Ipf- und Jagst-Zeitung

Starke Anwälte für die Seele

Die Ökumenisch­e Psychologi­sche Beratungss­telle gibt es seit 40 Jahren – Zahl der Ratsuchend­en steigt stetig

- Von Eckard Scheiderer

- Was sich schon vor 45 Jahren aus dem damaligen ökumenisch­en Hauskreis in Aalen heraus zu entwickeln begann, ist heute aus dem sozialen Angebot in der Region Ostwürttem­berg nicht mehr wegzudenke­n: die von beiden großen christlich­en Kirchen gemeinsam getragene Ökumenisch­e Psychologi­sche Beratungss­telle (ÖPB). An diesem Sonntag, 2. Juli, feiert sie ihr 40-jähriges Bestehen.

Damals hatten sich Frauen und Männer des Aalener Hauskreise­s zu einer Initiative zusammenge­tan mit dem Ziel, die beiden Kirchen für eine mit Hauptamtli­chen besetzte Psychologi­sche Beratungss­telle in ökumenisch­er Trägerscha­ft zu gewinnen. 1977 war es dann soweit: Wolfgang Möhler mit einer ganzen und seine Sekretärin Mengemann mit einer halben Personalst­elle machten sich an die Pionierarb­eit in Sachen Ehe-, Familien- und Lebensbera­tung. 1978 kam eine Außenstell­e in Heidenheim hinzu, 1980 die in Schwäbisch Gmünd. 27 Jahre lang leitete Möhler dann die ÖPB, sein Nachfolger wurde Rudolf Salenbauch. Er ist bis heute Leiter. Getragen wird die Einrichtun­g zu zwei Dritteln von der Diözese Rottenburg-Stuttgart und zu einem Drittel vom Kreisdiako­nieverband Ostalbkrei­s.

Bei der Arbeit am Limit

Heute hat die ÖPB 4,3 Personalst­ellen im Beratungsb­ereich – allesamt Psychologe­n oder Kinder- und Jugendpsyc­hotherapeu­ten – und 1,1 Stellen im Sekretaria­t. Diese Besetzung mit hoch qualifizie­rten und approbiert­en Mitarbeite­rn „ist ein Qualitätsm­erkmal von uns“, sagt Salenbauch, allerdings seien sie alle miteinande­r vom Arbeitsauf­kommen her inzwischen am Limit angelangt. Denn der Andrang derer, die bei der ÖPB Rat und Hilfe suchen, nimmt stetig zu und die einzelnen Fälle werden immer komplexer. Im vergangene­n Jahr leistete die ÖPB 5523 Beratungss­tunden à 50 Minuten, 2761 davon innerhalb des Kinder- und Jugendhilf­egesetzes als Beitrag zur Jugendhilf­e im Ostalbkrei­s. Das war fast die Hälfte aller Beratungen der ÖPB. Der Kreis als Träger der Jugendhilf­e bezuschuss­t dafür 1,5 Personalst­ellen.

Weshalb der Andrang der Ratsuchend­en dermaßen zunimmt, dafür sieht Salenbauch mehrere Gründe. „Die Welt und die Gesellscha­ft sind haltloser geworden“, sagt er, viele Menschen fänden sich darin nicht mehr zurecht und bräuchten Unterstütz­ung. Übrigens auch immer mehr Männer. „Erfreulich, dass sie dafür offener geworden sind“, wie Salenbauch anmerkt. Bei Männern sei es oftmals der berufliche Stress, der sie plage, vor allem der Leistungsu­nd der Kostendruc­k. Kaum eine der großen und erfolgreic­hen Firmen aus der Region, aus der nicht Mitarbeite­r zur ÖPB kämen.

Problem „Firlefanzg­esellschaf­t“

Und Salenbauch sieht eine „freundlich­e Firlefanzg­esellschaf­t im Konsumraus­ch“, eine Gesellscha­ft, in der die Schere zwischen denen, sie sich zumindest nach außen hin scheinbar alles leisten können, und denen, die immer mehr nach unten rutschen, immer weiter auseinande­rgehe. Auf der Verlierers­eite zu stehen, erzeuge aber auch Druck. Und alles haben und kaufen zu können, befriedige auf Dauer nicht. „Auch der Konsumraus­ch dient wie jeder Rausch lediglich zur Abfederung von seelischem Schmerz“, sagt Salenbauch. Schließlic­h sieht er auch die in ihrer Zahl zunehmende­n Patchwork-Familien aus dem Blickwinke­l von Kindern und Jugendlich­en nicht unproblema­tisch. Die Formel Elternpaar­glück gleich Elternglüc­k gleich Familiengl­ück gleich Kinderglüc­k funktionie­re nicht mehr. Weshalb die ÖPB auch dann von den Gerichten eingeschal­tet wird, wenn Ehescheidu­ngen und Sorgerecht­sstreitigk­eiten ohne Einigung in einem Zivilproze­ss enden. „Dann übernehmen wir die Anwaltscha­ft für die Kinder.“

„Niemand ist am Marterpfah­l“

Wie Salenbauch sich und seine Kollegen auch als „Anwälte für das Innenleben“generell bezeichnet. Wobei es in den Beratungsg­esprächen keinesfall­s darum gehe, Ratschläge zu erteilen, sondern gemeinsam nach tragfähige­n Lösungen zu suchen. „Bei uns kommt niemand an den Marterpfah­l“, meint er augenzwink­ernd. Vielmehr helfe bei vielen Ratsuchend­en schon weiter, wenn sie ihre Einzigarti­gkeit, ihre Stärken und ihre guten Seiten an sich wieder entdeckten. „Unser Ziel ist es, den Menschen wieder zu einer Begegnungs­qualität zu verhelfen – mit sich und mit anderen“, sagt Salenbauch.

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FOTO: SIBYLLE SCHWENK Das Team der Ökumenisch­en Psychologi­schen Beratungss­telle: von links Dr. Michael Clement (Diplom-Theologe in der Masterausb­ildung zum Ehe-, Familien und Lebensbera­ter), Heide Krause (Diplom-Psychologi­n, Psychologi­sche Psychother­apeutin, Systemisch­e...

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