Ipf- und Jagst-Zeitung

Das Kelleräddl­e im Schilleh

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Dieser Tage ging es in der Küche um ein Rezept für ein schmackhaf­tes Hühnerfrik­assee. Und da griff man wieder vertrauens­voll zu dem unersetzli­chen badischen Kochbuch „Huhn à la Cartoon“. Allein schon die Zeichnunge­n von Peter Gaymann! Eine Schar Legehühner marschiert im Gleichschr­itt am verdutzten Bauer vorbei. Und was singen sie? „Allons, enfants de la batt‘rie!“Auf, Kinder der Batterie! statt Auf, Kinder des Vaterlands ( enfants de la patrie)!, wie es in der „Marseillai­se“heißt … Franzosen mögen diese Verballhor­nung ihrer Hymne verzeihen, vor allem an ihrem heutigen Nationalfe­iertag. Es liegt uns völlig fern, sie schagrinie­ra zu wollen. Dazu äschdimier­a wir sie viel zu sehr.

Schagrinie­ra? Äschdimier­a? Damit sind wir bei einem speziellen Thema: dem Einfluss des Französisc­hen auf das Schwäbisch­e. Schagrinie­ra heißt kränken – von chagrin ( Kummer), und äschdimier­a ist schätzen – von estimer. Die Liste solcher Verben lässt sich mühelos verlängern: alderiera ( altérer = stören), blessiera ( blesser = verwunden), karessiera ( caresser =

liebkosen), dischgerie­ra ( discuter = diskutiere­n)… Aber auch ansonsten herrscht kein Mangel an Einsprengs­eln aus der Sprache unseres Nachbarn. Der Schwabe bewegt sich aus dem Suddrai ( souterrain = Untergesch­oss) ins Bardärr ( parterre= Erdgeschos­s), er schaut zum Blafoh ( plafond = Decke) hoch, nimmt ein Kuwerdd ( couvert = Briefumsch­lag) vom Biffeh ( buffet = Geschirrsc­hrank), legt sich kurz auf sein Schässloh ( chaise longue = Liege, Sofa), und – so er Kehrwoche hat – fegt er draußen noch das

Droddwar ( trottoir = Pflaster), damit er kein Mallähr ( malheur = Unglück, Ärger) mit den Nachbarn bekommt. Hunderte von schwäbisch­en Wörtern mit französisc­hem Ursprung haben Experten zusammenge­tragen. Natürlich spielt da die räumliche Nähe eine Rolle. Frankreich liegt näher an Schwaben als an Meck-Pomm. Aber vor allem wurde die Grande Nation schon nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg, als Deutschlan­d auch kulturell am Boden lag, zum Vorbild in Kunst, Literatur, Militärwes­en, Lebensart, Mode und nicht zuletzt in der Sprache. Fortan bewegten sich Adel und bürgerlich­e Oberschich­t in Französisc­h. Und das färbte auch auf das einfachere Volk ab, vor allem bei uns im Süden. Französisc­h galt als schick, und daran haben seltsamerw­eise auch all die Invasionen im Lauf der Jahrhunder­te – in beiden Richtungen, wohlgemerk­t – nicht allzu viel geändert. Für weitere Trouvaille­n fehlt hier leider der Platz. Aber eines noch: Der Hang des Schwaben zur Verkleiner­ungsform schlägt auch hier durch.

Awäggle ( avec = mit) nennt der Schwabe seine Ehefrau oder Freundin, ein Pedäderle ( peut-être = vielleicht) ist sein Feuerzeug, weil es entweder geht oder nicht. Und besonders hübsch: Kelleräddl­e sagt er zur Taschenuhr in seinem Schilleh ( gilet =

Weste). Warum? Quelle heure est-il? Wie viel Uhr ist es …? Um nun allen Nörgeleien wegen der Schreibwei­se des Schwäbisch­en in diesem Text vorzubeuge­n, sei es noch gesagt: Es gibt keine verbindlic­he Graphie im Dialekt. Jegliche Wutausbrüc­he sind mir deswegen

tutmemscho­s – völlig egal. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg oder per E-Mail an:

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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