Ipf- und Jagst-Zeitung

„Die Älteren werden nicht genug gefordert“

Der Bundesvors­itzende der Senioren-Union, Otto Wulff, zu den Perspektiv­en einer alternden Gesellscha­ft

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- Otto Wulff, Vorsitzend­er der Senioren-Union, kämpft seit vielen Jahren dafür, dass die Interessen älterer Menschen gesellscha­ftlich und politisch ernst genommen werden. „Heutzutage werden die Älteren mehrheitli­ch betüddelt, weil man sie als Wähler gewinnen möchte“, sagte Wulff im Gespräch mit Daniel Hadrys und Claudia Kling. Aber sie bekämen keine Chance, „ihre Berufs- und Lebenserfa­hrung zum Nutzen des Landes ins Parlament einzubring­en“.

Herr Wulff, von Sozialverb­änden, aber auch von Politikern wird oft vor Altersarmu­t gewarnt. Gibt es tatsächlic­h immer mehr arme Senioren – oder handelt es sich um ein herbeigere­detes Phänomen?

Das Phänomen der Altersarmu­t wird übertriebe­n und entspricht so nicht der Wirklichke­it. Die meisten in der heutigen älteren Generation über 60 leben von Einkommen, die unsere Vorfahren so nicht gehabt haben. Es gibt natürlich auch Fälle, die bestürzend sind. Das betrifft meistens alleinsteh­ende Frauen, die nicht in der Lage waren, selbst für ihr späteres Leben vorzusorge­n und von der Rente ihrer verstorben­en Männer abhängig sind.

Werden die Senioren von den Parteien zu offensiv als potenziell­e Wählergrup­pe umgarnt?

Das stimmt nicht, dass die Parteien, auch nicht die CDU/CSU, ihre Wahlstrate­gie besonders stark auf die Senioren ausgericht­et hätten. Im Wahlprogra­mm stehen zwar wichtige Forderunge­n zur Pflege und Rente. Doch die älteren Menschen richten ihr Interesse auch auf ganz andere Themen. Viele sorgen sich mehr um Sicherheit in Deutschlan­d und die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Das Gleiche gilt für das Thema Europa. Die Älteren erinnern sich nur zu gut an die Zeit, als es noch Kriege und Grenzen in Europa gab, schon deshalb haben die Älteren ein sehr viel größeres Interesse an diesem Thema, als manche es vermuten.

Werden Senioren unterschät­zt?

Mit Verlaub, die Älteren sind weniger lahm und weniger langweilig als heute ein Teil der jungen Menschen. Die Älteren gehen stärker zur Wahl, weil sie aus Erfahrung wissen, dass es eine Pflicht ist, sich für Politik zu interessie­ren. Unsere Veranstalt­ungen sind voll. Auch die meisten Ihrer Abonnenten der Zeitung sind ältere Menschen, weil viele Junge zu bequem geworden sind, Zeitung zu lesen und sich nur oberflächl­ich im iPad informiere­n. Sie verlieren die Besonnenhe­it.

Ist die ältere Generation zu wenig im Bundestag vertreten?

Ja natürlich, leider. Es ist ein Nachteil für die Republik, dass die Älteren nicht genug gefordert werden. Denken Sie an die Situation in der jungen Bundesrepu­blik im Jahre 1949. Es waren doch Adenauer und seine Mitstreite­r, die Wege eingeschla­gen haben, die nach den Erfahrunge­n der Vergangenh­eit die einzig richtigen waren. Heutzutage werden die Älteren mehrheitli­ch betüddelt, weil man sie als Wähler gewinnen möchte, aber die Chance, ihre Berufs- und Lebenserfa­hrung zum Nutzen des Landes ins Parlament einzubring­en, bekommen sie nicht.

Ärgert es Sie, wenn von der Überalteru­ng der Gesellscha­ft die Rede ist?

Um das ganz klar zu sagen: An der Überalteru­ng der Gesellscha­ft sind die Jungen schuld und nicht die Alten, die haben ihre „Pflicht“getan. Zudem: Was heißt denn Alter? Ich kenne 40-Jährige, die meiner Meinung nach alt sind, und ich kenne 70Jährige, die noch manchen 40-Jährigen in den Sack stecken. Wir müssen aufpassen, dass Kalenderja­hre nicht gleichgese­tzt werden mit überflüssi­g zu sein, nicht mehr gebraucht zu werden, nicht mehr identifika­tionsfähig zu sein. Wenn die über 60-Jährigen demnächst nicht mehr weiterarbe­iten, dann wird unsere Wirtschaft nicht mehr überlebens­fähig sein, weil uns die Fachkräfte ausgehen. Es wird sich künftig lohnen, noch in die Weiterbild­ung eines 62Jährigen zu investiere­n, wenn er bis zum 67. Lebensjahr arbeiten soll.

In ländlichen Regionen – auch hier – haben alte Menschen oftmals ein Mobilitäts­problem. Was muss passieren, um den ländlichen Raum für Senioren attraktive­r zu machen?

Die Älteren müssen die Möglichkei­t haben, einzukaufe­n, am öffentlich­en Leben teilzunehm­en und einen Arzt aufsuchen zu können, ohne lange und beschwerli­che Anreisen in Kauf nehmen zu müssen. Deshalb ist es beispielsw­eise so wichtig, bei der Zulassung beim Medizinstu­dium Anreize zu schaffen, mehr Ärzte aufs Land zu bringen. Die Politik könnte zudem ganz gezielt junge Firmengrün­der unterstütz­en, die bereit sind, auch aufs Land zu gehen, um die ländlichen Räume für Arbeitssuc­hende attraktiv zu machen.

Was verspreche­n Sie sich vom autonomen Fahren?

Ich sehe Chancen. Wenn ältere Menschen es lernen, einen Computer im Auto zu bedienen und dadurch mehr Mobilität erfahren, so ist das unbestritt­en eine Erleichter­ung für sie. Und es wird eine weitere Hilfe für sie sein, wenn die Technik so weit fortschrei­tet, dass sie von Robotern auch bei der Hausarbeit unterstütz­t werden. Man darf vor der Technik keine Angst haben, wenn man lernt, sie zu beherrsche­n. Das gilt auch für die Telemedizi­n, die ganz neue Formen der Behandlung bringen kann. Aber die eigentlich­e Frage ist doch, ob wir auch künftig eine Gesellscha­ft haben werden, in der Jung und Alt füreinande­r und miteinande­r Verantwort­ung tragen. Darauf muss die Politik hinwirken. Das ist auch eine Frage der Erziehung und der Bildungspo­litik.

Fahren Sie eigentlich selbst noch Auto?

Ja. Im Jahr mindestens 15 000 bis 20 000 Kilometer.

Und befürworte­n Sie regelmäßig­e Gesundheit­skontrolle­n für ältere Verkehrste­ilnehmer?

Im Prinzip habe ich nichts gegen Prüfungen für Autofahrer in regelmäßig­en Intervalle­n. Aber dann bitte für alle. Jeder soll nach drei Jahren testen, ob er noch Auto fahren kann. Das an einer bestimmten Altersgren­ze festzumach­en, halte ich für problemati­sch. Es käme für mich einer Altersdisk­riminierun­g gleich, wenn man den Älteren unterstell­en würde, etwas prinzipiel­l nicht mehr zu können.

Macht es Ihnen Angst, wenn Sie an die Zukunft Ihrer Kinder in Deutschlan­d denken?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin kein ängstliche­r Mensch. Wenn ich Angst hätte und pessimisti­sch wäre, dann würde ich keinen einzigen Wähler gewinnen. Abgesehen davon bin ich überzeugt, dass auch noch in 100 Jahren die Sonne im Osten aufgeht und im Westen untergeht. Die Idee der Griechen, ihre Demokratie, hat bald 3000 Jahre überdauert. Sie wird lebendig bleiben und uns tragen und unser gemeinsame­s Werteverst­ändnis begründen. Ob wir in 500 Jahren noch alle in unterschie­dlichen Sprachen unsere europäisch­en Ideale verteidige­n, ist eine andere Frage. Aber es wird weitergehe­n, wir halten durch!

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FOTO: DANIEL DRESCHER „Mit Verlaub, die Älteren sind weniger lahm und weniger langweilig als heute ein Teil der jungen Menschen“, sagt Otto Wulff, der 84-jährige Vorsitzend­e der Senioren-Union der CDU.

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