Ipf- und Jagst-Zeitung

„Mit Recht und Gesetz hat das nichts mehr zu tun“

Der Journalist Can Dündar über Erdogans Ambitionen, die Kraft der Opposition und verhaftete Kollegen

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- Er hatte den türkischen Geheimdien­st beschuldig­t, Waffen an islamistis­che Milizen in Syrien geliefert zu haben. Daraufhin wurde der türkische Journalist Can Dündar im November 2015 wegen des Verdachts der Spionage und der Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g festgenomm­en. Drei Monate verbrachte der ehemalige Chefredakt­eur der Zeitung „Cumhuriyet“in Untersuchu­ngshaft. Heute lebt er in Berlin und setzt sich weiter für die Presse- und Meinungsfr­eiheit ein. Tobias Schmidt hat ihn befragt.

Herr Dündar, heute jährt sich der gescheiter­te Putschvers­uch in der Türkei zum ersten Mal. Wie hat der Tag ihr Heimatland verändert?

Es ist zu einem radikalen Umbruch gekommen. Nicht durch den gescheiter­ten Putsch selbst, sondern durch die Reaktion Erdogans. Sein Gegenschla­g ist viel gefährlich­er, als es der gescheiter­te Putsch der Gülen-Bewegung selbst gewesen ist. Erdogan hat dies als Vorwand für einen Staatsstre­ich genommen, der letztlich erfolgreic­h war: Er hat Zehntausen­de Richter und Polizisten entlassen. 170 Journalist­en sitzen im Gefängnis.

Ist der 15. Juli zum Todestag für die Demokratie in der Türkei geworden?

Er hat den Weg Richtung Diktatur geebnet. Noch ist es nicht so weit. In der vorvergang­enen Woche sind Hunderttau­sende Türken für die Demokratie auf die Straße gegangen. Es gibt viele, die Widerstand leisten, und es werden immer mehr!

Präsident Erdogan ist so machtvoll wie nie zuvor. Was ist sein Ziel?

Er will der Sultan, der Diktator der islamische­n Welt werden. Seine Ambitionen reichen weit über die Türkei hinaus. Und er hat dabei großen Erfolg. Wenn wir ihn nicht stoppen, wird er sein Ziel erreichen.

In der ganzen Türkei wird von Erdogan-Anhängern die Nieder- schlagung des Putsches in diesen Tagen gefeiert. Führt das zur weiteren Spaltung des Landes?

Man kann die türkische Gesellscha­ft nicht stärker spalten, als sie es schon ist. Ich hoffe, es wird zu keiner neuen Gewalt kommen, auch wenn es Erdogan darauf anlegt. Er versucht, nach dem Demokratie-Marsch nun Rache an seinen Widersache­rn zu nehmen. Er nutzt den Jahrestag, um seine Macht zu stärken und am Sonntag eine große Show zu inszeniere­n.

Im Mai hat Erdogan das Verfassung­sreferendu­m gewonnen, das seine Befugnisse enorm ausweitet. Ist die Opposition jetzt machtlos?

Nein, das Gegenteil ist der Fall! Zum ersten Mal ist sie gerade dem Aufruf der sozialdemo­kratischen CHP gefolgt und hat sich gezeigt. 23 Tage ist ein Protestzug von Ankara nach Istanbul gezogen, eine Million Menschen haben sich beteiligt. Vor zwei Monaten sah es aus, als wäre die Opposition tot. Jetzt ist sie wieder auferstand­en!

Sie haben noch Hoffnung, dass Erdogan gestoppt wird?

Ja, es gibt viele Anzeichen, dass die Opposition Kraft gesammelt hat und sich neu formiert und effektiver wird. Schon beim Referendum hat Erdogan in vielen großen Städten verloren, die junge Generation wendet sich von ihm ab. Ich glaube, es wird schon bald eng für ihn werden.

Tut die Bundesregi­erung genug, um Ihren Kampf um die Demokratie in der Türkei zu unterstütz­en?

Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat offenbar endlich verstanden, was für eine Gefahr von Erdogan ausgeht. Sie hat auch verstanden, dass die Wähler sie bei der Bundestags­wahl für einen weiteren Kuschelkur­s gegenüber Ankara bestrafen würden. Sie war sehr lange viel zu zurückhalt­end, wenn es um die Abschaffun­g der Demokratie in der Türkei ging. Jetzt findet sie klare Worte, das ist wichtig.

Das Redeverbot für Erdogan in Deutschlan­d ist richtig?

Generell sollte jeder reden dürfen. Das muss eine Demokratie aushalten. Indem Erdogan die Bundeskanz­lerin als Nazi beschimpft hat, hat er aber jeden Anspruch darauf verwirkt.

Macht die Bundesregi­erung genug Druck, um die Freilassun­g des inhaftiert­en Journalist­en Denis Yücel zu erreichen?

In der Türkei sitzen 170 Journalist­en hinter Gittern. Sie alle sind Geiseln der Regierung. Erdogan bringt so die anderen Medien zum Schweigen. Es ist eine Taktik, die leider funktionie­rt, zur Selbstzens­ur geführt hat. Das dürfen wir aber nicht hinnehmen, hier muss auch die Bundesregi­erung scharfe Worte finden.

Eine realistisc­he Chance auf eine baldige Freilassun­g Yücels sehen

Sie nicht?

Es hängt alles von uns ab, ob wir, und damit meine ich die ganze Gesellscha­ft, Druck auf Erdogan machen, uns solidarisc­h mit Deniz und allen anderen inhaftiert­en Journalist­en zeigen. Mit Recht und Gesetz hat das schon lange nichts mehr zu tun, es ist die Willkür Erdogans. Nur wenn er merkt, dass er damit rote Linien überschrei­tet, kann Deniz auf eine baldige Freilassun­g hoffen.

Die EU will drei Milliarden Euro für Ankara auftreiben, damit der Flüchtling­spakt fortgesetz­t wird. Verkauft sich Europa an Erdogan, um die Flüchtling­e fernzuhalt­en?

Das war von Beginn an ein schmutzige­s Geschäft, das jetzt endlich beendet werden muss und nicht fortgesetz­t werden darf! Europa hat die Verantwort­ung, die Flüchtling­e aus Syrien aufzunehme­n. Indem die EU die Türkei für die Übernahme dieser Aufgabe bezahlt, nährt sie eine antidemokr­atische Regierung. Dieses Abkommen ist eine Schande für Europa, das nur Erdogan hilft.

Sie selbst sind Flüchtling, trauen sich wegen ihrer Verurteilu­ng nicht in die Türkei zurück. Wie kommen Sie mit Ihrer Situation zurecht?

Nun, da ist zunächst das Sicherheit­sproblem. Ich habe keinen besonderen Schutz. Jeder Erdogan-Gegner weltweit ist bedroht. Das belastet mich schon. Für mich und meine Familie ist die Situation sehr schwierig. Meine Frau ist in der Türkei zurückgebl­ieben, die Behörden haben ihren Pass eingezogen. Vergangene Woche hatte ich meinen ersten Jahrestag in Deutschlan­d, so lange habe ich meine Frau nicht gesehen, das ist sehr traurig. Aber als Gegner einer repressive­n Regierung habe ich mich für diesen Kampf entschiede­n. Auch meine Frau ist mutig genug, um das durchzuste­hen. Wir kämpfen weiter!

Die Bundesregi­erung hat beim G20-Gipfel 32 Journalist­en auf eine schwarze Liste gesetzt und ihnen die Akkreditie­rung entzogen. Erinnert Sie das Vorgehen an die Vorgänge in ihrer Heimat?

Das Vorgehen der Bundesregi­erung, der Bann von Journalist­en, ist eine Schande. Es reiht sich ein in Einschränk­ungen der Pressefrei­heit von der Türkei über die USA bis nach Ägypten. Wir Journalist­en dürfen das nicht akzeptiere­n und müssen dagegen solidarisc­h ankämpfen, auf der ganzen Welt.

Steckt womöglich der türkische Geheimdien­st MIT hinter der Liste?

Das möchte ich nicht glauben. Ich hoffe, es ist nicht so. Wenn es so wäre, wäre das krank.

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FOTO: DPA Can Dündar

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