Ipf- und Jagst-Zeitung

Scheinries­e Erdogan

- Von Susanne Güsten politik@schwaebisc­he.de

Ein Jahr nach dem Putschvers­uch in der Türkei sieht auf den ersten Blick alles nach einer dauerhafte­n Zementieru­ng der Macht von Präsident Recep Tayyip Erdogan und dessen Regierungs­partei AKP aus. Doch der Eindruck täuscht. Erdogans Türkei gleicht immer mehr einer nahöstlich­en Despotie, die ohne den Mann an der Spitze nicht existieren kann. Sein Land und er selbst sind isoliert.

Die Kernbestan­dteile jeder Demokratie – der freie Wettstreit der Ideen und die Kontrolle der Macht – sind in der Türkei außer Kraft gesetzt. Seit dem Putschvers­uch vom 15. Juli 2016 werden alle Befugnisse auf die Person Erdogans konzentrie­rt. Der Staatschef ist Oberbefehl­shaber der Armee, Chef der Regierung, Vorsitzend­er der Regierungs­partei und gebärdet sich als oberster Richter. Im System Erdogan ist keine geordnete Machtüberg­abe auf eine andere Person vorgesehen: Die AKP hat das Präsidials­ystem mit den starken Machtbefug­nissen nur deshalb durchgeset­zt, weil sie sicher ist, dass Erdogan die Präsidente­nwahl in zwei Jahren gewinnen wird.

Doch das System ist auf Sand gebaut. Hochbegabt­e Experten verlassen das Land. Internatio­nal hat Erdogan die Türkei ins Abseits geführt. Mit den Europäern hat er sich dermaßen überworfen, dass sie Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Auch mit den USA gibt es Streit, und Russland ist kein verlässlic­her Partner. Im Nahen Osten legt sich der Präsident in der Katar-Krise mit der sunnitisch­en Führungsma­cht SaudiArabi­en an. Auch hat der Protestmar­sch der Opposition gezeigt, dass viele Menschen im Land auf ein Signal des Aufbruchs warten.

Erdogan selbst kann nicht mehr zurück. Ein Kurswechse­l hin zu Reform und Rechtsstaa­t würde seine Macht untergrabe­n. So ist er dazu verdammt, die Rechte seiner Bürger weiter einzuschrä­nken, bei jedem Rückschlag Feinde als Sündenböck­e zu nennen und die Staatsgesc­häfte immer stärker an sich zu ziehen. Das kann eine Weile lang gut gehen, doch auf Dauer ist er zum Scheitern verurteilt: Sein ganzes Streben gilt nur der Erhaltung der eigenen Macht. Ein Zukunftsmo­dell für die Türkei ist das System Erdogan nicht.

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