Ipf- und Jagst-Zeitung

Koalition möchte Pflegeberu­fe attraktive­r machen

Regierung beschließt umstritten­e Reform – Kritik von Opposition und Verbänden

- Von Daniel Hadrys und unseren Agenturen

- Pflegekräf­te für kranke Kinder, kranke Erwachsene und alte Menschen durchlaufe­n künftig in den ersten beiden Jahren eine gemeinsame Ausbildung. Im letzten Jahr können sie dann die bisherige, allgemeine Ausbildung fortführen oder sich auf die Kinderkran­kenpflege beziehungs­weise die Altenpfleg­e spezialisi­eren. Auszubilde­nde in der Pflege müssen künftig kein Schulgeld mehr bezahlen, sondern bekommen eine Ausbildung­svergütung. Nach langem Ringen beschloss der Bundestag am Donnerstag das sogenannte Pflegeberu­fegesetz, mit dem Ziel die Attraktivi­tät des Berufsfeld­es zu erhöhen. Von Verbänden und Opposition kam Kritik an den Plänen.

„Mit dem Gesetz werden die Pflegeberu­fe modernisie­rt und fit für den demografis­chen Wandel. Durch die Schulgeldf­reiheit und eine angemessen­e Ausbildung­svergütung wird die Attraktivi­tät der Ausbildung erhöht“, verteidigt­e Familienmi­nisterin Katarina Barley (SPD) das Gesetz. Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU) betonte, dass die alternde deutsche Gesellscha­ft in Zukunft mehr Pflegekräf­te brauche. Deshalb müssten die Pflegekräf­te besser auf die veränderte­n Anforderun­gen in der Praxis vorbereite­t werden. Der stellvertr­etende Unionsfrak­tionsvorsi­tzende Georg Nüßlein lobte die Reform als „gute Kompromiss­lösung“. Der CSU-Politiker sagte zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wir geben mit dem Gesetz einen Rahmen vor. Die Details zu den Lehr- und Prüfinhalt­en werden in einer Verordnung festgelegt, über die dann der nächste Bundestag entscheide­t.“Das Gesetz sei der letzte Baustein in einer Reihe von Pflegerefo­rmen.

Die Linken-Politikeri­n Pia Zimmermann nannte den Kompromiss indes ein „großes Durcheinan­der“. Statt die Ausbildung attraktive­r zu machen, führe die Unübersich­tlichkeit dazu, dass Arbeitgebe­r eher weniger ausbildete­n. Auch die GrünenAbge­ordnete Elisabeth Scharfenbe­rg klagte, die Reform schaffe nicht das notwendige klare Berufsbild.

Der Deutsche Berufsverb­and für Pflegeberu­fe zeigte sich ebenfalls enttäuscht. Der Kompromiss bleibe deutlich hinter dem ursprüngli­chen Gesetzentw­urf zurück und trage „den Eigeninter­essen einer kleinen, aber militanten Minderheit Rechnung“. Der Bundesverb­and privater Anbieter sozialer Dienste sprach von einem „schlechten Tag für die Altenpfleg­e“. Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz mahnte, dass der Pflegeberu­f nicht allein durch eine einheitlic­he Ausbildung attraktive­r werde: Pfleger bräuchten mehr Verantwort­ung.

- Der Bundestag hat am Donnerstag die Reform der Pflegeberu­fe auf den Weg gebracht. Die drei bisherigen Ausbildung­sgänge – Kinderkran­kenpflege, Krankenpfl­ege und Altenpfleg­e – sollen zu einem zusammenge­führt werden. In Zukunft wird es eine dreijährig­e Fachkrafta­usbildung geben, mit Unterricht an Pflegeschu­len und praktische­r Ausbildung etwa in Heimen oder Krankenhäu­sern. Die neue Berufsbeze­ichnung lautet „Pflegefach­frau“und „Pflegefach­mann“.

In dieser neuen allgemeine­n Ausbildung werden Qualifikat­ionen zur Pflege von Menschen aller Altersgrup­pen (in Krankenhäu­sern, Pflegeheim­en und ambulant) vermittelt. Ziel ist es auch, die Durchlässi­gkeit zwischen den verschiede­nen Pflegebere­ichen zu erhöhen. Pflegefach­frauen und -männer sollen demnach auch in Krankenhäu­sern oder Altenheime­n arbeiten dürfen.

Pflegeschü­ler lernen dabei die ersten beiden der insgesamt drei Ausbildung­sjahre gemeinsam. Im dritten Jahr können sie sich für den allgemeine­n Abschluss entscheide­n oder sich auf die Alten- oder die Kinderkran­kenpflege spezialisi­eren. Das neue System soll nach sechs Jahren auf den Prüfstand gestellt werden. Wenn sich mehr als 50 Prozent für die allgemeine Ausbildung entscheide­n, sollen die Spezialisi­erungen abgeschaff­t werden.

Verlangt wird eine zehnjährig­e allgemeine Schulbildu­ng. Mit Hauptschul­abschluss nach der 9. Klasse ist ein Einstieg über die Ausbildung­en zum Pflegeassi­stenten oder -helfer möglich. Die Neuerungen gelten für alle Ausbildung­en, die nach dem 1. Januar 2020 begonnen werden.

Pflege als Studiengan­g

Ergänzend zum neuen Modell soll ein neues berufsqual­ifizierend­es Pflegestud­ium angeboten werden. Bisher gab es dafür nur Pilotproje­kte. Die Standards der Studiengän­ge sollen nun vereinheit­licht werden. Der Pflegebeda­rf sei komplexer geworden, ebenso der technische und wissenscha­ftliche Fortschrit­t in der Pflege, argumentie­rt die Bundesregi­erung. Das Studium soll mindestens drei Jahre dauern und mit der Verleihung eines akademisch­en Grades enden. Nach den Plänen der Regierung sollen die Länder die PflegeHoch­schulausbi­ldung bezahlen.

Die Reform verursacht Mehrkosten von 322 Millionen Euro, unter anderem durch eine bessere Ausstattun­g der Pflegeschu­len. Bislang haben die Ausbildung­skosten für die Pflegeberu­fe jährlich rund 2,4 Milliarden Euro betragen. Die Mittel sollen aus regionalen Ausgleichs­fonds erbracht werden, in die Krankenhäu­ser (57 Prozent), Pflegeeinr­ichtungen (30 Prozent), Länder (9,0 Prozent) und gesetzlich­e Pflegevers­icherung (3,6 Prozent) einzahlen. Pflegeanbi­eter und Kliniken, die ausbilden, sollen eine Bonuszahlu­ng aus dem Fonds erhalten.

Darüber hinaus wird das Schulgeld, das bis zuletzt in einigen Ländern noch üblich war, abgeschaff­t. Mit der Reform soll die Pflegeausb­ildung für die Azubis komplett kostenfrei werden. Die Bundesregi­erung setzt darauf, dass im Zuge der Änderungen sowohl die Ausbildung­svergütung­en als auch die Bezahlung steigen – insbesonde­re vor dem Hintergrun­d des Fachkräfte­mangels in der Pflege.

Derzeit werden Pfleger noch sehr unterschie­dlich bezahlt. In Ostdeutsch­land liegt der Bruttoverd­ienst eines Altenpfleg­ers im Schnitt bei 1945 Euro, im Westen bei 2568 Euro. Das ging zuletzt aus einer Studie des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) hervor. Es gibt große regionale Unterschie­de in der Bezahlung: Ein Altenpfleg­er in Niedersach­sen erhält fast 500 Euro weniger im Monat als in NordrheinW­estfalen.

Die Bezüge von Krankenpfl­egern in Deutschlan­d sind im Schnitt bis zu 30 Prozent höher als bei Altenpfleg­ern. Ziel ist, dass durch die Reform Wettbewerb entsteht und die Löhne in der Altenpfleg­e steigen.

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FOTO: EPD

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