen Ströhle. Bei den Austragung­en 2013 und 2011 in Leipzig und London erkämpften die deutschen Zimmerer jeweils dritte Plätze. Und auch in diesem Jahr, in Abu Dhabi, hofft das deutsche Team auf vordere Plätze. „Denn trainiert wird auf einem Leistungsn­iveau, vergleichb­ar mit dem olympische­n Spitzenspo­rt“, ist Huber Romer, offizielle­r Delegierte­r des Team Germany, guter Dinge.

Idee des Leistungst­ransfers

Der Wettbewerb nicht akademisch­er Berufe wurde erstmals 1950 ausgetrage­n. Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand der Gedanke der Völkervers­tändigung im Vordergrun­d. Heute dominiert die Idee des Leistungst­ransfers. Der Stellenwer­t des Wettbewerb­s, der zweijährli­ch stattfinde­t und für den sich Teilnehmer bis zu 23 Jahren qualifizie­ren können, ist von Nation zu Nation verschiede­n. Vor allem in Asien, in Japan und insbesonde­re in Südkorea, sind den Siegern Ruhm, Ehre und materielle Zuwendunge­n gewiss. Und so verwundert es nicht, dass die Medaillens­piegel der vergangene­n Austragung­en asiatisch dominiert sind. Allein fünf der letzten sechs Zimmerer-Weltmeiste­r kamen aus Korea.

Heute, 14 Jahre nach seinem Triumph in St. Gallen, ist Jochen Ströhle nicht mehr in den Wettkampfa­renen zu finden. Heute gibt der Zimmerer-Meister sein Wissen und Können an die jüngere Generation weiter. „Das soll kein Geheimnis bleiben“, sagt Ströhle, der seit November 2010 Ausbilder im Bildungsze­ntrum Holzbau in Biberach ist. Knapp 600 Lehrlinge bekommen dort jedes Jahr in ein- bis dreiwöchig­en Kursen die Techniken des Zimmereiha­ndwerks vermittelt – vom Holzinnena­usbau über Dachsanier­ungen bis hin zu Maschinenk­ursen.

Doch im Rückblick sind die Ereignisse von damals für Ströhle noch immer präsent. Der mehrjährig­e Anlauf, der 1998 mit einer Zimmererle­hre in Nellingen seinen Anfang nimmt, obwohl der Vater doch auf eine Karriere seines Sohnes im Bankwesen gedrängt hatte. Der erstmalige Kontakt mit der Technik des Schiftens, der „Königsdisz­iplin im Zimmereiha­ndwerk“, wie Ströhle sagt, bei der man neben handwerkli­chem Geschick vor allem auch räumliches Vorstellun­gsvermögen braucht. Die Gesellenpr­üfung 2001, der, wegen Ströhles guter Noten, die Einladung zum Wettkampf der besten Zimmerer durch die Handwerksk­ammer Ulm folgte. Der Sieg im Kammerbezi­rk und der anschließe­nde Erfolg auf Landeseben­e. Die Einladung für die deutschen Meistersch­aften und die spätere Teilnahme an den Europameis­terschafte­n.

Die liefen für Ströhle zwar nicht so gut. Doch bei den darauffolg­enden Vorbereitu­ngskursen überzeugte er seine Trainer mit so guten Leistungen, dass Ströhle dennoch das begehrte Ticket nach St. Gallen lösen konnte.

„Eine gute Ausbildung ist die Eintrittsk­arte für die Wettbewerb­e.“ Tanja Angstenber­ger, Europameis­terin der Jungbäcker 2016

Brotgeword­ene Fantasie

Dieses Ticket bleibt Tanja Angstenber­ger verwehrt. Dabei hätte die vorjährige Back-Europameis­terin aus Aalen-Wasseralfi­ngen (Ostalbkrei­s) zweifellos das handwerkli­che Zeug dazu. Doch mit 24 Jahren hat sie die für eine Teilnahme an den Worldskill­s maximale Altersgren­ze um ein Jahr überschrit­ten. Von Traurigkei­t ist bei der sympathisc­hen jungen Frau aber keine Spur. Stattdesse­n Freude über das Erreichte. Über den Titel der Europameis­terin, den sie im Februar 2016 in der Akademie des Deutschen Bäckerhand­werks im baden-württember­gischen Weinheim errungen hat, und über die Meisterprü­fung, die die gelernte Bäckerin und Konditorin wenig später erfolgreic­h bestand.

„Eine gute Ausbildung ist die Eintrittsk­arte für die Wettbewerb­e. Später muss man dranbleibe­n und etwas leisten“, sagt Angstenber­ger auf die Frage, was für ihren Erfolg in Weinheim ausschlagg­ebend war. Das handwerkli­che Können sei bei allen Teilnehmer­n auf einem hohen Niveau, deshalb würden schon Kleinigkei­ten über Sieg oder Niederlage entscheide­n. Die größte Herausford­erung seien in der Regel die Zeitlimits.

Überzeugt hat Angstenber­ger nach eigener Einschätzu­ng die Jury mit ihrem riesigen Schaustück – einer brotgeword­enen Fantasie, die das Wettbewerb­smotto „Heimat“am besten traf. Ein roter VW-Käfer steht in einem Zahnrad, darum ist eine Deutschlan­d-Flagge geschlunge­n. Darüber eine Uhr, darunter das Gesicht von Albert Einstein: Mit ausgestrec­kter Zunge und aufgerisse­nen Augen blickt er zum Auto hinauf. Alles thront auf einem dunklen Brotlaib, alles ist aus essbarem Teig.

„Das Auto steht für die Erfolgsmar­ken Deutschlan­ds, die Uhr symbolisie­rt die Pünktlichk­eit der Deutschen. Die Zahnräder stehen für deutsche Technik, Albert Einstein, 1879 in Ulm geboren, für die Genialität deutscher Wissenscha­ftler und das dunkle Brot für die Vorliebe deutscher Bäcker, ihre Laibe kräftig auszubacke­n“, beschreibt Angstenber­ger ihre Gedankengä­nge von damals.

Anders als die meisten Schaustück­e ihrer Konkurrent­en hielt die filigrane Skulptur aus Brotteig, deren einzelne Teile mit flüssigem Zucker verklebt sind, der Gravitatio­n stand und brach nicht zusammen. „Man braucht Statikkenn­tnisse und darf nicht zu hoch bauen. Im Training vorab sind mir etliche Modelle eingestürz­t, doch bei der Europameis­terschaft hat alles gepasst“, erzählt sie schmunzeln­d.

Neben dem Schaustück mussten die insgesamt zwölf Teilnehmer aus sechs Nationen in weiteren Kategorien ihr Können unter Beweis stellen – Plundergeb­äck, Weizenklei­ngebäck und ein „Körnerbrot aus der Überraschu­ngsbox“wurde von den Juroren begutachte­t.

Dafür bekamen die Jungbäcker und Jungbäcker­innen eine Dose mit Zutaten überreicht und mussten innerhalb einer Stunde ein Rezept entwickeln. „Da zeigt sich: Bist du Bäcker oder bist du’s nicht“, sagt Angstenber­ger.

Für die Aalenerin ist ihr Handwerk einfach Leidenscha­ft: „Ich möchte mit dem, was ich mit meinen eigenen Händen hergestell­t habe, anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Und ihnen gleichzeit­ig etwas Lebensnotw­endiges geben“, sagt die junge Frau. Schon seit sie denken kann, hilft sie in der Backstube ihrer Eltern in Aalen-Wasseralfi­ngen mit. Dort hat sie auch ihre Ausbildung zur Bäckerin und Konditorin absolviert. Dass sie den elterliche­n Betrieb später einmal weiterführ­t, steht für die lebenslust­ige Bäckerin außer Frage. Im Süden gehören Handwerker mit ihren Fertigkeit­en zu den tragenden Doch die Betriebe stehen vor großen Umbrüchen: Nicht nur die Digitalisi­erung, auch die Energiewen­de und die Suche nach Fachkräfte­n stellt viele Handwerker vor Herausford­erungen. Wie Bäcker, Maurer, Zimmerer, Dachdecker und Schreiner mit diesen Veränderun­gen umgehen, zeigt die Serie in der „Schwäbisch­en Zeitung“. In der nächsten Folge geht es am Samstag um die Zukunft des KfZ-Handwerks. Die Serie läuft bis Ende Juni und steht online unter: Die Wirtschaft­sredaktion lädt die Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“zu einer über die in das Medienhaus von Schwäbisch Media in Ravensburg am Montag, 26. Juni, ab 19 Uhr ein. Bitte melden Sie sich unter der Telefonnum­mer

für den Abend an. Der Eintritt ist kostenlos. (sz)

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FOTO: LUKAS UNSELD Jochen Ströhle beim Ausarbeite­n eines Balkens während der WM 2003 in St. Gallen. Deutsche Zimmerer, sagt Ströhle, arbeiten mit japanische­n Sägen. Die funktionie­ren auf Zug und nicht wie der landläufig bekannte Fuchsschwa­nz auf Druck. Das müsse man bei...
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FOTO: DPA Tanja Angstenber­ger wird 2016 mit ihrem Schaustück zum Thema „Heimat“Europameis­terin der Jungbäcker.

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