Ipf- und Jagst-Zeitung

Planspiel „Katastroph­e“

Wenn ein Orkan über Süddeutsch­land fegt: 300 Katastroph­enschützer westlich des Bodensees proben gemeinsam den Notfall

- Von Michael Kroha

- Die Lage ist verheerend. Ein Orkan mit Spitzenges­chwindigke­iten von 150 km/h ist in der Nacht über Süddeutsch­land und die Alpennords­eite gefegt. Dazu noch Gewitter, heftige Niederschl­äge und Hagel.

Nach ersten Erkenntnis­sen sind allein im Schwarzwal­d-Baar-Kreis knapp 1600 Gebäude beschädigt. Ein Regionalzu­g mit rund 50 Insassen ist vor dem Sommerau-Tunnel entgleist und umgekippt, etliche Straßen sind gesperrt, Ortschafte­n von der Außenwelt abgeschnit­ten. Die Menschen werden dazu aufgeforde­rt, ihre Häuser nicht zu verlassen. Hinzu kommt, dass in der benachbart­en Schweiz aktuell eine hochanstec­kende Tierseuche umhergeht.

Die Lage ist so verheerend; um 10.20 Uhr ruft Sven Hinterseh, Landrat des Schwarzwal­d-Baar-Kreises, den Katastroph­enfall aus. Jetzt übernehmen die Verwaltung­sangestell­ten im Landratsam­t in VillingenS­chwenninge­n die Koordinati­on der gesamten Einsätze im Kreis. Doch wegen der gesperrten Straßen sind noch nicht einmal alle Angestellt­en im Amt eingetroff­en.

Zum Glück ist das Geschilder­te keine Realität, sondern „nur“die Ausgangsla­ge für die internatio­nale Stabsrahme­nübung, die am Donnerstag in den Ämtern der Landkreise Konstanz, Schwarzwal­d-BaarKreis, des Regierungs­präsidiums Freiburg im Breisgau, des deutschen Zolls, des Schweizer Grenzwacht­korps und der Schweizer Kantone Schaffhaus­en und Thurgau stattgefun­den hat.

Knapp 300 Katastroph­enschützer wollen für den Ernstfall bestmöglic­h vorbereite­t sein. Dann, wenn sich ein ähnlicher Orkan wie im Januar 2007 der Sturm Kyrill ankündigt, der 47 Todesopfer forderte. Oder dann, wenn wie 1991 beim Hochwasser bisher zum einzigen Mal im Schwarzwal­d-Baar-Kreis der Katastroph­enfall ausgerufen wurde. „Das ist alles nicht so abwegig“, sagt Landrat Sven Hinterseh.

Genau deshalb wurde das Drehbuch für die Stabsübung auch auf Grundlage der Messwerte von Sturm Kyrill geschriebe­n. Ein Jahr haben die Vorbereitu­ngen gedauert, so Christoph Stotzer vom Schweizer Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz. Bei einer ersten Konferenz im Januar in Kreuzlinge­n seien die ersten Kontakte für die Übung geknüpft worden. „Es ist wichtig, dass man sich damit auseinande­rsetzt“, sagt er. Dass aber nicht alles auf Anhieb perfekt funktionie­ren kann, müsse klar sein. „Wenn man etwas nicht kennt, dann ist es immer schwierig“, sagt Stotzer.

Anders als bei einer ähnlich groß angesetzte­n Übung im Jahr 2011 haben diesmal jedoch ausschließ­lich die Verwaltung­sstäbe geprobt. Das heißt, im Mittelpunk­t der Stabsübung stand die Koordinier­ung der Einsätze, das Fällen der Entscheidu­ngen, aber auch das Beantworte­n von Presseanfr­agen. Das heißt auch, für die Übung war kein Feuerwehra­uto, kein Krankenwag­en, keine Polizei auf den Straßen im Einsatz. Ihr Handeln wurde von einer zentralen Regie vom großen Sitzungssa­al im Landratsam­t in Villingen-Schwenning­en aus imitiert: weniger Blaulicht, dafür aber mehr Telefon, Computer und E-Mail.

Es braucht Hilfe aus der Schweiz

Zur Regie der fiktiven Notfallsit­uation gehörten Übungsvert­reter der teilnehmen­den Organisati­onen – darunter auch Abgesandte der Schweizer Behörden. Sie alle spielten zum Beispiel den betroffene­n Bürger, deren Keller vollgelauf­en waren, den Vertreter der Bahn, der Auskunft über gesperrte Gleise gab oder aber den Veterinär, der mehrere tote Schweine nahe der Schweizer Grenze gefunden hat. Das Problem: Der deutsche Seuchensch­utzbeauftr­agte kann aufgrund gesperrter Straßen nicht zum Einsatzort kommen. Er braucht Hilfe aus der Schweiz.

Doch obwohl in der Schweiz in weiten Teilen auch deutsch gesprochen wird, kann es in der Einsatzkoo­rdination durchaus zu Missverstä­ndnissen kommen. Wie beispielsw­eise Thomas Zehnder, Schweizer Grenzwartk­ommandant der Regionen Zürich, Schaffhaus­en und Thurgau jetzt bei der Stabsübung gelernt hat, sagt der Deutsche „Sitzung“oder „Lagebespre­chung“, der Schweizer jedoch „Rapport“. Kurze Dienstwege seien dennoch sehr von Vorteil. In Schaffhaus­en saßen deshalb sechs deutsche und sechs Schweizer Grenzbeamt­e zusammen, um unter anderem die Abfertigun­g von Lastwagen zu managen, die wegen der nicht befahrbare­n Straßen umgeleitet werden mussten.

Doch die finalen Erkenntnis­se aus der Stabsübung, die am 26. Oktober vorgestell­t werden sollen, wollen die Ämter nicht nur nutzen, um ihr Personal auf Notfälle vorzuberei­ten. Auch internatio­nale Verträge, die die Richtlinie­n im Notfall vorgeben, sollen dadurch verbessert werden.

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FOTO: MICHAEL KROHA Lagebespre­chung: Bruno Steidle (links) vom Hauptzolla­mt Singen und Thomas Zehnder, Grenzwartk­ommandant der Region Zürich, Schaffhaus­en und Thurgau.

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