Ipf- und Jagst-Zeitung

Vor einer Automatisi­erungswell­e

Transportg­ewerbe im Wandel: Schenker erprobt mit MAN vernetzte Lkw auf A 9

- Von Wolfgang Mulke

- Das Transportg­ewerbe rüstet sich für einen gewaltigen Wandel. Die Tochter der Deutschen Bahn, Schenker, erprobt mit MAN erstmals vernetzte Lkw im realen Autobahnve­rkehr. Die Digitalisi­erung der Branche verändert den Speditions­markt grundlegen­d.

Es war kalt an jenem Tag Ende Januar, an dem Vorstandsc­hef Jochen Thewes die Führungskr­äfte der Spedition Schenker in die Dortmunder Kokerei Hansa beorderte. Frierend hörte sich die große Runde die Geschichte­n zweier Unternehme­r an. Beide waren an den schnellen Veränderun­gen durch die Digitalisi­erung gescheiter­t, beides große Mittelstän­dler. Genauso, wie auch die Kokerei nur noch ein Industried­enkmal vergangene­r Tage ist. Die Botschaft war klar: „Wenn wir in unserer Liga weiterspie­len wollen, müssen wir uns verändern“, sagte Thewes.

Die Liga ist noch die erste. Schenker ist nach eigenen Angaben mit 68 000 Beschäftig­ten weltweit Nummer 3 bei Transporte­n zu Lande oder zu Wasser. Allein im europäisch­en Landverkeh­r befördert das Unternehme­n täglich 20 000 Sendungen. 15 Milliarden Euro setzt die BahnTochte­r damit jährlich um und steuerte zum Gewinn des Bahnkonzer­ns rund 400 Millionen Euro bei.

Im Frühjahr 2018 geht es los

Die Branche steht vor einer Automatisi­erungswell­e, wie ein Blick in deren heutige Arbeitswel­t zeigt. Da bringen selbstfahr­ende Gabelstapl­er Paletten im Lager unter. Die Arbeiter bekommen die nötigen Frachtpapi­ere und Anweisunge­n auf eine Brille übertragen, damit sie mit beiden Händen zupacken können. Lkw werden papierlos per App zur nächsten Ladung gerufen. Bald sind auch die Brummis teilweise fahrerlos unterwegs.

Im kommenden Frühjahr geht es damit los. „Fahrerknap­pheit ist ein Problem, dass sich noch verstärken wird“, erläutert Thewes. 30 000 Transportu­nternehmen sind für Schenker unterwegs. Dazu kommen noch ein paar Tausend eigene Lkw, die geführt werden müssen. Autonome Lkw sollen das Problem lösen. Gemeinsam mit dem Hersteller MAN wird Schenker auf der A 9 in Bayern erstmals das sogenannte Platooning erproben. Dabei fahren miteinande­r vernetzte Brummis wie an eine Kette gereiht von allein. Der Fahrer muss nur bei Bedarf eingreifen können. Zunächst beschränkt sich der Versuch zwar nur auf je zwei miteinande­r kommunizie­rende Fahrzeuge. Am Ende könnten aber lange Reihen von Lkw entstehen, in denen nur im ersten und im letzten noch ein Fahrer sitzt.

„Mit dem Projekt Lkw-Platooning kommt die Technologi­e vom Labor auf die Straße“, sagt Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt, der den Feldversuc­h mit zwei Millionen Euro fördert. Der Bund erhofft sich durch die Automatisi­erung einen besseren Verkehrsfl­uss und eine Entlastung von Fahrer und Umwelt. Das Fahren im Windschatt­en kann bis zu zehn Prozent des Kraftstoff­bedarfs einsparen.

Bis zu drei Fahrten täglich – zunächst ohne Ladung – sind für das kommende Jahr im normalen Autobahnve­rkehr geplant. Mit im Boot dieses Forschungs­projektes ist noch die Fresenius-Hochschule. Die Forscher wollen herausfind­en, wie die Fahrer die Neugestalt­ung ihres Arbeitspla­tzes verkraften. „Es ist wichtig, von Beginn an die Menschen mitzunehme­n“, erläutert Christian Haas, der Leiter des Instituts für komplexe Gesundheit­sforschung an der Hochschule.

Ein selbstfahr­ender Lkw ist zum ersten Mal im Oktober 2015 über eine öffentlich­e Straße in Deutschlan­d gerollt. Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard saß mit einer Ausnahmege­nehmigung am Steuer, als der Mercedes Actros Future Truck weitgehend automatisc­h die Autobahn 8 bei Stuttgart befuhr. Als Beifahrer zeigte sich Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) begeistert von der Pionierfah­rt. Dies sei der „Aufbruch in ein neues Mobilitäts­zeitalter“, meinte er.

Ein Wettlauf mit der Zeit

Die Digitalisi­erung ist für Schenker ein Wettlauf mit der Zeit. „Schaffen wir es, die digitale Kompetenz aufzubauen oder schaffen es die Plattforme­n eher, eine Logistikom­petenz zu erlangen“, beschreibt der Vorstand die Situation. Denn im Prinzip könnte jeder leicht Angebot und Nachfrage nach Transporte­n im Internet zusammenbr­ingen und sich von Provisione­n ernähren. Noch hilft Schenker die Erfahrung aus 140 Jahren Unternehme­nsgeschich­te. Doch wie lange noch? Thewes hat mittlerwei­le 150 Netzexpert­en in der Essener Zentrale eingestell­t, die sich allein um die digitalen Entwicklun­gen kümmern.

Die Essener wollen sich mit einer eigenen Plattform gegen die potenziell­e Konkurrenz aus dem IT-Lager behaupten. Unter anderem hat Thewes sich dafür an der amerikanis­chen Online-Frachtschi­ffbörse Uship beteiligt und Schenker so den Zugang zum nötigen Know-how verschafft. Ende diesen Jahres soll bereits ein Viertel der täglichen Sendung in Europa über eine eigene Plattform abgewickel­t werden. „Damit werden wir zugleich noch größere Frachtvolu­men bewältigen und weiter wachsen“, hofft Thewes.

Derzeit ist es noch eine geschlosse­ne Plattform. Teilnehmen können nur die Partnerunt­ernehmen von Schenker, die sich hier ihre Fuhren abholen. Thewes denkt aber auch daran, das Angebot für alle Spediteure zu öffnen. Dann wäre Schenker so etwas wie der Uber des Schwerverk­ehrs. Und fast nebenbei eröffnet die Digitalisi­erung des Speditions­geschäftes der Bahntochte­r noch eine weitere attraktive Ertragsque­lle, die gewaltige Datensamml­ung, die dabei anfällt. Schenker weiß, was die Industriek­unden wann brauchen, was deren Produkte wert sind und wann die Kapazitäte­n in den Werken erhöht oder verringert werden. Wie sich dies versilbern lässt, behält der Vorstandsc­hef aber noch für sich.

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FOTO: RASEMANN Selbstfahr­ende Lkw: Aufbruch in ein neues Mobilitäts­zeitalter.

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