Auf dem Weg nach oben
Thyssen Krupp stellt in Rottweil ersten Aufzug ohne Seile und mit Magnet-Technik vor
Hoch hinaus will der Stahlgigant ThyssenKrupp: Mit der Präsentation des ersten Aufzugs ohne Seiltechnik hat der Konzern im Rottweiler Testturm (Foto: imago) am Donnerstag eine neue Ära der Fahrstuhltechnik eingeläutet. Das Unternehmen stellte das erste seillose und auch seitwärts fahrende Aufzugsystem „Multi“vor. Damit kann nicht mehr nur eine Kabine pro Schacht auf- und abfahren, sondern viele Kabinen können unabhängig voneinander vertikal und horizontal in einem Gebäude unterwegs sein.
- Nicht weniger als eine Revolution fand gestern in Rottweil statt, wenn man Thyssen Krupp Elevator glauben darf. Ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme des 246 Meter hohen Testturms im Industriegebiet Berner Feld hat der Essener Konzern am Donnerstag den weltweit ersten Aufzug ohne Seile vorgestellt. Der Multi, so der Name, wird per Magnenetschwebetechnik angetrieben, er kann sich vertikal und horizontal bewegen.
Damit rückt der legendäre Stahlkonzern immer mehr von seinem früheren Stammgeschäft ab. Es ist eine zwangsläufige Entwicklung angesichts der Fakten: Länder wie China oder Indien produzieren ungleich billiger, in Europa sind Überkapazitäten entstanden, die Preise fielen immer mehr. Dessen ungeachtet baute Thyssen Krupp gigantische Stahlwerke in Brasilien und den USA. Sie erwiesen sich als verhängnisvolle Fehlinvestitionen und brachten den Konzern bedrohlich ins Schlingern. Rund zwölf Milliarden Euro haben die beiden Stahlwerke Thyssen Krupp bisher gekostet.
Seit 2011 versucht der Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Erste Erfolge haben sich zwar eingestellt: Thyssen Krupp ist zu einem Mischkonzern mit der Produktion von Autoteilen, Anlagen, Maschinen, Fahrtreppen, Schiffen und vor allem Aufzügen geworden. Das Stahlgeschäft erwirtschaftet nur noch ein Viertel des Umsatzes, weist aber immer noch rund 27 000 Mitarbeiter auf. Die Krise ist längst nicht überstanden, im Gegenteil, der Brexit hat sie wieder verschärft. Im Stahlgeschäft sind nach Angaben der IG Metall rund 4000 Arbeitsplätze gefährdet.
Umso mehr setzt Thyssen Krupp auf die Aufzugssparte. Sie gilt als das große Versprechen für die Zukunft. Die Umsätze steigen ebenso wie die Aussichten auf weitere gute Geschäfte.
Mit einem Umsatz von 7,5 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2015/2016 und Kunden in 150 Ländern ist Thyssen Krupp Elevator nach seinem Markteintritt vor 40 Jahren zu einem der weltweit fünf führenden Aufzugsunternehmen geworden. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 50 000 Mitarbeiter.
Thyssen Krupp Elevator setzt auf einen „unaufhaltsamen Trend“, wie Fachleute meinen: Einerseits drängten immer mehr Menschen in die Metropolen der Welt, andererseits werde der Platz immer enger, was zum Bau von immer mehr und immer höheren Hochhäusern führe, was wiederum mehr und vor allem innovative Aufzüge bedinge.
In diesem Markt soll der Multi künftig eine führende Rolle spielen. Mit seinen Vorzügen sei er dazu prädestiniert, sagt Andreas Schierenbeck, der Vorstandsvorsitzende: „Das ist eine der der wegweisendsten Innovationen der Industrie seit dem 19. Jahrhundert.“Statt eine Kabine pro Schacht auf- und abfahren zu lassen, biete der Multi die Möglichkeit, viele Kabinen unabhängig voneinander zirkulieren zu lassen, vergleichbar mit einem U-Bahn-System im Gebäude. Der Multi werde die Art, wie sich Menschen in ihrer gebauten Umwelt bewegen, „fundamental verändern“. Er könne Wartezeiten deutlich verringern und sorge für einen erheblichen Gewinn an Nutzfläche in Gebäuden.
Noch ist der Prototyp im Rottweiler Testturm nicht serienreif. Noch tüfteln Ingenieure an Detail. Noch sind etliche Zertifikate und die Abnahme durch den Tüv nötig. Trotzdem konnte Schierenbeck bereits am Donnerstag den ersten Käufer verkünden: Der Immobilienentwickler Real Estate wird im neuen East Side Tower in Berlin verschiedene MultiSysteme installieren. Weitere Geschäfte bahnten sich an: Auch potenzielle Kunden aus Asien und den USA verfolgten gestern gebannt die Präsentation der Weltneuheit.