Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Venus wird Welterbe

Sechs Höhlen im Ach- und Lonetal, Fundorte von Kunst aus der Eiszeit, sind jetzt Teil des Weltkultur­erbes

- Von Tobias Götz

Sechs Höhlen der Schwäbisch­en Alb zählen ab sofort zum Welterbe der Unesco – darunter der Hohle Fels bei Schelkling­en. In der Höhle wurden spektakulä­re Urzeitfund­e gemacht, unter anderem die berühmte Venus (Foto: Roland Rasemann). Die Höhlen sind Deutschlan­ds 42. Welterbest­ätte. „Die Auszeichnu­ng ist eine große Ehre“, sagte Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Die Fundstätte­n „zeigen, dass die Wiege der Kunst und der Musik im Ach- und Lonetal zu finden ist“.

- Die sechs Höhlen im Ach- und Lonetal sind am Sonntag von der Unesco bei ihrer Tagung im polnischen Krakau zum Weltkultur­erbe ernannt worden. Lediglich 15 Minuten dauerte die Beratung, bevor die Höhlen der ältesten Eiszeitkun­st auf der Schwäbisch­en Alb in die begehrte Welterbe-Liste aufgenomme­n wurden. Die sechs Höhlen in Baden-Württember­g gelten als eines der wichtigste­n Ausgrabung­sgebiete für Archäologe­n – sie bergen einige der ältesten Kunstwerke der Menschheit, darunter die Venus vom Hohle Fels aus Schelkling­en, aus Elfenbein gefertigte Miniaturen von Wildpferde­n, Mammuts, Löwen, Bären und Vögeln sowie Flöten aus Vogelknoch­en.

Als der Vorsitzend­e des UnescoKomi­tees, der polnische Historiker Jacek Purchla, um 12.39 Uhr am Sonntag seinen kleinen Holzhammer auf den Tisch mit dem Wort „adopted“knallt, ist die Entscheidu­ng gefallen. Der Alb-Donau-Kreis mit seinen fünf und der Kreis Heidenheim mit einer Höhle gehören fortan zum Unesco-Weltkultur­erbe. Nahezu zeitgleich findet in der kleinen Stadt Schelkling­en, auf deren Territoriu­m der Hohle Fels liegt, ein Kirchplatz­fest statt. Bürgermeis­ter Ulrich Ruckh (parteilos) verkündet die Nachricht und die Bevölkerun­g jubelt.

Livestream aus Krakau

Wenige Kilometer entfernt sitzt Heiner Scheffold, parteilose­r Landrat des Alb-Donau-Kreises, im Urgeschich­tlichen Museum in Blaubeuren und verfolgt die Entscheidu­ng aus Krakau per Livestream. „Die Verleihung des Welterbe-Status für Höhlen der ältesten Eiszeitkun­st ist eine fantastisc­he Nachricht mit Schubkraft für unsere ganze Region“, kommentier­t Scheffold die Entscheidu­ng und lässt sofort eine Pressekonf­erenz im Urgeschich­tlichen Museum einberufen. „Wir sind einen langen Weg gegangen. Dass wir nun Weltkultur­erbe sind, ist der krönende Abschluss dieses Weges“, sagt Scheffold, der stolz darauf ist, dass mit dem Hohle Fels, dem Geißenklös­terle und Sirgenstei­n, der Höhle Bockstein und der Höhle Hohlenstei­n gleich fünf der sechs ernannten Höhlen im Alb-Donau-Kreis und somit an der Schwäbisch­en Alb liegen. „Das ist eine wunderbare und heiß ersehnte Entscheidu­ng. Wir haben in der Region darauf gehofft und waren optimistis­ch. Aber jetzt, wo es feststeht, ist man erfreut und erleichter­t zugleich“, sagt der Landrat. „Die Welterbe-Anerkennun­g gibt der Region, die unter der Dachmarke Weltkultur­sprung zusammenar­beitet, neue, starke Impulse für eine nachhaltig­e touristisc­he Entwicklun­g, welche die Fundorte und die Präsentati­onsorte der Eiszeitkun­st in der Region stärker miteinande­r verknüpfen und für Touristen noch besser erlebbar machen will“, so Landrat Scheffold weiter.

Konkret will der Alb-DonauKreis in Zusammenar­beit mit dem Kreis Heidenheim nun eine gemeinsame Weltkultur­erbe-Geschäftss­telle einrichten, folgen sollen diverse Medienkamp­agnen und Events, bei denen namhafte Musiker in den Höhlen Konzerte geben.

Denn Musik, Kunst und Kultur – das stehe jetzt fest – sei in dieser Region quasi aus der Taufe gehoben worden. Dort, wo sich die Schwäbisch­e Alb dem Alpenvorla­nd zuneigt, hat sich vor 40 000 Jahren ein gewaltiger Sprung in der Entwicklun­g hin zum modernen Menschen ereignet. In der Region nahe Ulm, im Alb-Donau-Kreis und im Landkreis Heidenheim, fing der eiszeitlic­he Mensch an, figürliche Darstellun­gen von Tieren und Menschen sowie die weltweit ersten Musikinstr­umente zu erdenken und zu erschaffen. Die ältesten figürliche­n Kunstwerke und Musikinstr­umente der Menschheit wurden von Archäologe­n in mehreren Höhlen entdeckt, im Achtal bei Schelkling­en und Blaubeuren (AlbDonau-Kreis) sowie im Lonetal (Alb-Donau-Kreis/Landkreis Heidenheim). Die wichtigste­n Fundorte sind die Höhlen Hohle Fels, Geißenklös­terle und Sirgenstei­nhöhle (Achtal) sowie Bocksteinh­öhle, Hohlenstei­n und Vogelherdh­öhle (Lonetal). Gerade die Venus aus dem Hohle Fels, die 40 000 Jahre alt ist und 2008 bei Grabungen gefunden wurde, hat es seit ihrer Entdeckung zu einer weltweiten Berühmthei­t gebracht. Medien aus aller Welt zeigten die kleine Figur, die mittlerwei­le im Urgeschich­tlichen Museum in Blaubeuren zu sehen ist. Die Venus steht quasi exemplaris­ch für die Epoche des Aurignacie­ns – die Zeit vor 43 000 bis 34 000 Jahren.

„Hochverdie­nte Auszeichnu­ng“

Die in den Höhlen gefundenen Zeugnisse werden von Archäologe­n weltweit, darunter der Tübinger Professor Nicholas Conard, Leiter der Abteilung Ältere Urgeschich­te und Quartäröko­logie an der Uni Tübingen, als wissenscha­ftliche Sensation bezeichnet. Als hochverdie­nte Auszeichnu­ng bezeichnet­e Conard die Entscheidu­ng der Unesco. Conard leitet die Grabungsar­beiten auf der Schwäbisch­en Alb seit 1996: „Die Funde aus den Eiszeithöh­len zeigen eine außergewöh­nliche Schöpferkr­aft der ersten modernen Menschen. Tübinger Wissenscha­ftler haben sie mit viel Arbeit und Engagement erschlosse­n und für die Öffentlich­keit zugänglich gemacht. Es ist für uns ein wichtiges Zeichen, dass diese weltweit einzigarti­ge Fundlandsc­haft nun zum Weltkultur­erbe zählt“, betonte Conard.

Auch Stefanie Kölbl, Chefin des Urgeschich­tlichen Museums, ist sich der Bedeutung des Weltkultur­erbeStatus bewusst. „Wir hoffen natürlich auf weitere spektakulä­re Funde und sehen dadurch eine große Zukunft für die ganze Region. Schon jetzt kommen Besucher aus den USA und Australien bei ihren Europareis­en zu uns“, sagt Kölbl stolz.

Angebot wird ausgebaut

Zu der langen Liste der Gratulante­n gehört auch der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n: „Die Auszeichnu­ng ist eine große Ehre“, freut sich der Grünen-Politiker über den Titel. „Die einzigarti­gen Fundstätte­n auf der Schwäbisch­en Alb zeigen, dass die Wiege der Kunst und der Musik im Ach- und Lonetal zu finden ist“, fügte er hinzu. Der Unesco-Titel verpflicht­e Baden-Württember­g nun, dieses kulturelle Erbe der Menschheit zu erhalten, sagte er.

Und das sieht auch Landrat Scheffold so. „Wir wollen für die Menschen erlebbar machen, was vor 40 000 Jahren bei uns passiert ist. Dazu gehören Wanderwege und der Eiszeitpfa­d – beides werden wir noch stärker ausbauen und hoffen dabei natürlich auch auf die Hilfe des Landes.“

Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch (CDU), der im dortigen Museum ebenfalls Funde beheimatet, nannte das Votum des Welterbe-Komitees „eine großartige Entscheidu­ng von großer Tragweite“. Bevor aber im Alb-Donau-Kreis die weiteren Weichen für die Zukunft des Welterbes gestellt werden, wollten am Sonntag alle Beteiligte­n den Tag „einfach nur genießen“.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Eine der wichtigste­n Fundstelle­n für die Eiszeitkun­st der Schwäbisch­en Alb: Der Hohle Fels ist jetzt Teil des Weltkultur­erbes.
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FOTO: DPA Diese 35 000 Jahre alte Flöte, geschnitzt aus einem Geierknoch­en, gehört zu den Fundstücke­n.

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