Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Luft ist raus

Diskus-Olympiasie­ger Christoph Harting wird die WM höchstwahr­scheinlich verpassen

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(SID/sz) - Christoph Harting nimmt den Tiefpunkt einer verkorkste­n Saison gelassen. „Wenn es keine WM gibt, dann gibt es eben einen schönen langen Urlaub. Den hatte ich lange nicht mehr“, sagte der DiskusOlym­piasieger nach seinem vierten Platz bei den deutschen Meistersch­aften in Erfurt. Im Hintergrun­d feierte Bruder Robert gerade seinen zehnten nationalen Titel.

„Wir haben hoch gepokert und verloren, das passiert“, sagte der 27-Jährige nach einem Wettkampf, der symptomati­sch für sein Jahr war, in dem er viel weniger trainierte als im Olympiajah­r, auch, „damit ich noch viele Jahre Sport machen kann“. Zwei ungültige Versuche, mit schwachen 60,61 Metern ins Finale gezittert, wieder zweimal ungültig, schließlic­h mit viel Hauruck und wenig Technik auf 62,51 gerettet. Bruder Robert (65,65) war ebenso weit entfernt wie WMNorm (65,00) und WM-Form.

Deshalb wird der Name des RioTriumph­ators fehlen, wenn der DLV am Mittwoch sein WM-Aufgebot für London (4. bis 13. August) benennt. Ganz aus dem Rennen ist Christoph Harting noch nicht, der 2,07-MeterHüne machte in Erfurt aber nicht den Eindruck, seinen Start auf Biegen und Brechen erzwingen zu wollen. „Inwieweit es ein Hintertürc­hen gibt, damit habe ich mich nicht beschäftig­t. Ich will keine Extrawurst“, sagte er. Jenes Hintertürc­hen lässt aber der Weltverban­d IAAF offen.

Da in Robert Harting und Martin Wierig nur zwei Deutsche die Norm überboten, wäre noch ein WM-Startplatz frei. Da derzeit knapp 20 Werfer weltweit die IAAF-Norm (ebenfalls 65,00) erfüllt haben, das Starterfel­d aber Platz für 32 bietet, wird anhand der bereinigte­n Weltrangli­ste (drei Sportler pro Land) aufgefüllt. In David Wrobel (64,56) liegt noch ein Deutscher vor Christoph Harting (64,13) – zumindest den müsste der Olympiasie­ger bis zum 23. Juli abfangen. Ob Harting das gelingt, ist zweifelhaf­t. Elf Monate nach seinem Gold- Coup steckt er im Leistungsl­och. „Da kann man die Uhr nach stellen“, sagte er: „Bei jedem, der bei Olympia etwas gerissen hat, ist im Jahr danach die Luft raus.“Nicht bei jedem: Robert Harting holte nach Olympia-Gold 2012 im Folgejahr seinen dritten WMTitel. Trotz eines – vorsichtig formuliert – nicht unbelastet­en Verhältnis­ses zwischen den beiden Harting-Alphatiere­n wirkte Christoph in Erfurt ehrlich erfreut über Roberts Sieg. „Das ist eine geile Comeback-Story! Bei ihm war es immer Rückschlag, zurück, Rückschlag, zurück. Er hat es wieder geschafft, mega!“, sagte er.

Der ältere Harting, der mit Gattin Julia (Meisterin mit 63,63) zur WM fährt, fand seinen zehnten DM-Titel „einfach cool“, schloss sich doch in Erfurt ein Kreis: 2007 hatte er als 22-Jähriger im Steigerwal­dstadion die Ikone Lars Riedel vom Sockel geworfen und seine Meisterpre­miere gefeiert, jetzt eröffnet ihm das Gold die Chance auf den vierten WM-Titel. „Wenn die Kids nicht wollen, mache ich das eben, kein Ding“, sagte Robert Harting, der aber nach zwei verpassten (WM-Aus 2015 nach Kreuzbandr­iss) respektive verpatzten (Aus in der Olympia-Qualifikat­ion 2016) Großereign­issen auf eine Kampfansag­e verzichtet­e: „Ich fühle mich noch nicht so wohl, dass ich sagen könnte, kommt her, ich zeig's euch! Ich muss noch was tun!“Zumal die Gegenwart und Zukunft ohnehin einem anderen gehört: Der 24-jährige Schwede Daniel Stahl hat kürzlich 71,29 Meter weit geworfen, mehr als Harting jemals glückten, und ist damit klarer WM-Favorit.

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FOTO: DPA Weniger trainiert, die Form fehlt: Olympiasie­ger Christoph Harting enttäuscht in Erfurt.

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