SPD sucht sozialen Schulterschluss
Genossen diskutieren Rente und Pflege – Kritik an Landesspitze für Terminwahl
- Die baden-württembergische SPD setzt bei Rente und Kinderarmut eigene Signale zur Bundestagswahl. Zum ersten sogenannten Kleinen Landesparteitag am Samstag hatten die Genossen dazu etliche Experten von außen eingeladen. Es fehlte aber so mancher Abgeordnete in Balingen – einige kritisierten Zeitpunkt und Inhalt der Veranstaltung.
Seit der Schlappe bei der Landtagswahl im März vergangenen Jahres hat sich die SPD verändert. Leni Breymaier ist seit Oktober Chefin der Landespartei. Und sie macht keinen Hehl aus ihrer Freude am Wechsel in der Bundesspitze. Beim Landesparteitag in Heilbronn, an dem sie vor einem guten halben Jahr gewählt wurde, hatte sie noch gesagt, dass Sozialdemokraten sich am Gartenzaun für alles rechtfertigen müssten, was „der Gabriel“gesagt hat.
Zuversicht trotz Schulz-Absturz
Dieser Gabriel, Sigmar mit Vornamen, hat die Spitze der Bundespartei inzwischen für Martin Schulz geräumt. Dass die anfängliche SchulzEuphorie verflogen ist und der Rivale CDU in bundesweiten Umfragen deutlich vor der SPD mit ihren derzeit 24 Prozent liegt, will Breymaier nicht hinnehmen. „Zuversicht“, ruft sie den 157 Delegierten in der Balinger Stadthalle zu. „Wir haben mit Martin Schulz einen Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten, der in einer Weise von der Partei getragen wird, wie wir es noch nie erleben konnten.“Das Programm zur Bundestagswahl passe zu ihm, zur Partei, zu Baden-Württemberg ebenso wie zu Deutschland und Europa.
Bereits zum Auftakt erklärte die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis: „Wir lassen uns nicht von Umfragewerten abschrecken.“Kämpferisch appellierte sie an ihre Genossen: „Wir machen keine Ferien, wir machen Wahlkampf!“
Punkten will die Partei mit sozialen Themen. In einer Diskussionsrunde mit Vertretern von Verbänden, Gewerkschaften und Krankenkassen lotete Mattheis die Schwachstellen in der Pflege aus. Viel Publikum hatten sie nicht, da die meisten Delegierten die Zeit für ein Mittagessen im Foyer nutzten. „Schade, dass die Reihen so licht sind“, sagte Verdi-Vertreterin Irene Gölz auf dem Podium.
Wie vor ihm Landeschefin Breymaier übte der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann scharfe Kritik an den Rentenplänen der anderen Parteien. Er sprach von „neoliberalem Quark“und sagte: „All diese Modelle von CDU und FDP sind keine Alternativen, sondern zum Scheitern verurteilt.“Zu sehr habe man sich daran gewöhnt, gesellschaftliche Probleme als individuelles Versagen abzutun. Eine ordentliche Rentenpolitik gebe es nur mit der SPD, so Breymaier zuvor: „Wer nicht SPD wählt, wählt Rentenkürzungen.“
Plädoyer für Einwanderungsgesetz
Ein Zeichen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt setzte die Partei mit ihrem Gastredner Gökay Sofuoglu. Der Landes- und Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland verurteilte die Vorgänge in der Türkei scharf. „Die Türkische Gemeinde fordert die sofortige Freilassung von Menschenrechtsaktivisten“, sagte Sofuoglu unter kräftigem Applaus. „Das Eintreten für Menschenrechte ist kein Verbrechen, sondern das Fundament einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft.“Für ein besseres Zusammenleben müsse sich aber auch Deutschland bewegen. „Wir brauchen keine Leitkultur, sondern ein Einwanderungsund Partizipationsgesetz.“
Delegierte hadern mit Themen
Auf den angekündigten Generalsekretär der Bundes-SPD mussten die Genossen verzichten. Er blieb in Berlin hängen, „der Flieger kam nicht vom Rollfeld“, sagte Heil in einer Videobotschaft, die in der Stadthalle eingespielt wurde. „Auf geht’s“, forderte er zu einem engagierten Wahlkampf auf, den er auch in BadenWürttemberg unterstützen werde.
Dass nicht allzu viele Bundesund Landtagsabgeordnete den Weg nach Balingen fanden, war bereits vor der Veranstaltung klar. An einem Wochenende im Juli, kurz vor Ferienstart im Jahr der Bundestagswahl, ist der Platz eines Abgeordneten in seinem Wahlkreis – auf Festen und Veranstaltungen. Das hatten etliche Mandatsträger vorab erklärt.
Kritik übten einige an Landeschefin Breymaier und Generalsekretärin Luisa Boos wegen der Themen. Zur kurzfristigen Absage von Hubertus Heil sagte ein Delegierter grinsend: „Das passt zu diesem inhaltsleeren Tag.“Der Juso-Vorsitzende Leon Hahn aus Friedrichshafen, der für den Bundestag kandidiert, erklärte diplomatischer: „Wir haben Pflege und Armut besprochen. Jetzt ist es Zeit, die Antragsbücher wegzulegen und die Flyer zur Bundestagswahl in die Hand zu nehmen.“