Ipf- und Jagst-Zeitung

Jubel in Bayreuth für „Meistersin­ger“

Umjubelter Festspiela­uftakt in Bayreuth: Barrie Kosky inszeniert Wagners „Die Meistersin­ger“

- Von Barbara Miller

(sz) - Der australisc­he Regisseur Barrie Kosky hat mit seiner Inszenieru­ng von Richard Wagners „Die Meistersin­ger“Begeisteru­ng beim Publikum ausgelöst. Am Dienstagab­end wurden mit seiner Neuinszeni­erung die Bayreuther Festspiele eröffnet. Ausgangspu­nkt im ersten Aufzug ist Wagners Villa Wahnfried, doch der zweite und dritte Akt macht die politische Dimension von Wagners umstritten­er Oper deutlich: Kulisse ist nun der Gerichtssa­al, in dem der Nürnberger Prozess stattgefun­den hat. Gefeiert wurden an diesem Abend die Sänger Michael Volle, Daniel Behle, Klaus Florian Vogt und Johannes Martin Kränzle.

- Das gibt’s nicht oft, dass das Festspielh­aus schon nach dem ersten Aufzug vor Beifall bebt. Doch Regisseur Barrie Kosky gelingt es mit dem ersten Bild, das Publikum für sich einzunehme­n. Wir sind bei den Wagners daheim, im Salon der Villa Wahnfried spielen Hausherr und Gäste „Die Meistersin­ger“nach. Das Ganze ein Wahnfried-Traum. Auch am Ende herrscht wieder grenzenlos­er Jubel. Gefeiert werden Michael Volle als Sachs, Daniel Behle als David, Klaus Florian Vogt als Stolzing und Johannes Martin Kränzle als Beckmesser. Riesiger Beifall für Philippe Jordan am Pult und die Inszenieru­ng von Barrie Kosky.

Barrie Kosky (50) leitet die Komische Oper Berlin. Er ist ein australisc­her Regisseur, und er ist Jude. In einem Interview mit der „Süddeutsch­en Zeitung“hat er erzählt, dass er Wagners Musik schon als Kind durch die ungarisch-stämmige Großmutter kennen- und lieben gelernt habe. Als er anfing, sich mit den historisch­en Hintergrün­den zu befassen, begannen die Schwierigk­eiten. Auch mit dem Ort Bayreuth. Lange habe er mit sich gerungen, ob er gerade „Die Meistersin­ger“hier inszeniere­n wolle.

Denn dieses Werk, von Hitler persönlich zum „Festspiel der Reichspart­eitage für alle Zeiten“erkoren, ist kontaminie­rt wie kein zweites Werk Wagners. 1888 zum ersten Mal in Bayreuth aufgeführt, zieht sich eine dunkle Spur des Nationalis­mus durch die Rezeptions­geschichte. 1924, nach dem Ersten Weltkrieg, erhob sich das Publikum beim Schlusscho­r und stimmte seinerseit­s das Deutschlan­dlied an. Auf ausdrückli­chen Wunsch Hitlers fanden auch noch 1943 und 1944 Festspiele statt. Einziger Programmpu­nkt dieser sogenannte­n Kriegsfest­spiele: „Die Meistersin­ger“.

Doch Kosky hat seinen Weg gefunden zu diesem Werk und zu Bayreuth. In dem Interview sagt er: „Auschwitz ist Horror. Bayreuth ist Comedy, aber eine tiefschwar­ze Komödie.“Und „Die Meistersin­ger“? Angeblich eine musikalisc­he Komödie. Aber worüber wird da gelacht? Über Sixtus Beckmesser, für Kosky und seinen Dramaturge­n Ulrich Lenz die üble Karikatur des Juden. In der Figur des Sixtus Beckmesser sei der ganze Wagnersche Antisemiti­smus gebündelt, schreiben sie im Programmhe­ft: „Seine Seele und sein Charakter sind mariniert in jedem nur denkbaren antisemiti­schen Vorurteil, das aus den im mittelalte­rlichen Europa kursierend­en Blutanklag­en gegen die Juden hervorgega­ngen ist: Er ist ein Dieb, er ist gierig, er ist unfähig zu lieben, unfähig wahre Kunst zu verstehen, er raubt deutsche Frauen, er stiehlt deutsche Kultur, er stiehlt deutsche Musik.“Auf der Bühne wird man später einen riesigen Luftballon mit der Karikatur eines Juden sehen, unter der sich Beckmesser verbirgt.

Der doppelte Wagner

Richard Wagner war dafür bekannt, der Familie und Gästen stundenlan­g seine Werke vorzuführe­n und vorzuspiel­en. Daraus entwickelt Kosky seine Grundidee, die aber die Inszenieru­ng reichlich komplizier­t macht: „Die Meistersin­ger“als Spiel im Hause Wahnfried. Richard Wagner gibt es gleich zweimal. Michael Volle tritt als Wagner auf und wird zu Hans Sachs. Und auch Klaus Florian Vogt kommt als Wagner auf die Bühne, wird dann aber zu Walther von Stolzing. Wagners Frau Cosima steht für Eva Pogner (Anne Schwanewil­ms). Jeder der tragenden Rollen der „Meistersin­ger“wird eine Person aus dem Umfeld des Komponiste­n zugeordnet. So sieht Veit Pogner (Günther Groissböck) aus wie Franz Liszt. Und in Sixtus Beckmesser (Johannes Martin Kränzle) sollen wir Hermann Levi erkennen, den jüdischen Dirigenten des „Parsifal“, der bittere Demütigung­en im Hause Wahnfried erfahren hat.

Schon zum Orchesterv­orspiel werden die Türen zum Salon aufgestoße­n. Auftritt Richard Wagner mit Molly und Marke, zwei prächtigen Neufundlän­dern, die sich völlig unbeeindru­ckt zeigen von dem Klangzaube­r, den drunten im Graben das Festspielo­rchester unter Philippe Jordan entfacht. Wenn der Chor den Choral „Da zu dir der Heiland kam“anstimmt, fallen alle, bis auf Levi, auf die Knie. Unsanft wird er von Wagner herunterge­drückt.

Das geschichts­trächtige Nürnberg

Das Nürnberg der „Meistersin­ger“ist eine Erfindung des 19. Jahrhunder­ts. Die Inszenieru­ng macht sich darüber lustig: Volk und Meistersin­ger, allesamt in erlesene mittelalte­rliche Kostüme gekleidet (Klaus Bruns), müssen sich gestisch derart grotesk bewegen, dass klar ist: Das sind Lebkuchen-fressende Deppen. Auch Eva Pogner hat keine Chance, sie ist eine dumme Gans.

Nürnberg ist der Ort, an dem die Nationalso­zialisten die Rassegeset­ze erließen und die Alliierten über die NS-Führungsri­ege Gericht hielten. Dies nimmt die Inszenieru­ng auf. Bühnenbild­nerin Rebecca Ringst hat für den zweiten und dritten Akt den Saal des Nürnberger Prozesses nachgebaut. Hier befindet sich die Schusterwe­rkstatt des Hans Sachs. Hier wird Beckmesser verprügelt und verlacht. Die Szene wird zum Tribunal. Dieser Sängerwett­streit ist nicht komisch. Wir werden Zeugen einer brutalen Ausgrenzun­g.

Und der schrecklic­he Schluss der Oper, wenn Hans Sachs und der Chor das Hohelied auf „die heil’ge deutsche Kunst“anstimmen? An dieser Stelle verheben sich die Inszenieru­ngen. Katharina Wagner stellte bei ihrer „Meistersin­ger“-Deutung 2009 einen Gartenzwer­g mit Hitler-Gruß auf, der mit einem Fußtritt von der Rampe flog. Bei Kosky steht nun Michael Volle allein auf der Bühne. Er hat sich von Hans Sachs wieder in Richard Wagner zurückverw­andelt. Vom Katheder herab stimmt er sein Credo an: „Ehrt Eure deutschen Meister! Dann bannt ihr gute Geister.“Er wendet sich um und wird zum Dirigenten eines Symphonieo­rchesters, das auf einem Podest auf die Vorderbühn­e fährt. Ein Schlussbil­d, das rätselhaft bleibt.

 ?? FOTO: BAYREUTHER FESTSPIELE /ENRICO NAWRATH ?? Im ersten Aufzug führen Wagner und seine Gäste im Salon der Villa Wahnfried die „Meistersin­ger“auf: Der Goldschmie­d Veit Pogner (Günther Groissböck, sitzend) und die Meistersin­ger, die um die Gunst seiner Tochter werben.
FOTO: BAYREUTHER FESTSPIELE /ENRICO NAWRATH Im ersten Aufzug führen Wagner und seine Gäste im Salon der Villa Wahnfried die „Meistersin­ger“auf: Der Goldschmie­d Veit Pogner (Günther Groissböck, sitzend) und die Meistersin­ger, die um die Gunst seiner Tochter werben.

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