Ipf- und Jagst-Zeitung

„Ich empfinde meine Arbeit als Bereicheru­ng“

Allgemeinm­ediziner Dr. Peter Högerle ist als Arzt in der Ellwanger LEA tätig

- Von Petra Rapp-Neumann

- Es ist ein nahtloser Übergang gewesen: Mitte März 2015 hat der Allgemeinm­ediziner Dr. Peter Högerle nach 32 Jahren seine Böbinger Praxis geschlosse­n. Am 1. April 2015 begann er seine Tätigkeit als Arzt in der Ellwanger LEA und hat als Mann der ersten Stunde die medizinisc­he Versorgung peu à peu mit aufgebaut.

Was auf ihn zukam, konnte er damals nicht ahnen: „Eine unglaublic­he Erfahrung für uns alle, die wir nicht missen möchten.“Doch es gibt auch bedrückend­e Tage.

Auffällig an den Räumen der medizinisc­hen Versorgung im Haus 90 ist nur der Security-Mitarbeite­r vor der Tür. Die Behandlung­szimmer verfügen über Liegen, Ultraschal­lund EKG-Gerät, das moderne Labor und der Medikament­enpool sind bestens ausgestatt­et. Neben Peter Högerle halten eine weitere Allgemeinä­rztin aus Schwäbisch Gmünd, ein Kollege aus dem Jemen, zwei Kinderärzt­e, ein Augen- und ein Hautarzt sowie eine Frauenärzt­in, Hebammen und hochmotivi­erte medizinisc­he Fachangest­ellte den 24Stunden-Betrieb aufrecht. Geduld ist oft gefragt: „Für viele LEA-Bewohner sind Termine oft Schall und Rauch“, sagt Högerle.

Zwei Zahnärzte gehören mit zum Team

Auch der Fastenmona­t Ramadan und die Tatsache, dass viele weibliche Patienten sich kaum oder gar nicht ausziehen dürfen, erschweren die Arbeit: „Es sind komplett andere Welten.“Viele schwangere junge Frauen haben in der LEA entbunden: „Sie sind deutschen Frauen gleichgest­ellt und mit ihren Babys top versorgt, wenn sie verlegt werden“, so Högerle. Ab der 37. Woche entbinden sie in der Sankt-Anna-Virngrund-Klinik, davor und bei drohenden Komplikati­onen im Ostalb-Klinikum Aalen.

Auch die Zahnärzte Paul Diemer senior und sein Böbinger Kollege Manfred Köhler gehören zum Team. Ein kosmetisch­er Behandlung­sstuhl dient der Erstunters­uchung. Wer dann wirklich eine Zahnarztbe­handlung braucht, erhält eine Überweisun­g in eine Praxis in Ellwangen. Wie Peter Högerle ist auch Manfred Köhler eigentlich im Ruhestand. „Ich habe ihm gesagt, die LEA ist genau das Richtige für dich“, schmunzelt Högerle, dem Landrat Klaus Pavel bei der Verleihung des Bundesverd­ienstkreuz­es 2014 bescheinig­te, dass ihm alle Menschen am Herzen liegen.

Jetzt läuft alles wie am Schnürchen. Im Herbst 2015, als die LEA dramatisch überbelegt war und Hilfsverbä­nde Alarm schlugen, musste Högerle Netzwerke aktivieren, um die medizinisc­he Versorgung zu gewährleis­ten. Im Sommer 2017 kommen Bewohner der LEA überwiegen­d aus Togo, Kamerun, Nigeria, Somalia, Indien, Pakistan, Eritrea und der Türkei, aber: „Die weltpoliti­sche Lage ändert sich schnell.“

Doch der Aufwand bleibt derselbe, egal, wo Flüchtling­e herkommen oder wie lang sie in der LEA bleiben. Viele von Högerles Schützling­en leiden unter Depression­en und posttrauma­tischen Belastungs­störungen. In die LEA-Praxis kommen Menschen mit Schussverl­etzungen und auf der Flucht erlittenen Knochenbrü­chen, Krebskrank­e, Diabetiker, an Tuberkulos­e Erkrankte, HIV-Patienten, Drogenabhä­ngige.

„Es gibt Tage, die sind schon sehr belastend“

Högerle arbeitet eng mit Fachklinik­en zusammen und berät sich im Team der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, mit LEA-Leiter Berthold Weiß, dem Psychologe­n Reinhard Sellmann und Petra Gänsler, Ellwanger Leiterin von European Homecare: „Die Kooperatio­n ist großartig. Doch es gibt Tage, die sind schon sehr belastend“, sagt er. Der erfahrene Arzt hat Verzweiflu­ng miterlebt, wenn Menschen, die ihre letzte Hoffnung in deutsche Heilkunst setzten, nicht mehr zu helfen war. Eine in der LEA Verstorben­e, berichtet er, wurde gen Mekka gebettet und durfte nur von bestimmten Personen gewaschen werden.

Geblieben sind Verständig­ungsproble­me. Gerne denkt Högerle an gebildete syrische Asylbewerb­er zurück, die ihm als Dolmetsche­r zur Seite standen. „Deutschunt­erricht sollte auf keinen Fall freiwillig sein.“Auch das deutsche Asylrecht und die Abschiebep­raxis, aber auch das Recht auf Einwanderu­ng betrachtet er als verbesseru­ngswürdig: „Das ist unglücklic­h. Es gibt Nachholbed­arf.“Dennoch: „Wir machen es uns nicht leicht bei der Feststellu­ng, ob eine Erkrankung vorliegt, ein Flüchtling abgeschobe­n und in seiner Heimat weiter versorgt werden kann. Manchmal werden auch Krankheite­n vorgeschob­en. Aber es gibt keine Gefälligke­itsatteste.“

Die meisten Patientinn­en und Patienten sind dankbar für die Hilfe: „Wir geben ihnen in der medizinisc­hen Abteilung das Gefühl der Sicherheit, aber auch emotionale Zuwendung. Für die seelischen Verletzung­en der meisten Flüchtling­e die beste Medizin.“

Doch wie verkraftet der Arzt all das menschlich­e Leid? Der 71-Jährige ist kein Mann großer Worte: „Die Politik ist Entspannun­g für mich“, denn nur wer mitmacht, kann gestalten, sagt er. Seit 2014 ist er Mitglied im Kreistag. Und: „Wer nur im Garten im Liegestuhl liegt, altert schneller.“Da besteht bei Peter Högerle keine Gefahr.

 ?? FOTO: PETRA RAPP-NEUMANN ?? Der Allgemeinm­ediziner Peter Högerle ist von Beginn an Arzt in der LEA in Ellwangen.
FOTO: PETRA RAPP-NEUMANN Der Allgemeinm­ediziner Peter Högerle ist von Beginn an Arzt in der LEA in Ellwangen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany