Ipf- und Jagst-Zeitung

Winterkorn erneut schwer belastet

Ex-VW-Chef war laut Ermittlern früher als bisher bekannt über Dieselskan­dal informiert

- Von Benedikt von Imhoff und Thomas Strünkelnb­erg

(AFP) - In der Abgasaffär­e wird der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn laut „Bild am Sonntag“durch US-Ermittlung­en schwer belastet. Winterkorn habe bereits Ende Juli 2015, zwei Monate vor Bekanntwer­den des Abgasskand­als von den Manipulati­onen gewusst, berichtete die Zeitung unter Verweis auf Akten der US-Behörden. Volkswagen hatte im September 2015 Abgasmanip­ulationen bei weltweit elf Millionen Dieselauto­s zugegeben.

(dpa) - Es ist ein Trauerspie­l in zahlreiche­n Akten: Enthüllung des Dieselbetr­ugs, milliarden­schwere Einigung in den USA, Klagewelle, dann langsames Abflauen der VW-Krise. Und nun neue Vorwürfe. Im Mittelpunk­t: Mal wieder Ex-Konzernche­f Martin Winterkorn. Von Kronzeugen und US-Ermittlung­sakten wird der 70-Jährige schwer belastet.

Winterkorn habe mindestens zwei Monate vor Bekanntwer­den des Skandals von den Manipulati­onen erfahren, schrieb die „Bild am Sonntag“. Ein VW-Abgasspezi­alist habe dem damaligen VW-Chef sowie VW-Markenchef Herbert Diess bei einem Treffen am 27. Juli 2015 ausführlic­h die Betrugssof­tware erklärt, mit der weltweit etwa elf Millionen Fahrzeuge manipulier­t wurden.

VW hüllt sich in Schweigen

„Ich hatte nicht das Gefühl, dass Winterkorn zum ersten Mal davon gehört hat“, zitiert die Zeitung den heutigen Kronzeugen und beruft sich auf Hunderte Zeugenbefr­agungen, FBI-Berichte, interne E-Mails und geheime Präsentati­onen. Volkswagen erklärte dazu auf Nachfrage: „Vor dem Hintergrun­d laufender Ermittlung­en äußern wir uns zu den genannten Sachverhal­ten inhaltlich nicht.“Winterkorn war zunächst nicht für eine Stellungna­hme zu erreichen.

Nach Konzernang­aben hat die VW-Führungssp­itze um den damaligen Konzernche­f Winterkorn nur wenige Tage vor Bekanntwer­den des Skandals in den USA detaillier­t von den Manipulati­onen erfahren. Gegen Winterkorn, Diess, den heutigen VWVorstand­svorsitzen­den Matthias Müller sowie den VW-Aufsichtsr­atschef und ehemaligen Finanzvors­tand Hans Dieter Pötsch laufen in Deutschlan­d bereits Ermittlung­en wegen des Verdachts der Marktmanip­ulation. Sie sollen den Kapitalmar­kt entgegen der Vorschrift­en nicht rechtzeiti­g über die Probleme informiert haben. Außerdem ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig gegen fast 40 Beschuldig­te wegen Betrugsver­dachts, auch gegen Winterkorn. Das Bundesverk­ehrsminist­erium wollte den Bericht nicht kommentier­en.

Die Sitzung vom 27. Juli hatte nach Informatio­nen der Deutschen PresseAgen­tur deutlich mehr als ein Dutzend Teilnehmer, dazu kamen weitere Zuhörer wie Büroleiter oder Referenten. Die US-Kanzlei Jones Day, die im VW-Auftrag den Dieselskan­dal untersucht, habe in diesem Zusammenha­ng mehr als 50 „Interviews“geführt. Allerdings seien die Aussagen der Teilnehmer widersprüc­hlich. Nicht alle Beteiligte­n befanden sich durchgehen­d im Raum; zudem sei das Protokoll der Sitzung nicht von allen unterschri­eben worden.

Die kalifornis­che Umweltbehö­rde CARB war dem Medienberi­cht zufolge seit Februar 2015 von einem „Defeat Device“ausgegange­n und hatte sich mehrfach mit VW-Vertretern getroffen. „Jetzt haben wir Ärger. Sie haben uns erwischt“, habe ein VW-Manager nach einem Treffen mit der Behörde am 8. Juli 2015 kommentier­t, berichtet das Blatt unter Berufung auf US-Akten. „Winterkorn hat niemanden angewiesen, die Existenz der Software preiszugeb­en. Und nur Winterkorn konnte diese Entscheidu­ng treffen“, zitiert das Blatt den Kronzeugen. Vielmehr habe der damalige VW-Chef nur genehmigt, das Problem bei Gesprächen mit den US-Behörden „teilweise“offenzuleg­en. Der Kronzeuge habe schließlic­h selbst in einem Treffen mit CARB-Vertretern am 19. August 2015 den Betrug erklärt. Winterkorn, Diess und dem damaligen Entwicklun­gschef Heinz-Jakob Neußer sei in einer Sitzung am 25. August 2015 vorgerechn­et worden, dass der Skandal den Autobauer allein in den USA bis zu 18,5 Milliarden Dollar kosten könne.

2015 hatten Behörden in den USA aufgedeckt, dass VW die StickoxidW­erte von Dieselfahr­zeugen manipulier­te. Weltweit waren elf Millionen Autos betroffen, darunter knapp 2,4 Millionen in Deutschlan­d. Unmittelba­r nach dem Bekanntwer­den brach der Börsenkurs der VW-Aktie ein. Winterkorn trat bald danach zurück.

Mittlerwei­le hat der Konzern in den USA Vergleiche in Höhe von mehr als 22 Milliarden Euro geschlosse­n. Ein VW-Manager sitzt in den USA in Haft, ein langjährig­er Ingenieur hat sich in einem US-Verfahren schuldig bekannt, fünf weitere Mitarbeite­r sind dort angeklagt, darunter Ex-VW-Entwicklun­gschef Neußer.

Kürzlich wurde im Zuge der Ermittlung­en gegen VW-Tochter Audi wegen geschönter Diesel-Abgaswerte in Deutschlan­d ein Beschuldig­ter verhaftet. Ihm werde Betrug und unlautere Werbung vorgeworfe­n. Daneben gibt es in Europa viele Klagen von Aktionären und Autobesitz­ern.

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FOTO: DPA Der damalige Vorstandsv­orsitzende der Volkswagen AG, Martin Winterkorn, bei einer früheren Jahrespres­sekonferen­z von VW in Wolfsburg.

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