Planspiel „Katastrophe“
Wenn ein Orkan über Süddeutschland fegt: 300 Katastrophenschützer westlich des Bodensees proben gemeinsam den Notfall
- Die Lage ist verheerend. Ein Orkan mit Spitzengeschwindigkeiten von 150 km/h ist in der Nacht über Süddeutschland und die Alpennordseite gefegt. Dazu noch Gewitter, heftige Niederschläge und Hagel.
Nach ersten Erkenntnissen sind allein im Schwarzwald-Baar-Kreis knapp 1600 Gebäude beschädigt. Ein Regionalzug mit rund 50 Insassen ist vor dem Sommerau-Tunnel entgleist und umgekippt, etliche Straßen sind gesperrt, Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten. Die Menschen werden dazu aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen. Hinzu kommt, dass in der benachbarten Schweiz aktuell eine hochansteckende Tierseuche umhergeht.
Die Lage ist so verheerend; um 10.20 Uhr ruft Sven Hinterseh, Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises, den Katastrophenfall aus. Jetzt übernehmen die Verwaltungsangestellten im Landratsamt in VillingenSchwenningen die Koordination der gesamten Einsätze im Kreis. Doch wegen der gesperrten Straßen sind noch nicht einmal alle Angestellten im Amt eingetroffen.
Zum Glück ist das Geschilderte keine Realität, sondern „nur“die Ausgangslage für die internationale Stabsrahmenübung, die am Donnerstag in den Ämtern der Landkreise Konstanz, Schwarzwald-BaarKreis, des Regierungspräsidiums Freiburg im Breisgau, des deutschen Zolls, des Schweizer Grenzwachtkorps und der Schweizer Kantone Schaffhausen und Thurgau stattgefunden hat.
Knapp 300 Katastrophenschützer wollen für den Ernstfall bestmöglich vorbereitet sein. Dann, wenn sich ein ähnlicher Orkan wie im Januar 2007 der Sturm Kyrill ankündigt, der 47 Todesopfer forderte. Oder dann, wenn wie 1991 beim Hochwasser bisher zum einzigen Mal im Schwarzwald-Baar-Kreis der Katastrophenfall ausgerufen wurde. „Das ist alles nicht so abwegig“, sagt Landrat Sven Hinterseh.
Genau deshalb wurde das Drehbuch für die Stabsübung auch auf Grundlage der Messwerte von Sturm Kyrill geschrieben. Ein Jahr haben die Vorbereitungen gedauert, so Christoph Stotzer vom Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Bei einer ersten Konferenz im Januar in Kreuzlingen seien die ersten Kontakte für die Übung geknüpft worden. „Es ist wichtig, dass man sich damit auseinandersetzt“, sagt er. Dass aber nicht alles auf Anhieb perfekt funktionieren kann, müsse klar sein. „Wenn man etwas nicht kennt, dann ist es immer schwierig“, sagt Stotzer.
Anders als bei einer ähnlich groß angesetzten Übung im Jahr 2011 haben diesmal jedoch ausschließlich die Verwaltungsstäbe geprobt. Das heißt, im Mittelpunkt der Stabsübung stand die Koordinierung der Einsätze, das Fällen der Entscheidungen, aber auch das Beantworten von Presseanfragen. Das heißt auch, für die Übung war kein Feuerwehrauto, kein Krankenwagen, keine Polizei auf den Straßen im Einsatz. Ihr Handeln wurde von einer zentralen Regie vom großen Sitzungssaal im Landratsamt in Villingen-Schwenningen aus imitiert: weniger Blaulicht, dafür aber mehr Telefon, Computer und E-Mail.
Es braucht Hilfe aus der Schweiz
Zur Regie der fiktiven Notfallsituation gehörten Übungsvertreter der teilnehmenden Organisationen – darunter auch Abgesandte der Schweizer Behörden. Sie alle spielten zum Beispiel den betroffenen Bürger, deren Keller vollgelaufen waren, den Vertreter der Bahn, der Auskunft über gesperrte Gleise gab oder aber den Veterinär, der mehrere tote Schweine nahe der Schweizer Grenze gefunden hat. Das Problem: Der deutsche Seuchenschutzbeauftragte kann aufgrund gesperrter Straßen nicht zum Einsatzort kommen. Er braucht Hilfe aus der Schweiz.
Doch obwohl in der Schweiz in weiten Teilen auch deutsch gesprochen wird, kann es in der Einsatzkoordination durchaus zu Missverständnissen kommen. Wie beispielsweise Thomas Zehnder, Schweizer Grenzwartkommandant der Regionen Zürich, Schaffhausen und Thurgau jetzt bei der Stabsübung gelernt hat, sagt der Deutsche „Sitzung“oder „Lagebesprechung“, der Schweizer jedoch „Rapport“. Kurze Dienstwege seien dennoch sehr von Vorteil. In Schaffhausen saßen deshalb sechs deutsche und sechs Schweizer Grenzbeamte zusammen, um unter anderem die Abfertigung von Lastwagen zu managen, die wegen der nicht befahrbaren Straßen umgeleitet werden mussten.
Doch die finalen Erkenntnisse aus der Stabsübung, die am 26. Oktober vorgestellt werden sollen, wollen die Ämter nicht nur nutzen, um ihr Personal auf Notfälle vorzubereiten. Auch internationale Verträge, die die Richtlinien im Notfall vorgeben, sollen dadurch verbessert werden.