Tödliches Ende einer Partynacht
Nach der Schießerei in einer Konstanzer Disco suchen Ermittler nach dem Motiv des Täters
KONSTANZ - War es ein Streit in der Familie? Nach den Schüssen in der Konstanzer Diskothek „Grey“sucht die Polizei fieberhaft im persönlichen Umfeld des aus dem Irak stammenden Schützen nach dem Motiv. Einen Terrorakt schließt die Polizei bislang aus. Die Tat weckt dennoch schlimme Erinnerungen.
Am Morgen danach ist alles ganz still. Im Polizeiwagen werden die letzten Zeugen vernommen. Das Security-Team des Clubs sitzt erschöpft auf einer provisorisch aufgebauten Bierbank unter einem Baum im Schatten. Es war ihre härteste Nacht in der erst vor Kurzem neu eröffneten Diskothek. Die zehn Männer stehen unter Schock. Manchen hängen die hellblauen Hemden zerknittert aus der Hose. Einer hat Blutspuren am Hemd. Die Sonne brennt. Alle wollen nur noch nach Hause. Nur nicht mehr reden. Doch niemand darf ins Gebäude, um Autoschlüssel oder persönliche Sachen zu holen. Die Spurensicherung ist noch im Club. Und der Tote. Noch ist nicht bestätigt, dass es sich bei dem Opfer um den Türsteher handelt.
Erst am Abend geht die Polizei bei einer Pressekonferenz mit Details an die Öffentlichkeit.
Polizei nach drei Minuten vor Ort
Der erste Notruf erreicht die Polizei um 4.26 Uhr. „Hier wird geschossen“, heißt es. Als die erste Streife drei Minuten später um 4.29 Uhr im Club eintrifft, ist der Türsteher tot – ein gezielter Schuss hat ihn getroffen. Sofort eröffnet der Schütze auf die Beamten mit einem Maschinengewehr das Feuer, er schießt mehrere Magazine leer. Die Beamten schießen zurück. Zwischendrin versuchen Besucher, sich zwischen den parkenden Autos in Sicherheit zu bringen.
Der Täter versucht, hinter das Gebäude zu flüchten. Weit kommt er nicht. Noch beim Gebäude wird der Schütze von einem Polizeibeamten getroffen. Er stirbt wenig später im Krankenhaus. Der Beamte wird verletzt, befindet sich aber außer Lebensgefahr. Auch zwei weitere Personen werden schwer verletzt.
Einige Besucher haben die Schüsse zunächst offenbar gar nicht gehört. Die Musik war zu laut. Doch dann sei unter den Besuchern Panik ausgebrochen, berichtet ein Beamter, der als einer der ersten vor Ort war. Einige Augenzeugen berichten später Reportern, der Schütze habe wahllos auf Gäste geschossen. Die Staatsanwaltschaft geht jedoch nicht davon aus, dass in der Disco geschossen wurde. Man sei den Hinweisen nachgegangen, habe aber keine Projektile oder Einschusslöcher gefunden. Die Schüsse seien im Eingangsbereich und vor der Disco gefallen.
Gäste harren im Gebäude aus
Obwohl die Türen schnell geöffnet werden können, gelangen nicht alle Gäste vor Eintreffen der Polizei nach draußen. 60 bis 80 Gäste müssen drinnen ausharren. Eine Besucherin schreibt auf Facebook, dass sie rund zwei Stunden im Club bleiben musste. Erst dann sei der Club von der Polizei geräumt worden. „Nachdem klar war, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, schien uns der Innenraum der sicherste Ort zu sein“, erklärt Polizeipräsident Ekkehard Falk die Gründe für das Vorgehen.
Auch wenn die Schießerei zunächst an den Überfall auf ein Londoner Restaurant oder den Anschlag auf einen Pariser Club erinnert – einen Terrorakt des 34-jährigen gebürtigen Irakers hat die Polizei relativ schnell ausgeschlossen. Wahrscheinlicher sei ein Motiv aus dem persönlichen Umfeld. Der Schütze war der Schwager des Betreibers. Zeugen berichten, dass er zuvor in der Disco war und es einen Streit gegeben habe. Mit wem, und um was es dabei ging, ist noch unklar.
Fest steht, dass der Mann die Disco nach einem Streit verlassen hat und zu Hause die Waffe holte – ein Sturmgewehr, wie es US-Streitkräfte nutzen. Als er zurückkam, schoss er den Türsteher nieder. Ob der Täter den Mann bewusst traf, oder ob dieser nur zur falschen Zeit am falschen Ort war, wird Gegenstand der Ermittlungen sein. Die Polizei äußert sich bislang nicht zur Identität des Opfers.
Über den Täter ist bislang bekannt, dass er als Kind 1991 nach Deutschland kam und seit rund 15 Jahren im Landkreis Konstanz lebt. Er ist bereits wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung sowie Drogendelikten polizeibekannt und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.
100 Ermittler im Einsatz
Um sämtliche Puzzleteile des Falles zusammenzusetzen, sind alle verfügbaren Kriminalbeamten aus Friedrichshafen, Singen und Ravensburg zur Spurensicherung hinzugezogen worden. Rund 100 Beamte arbeiten an der Aufklärung des Falles. In weißen Spezialanzügen sichern die Kriminalbeamten die Spuren der vergangenen Nacht – eine unwirkliche Szene an diesem schönen Sonntagmorgen. Vor dem Parkplatz tummeln sich die Fernsehteams aus dem In- und Ausland. Am Himmel kreist ein Polizeihubschrauber. Konstanz ist im Ausnahmezustand.
Die Schießerei ist bereits der zweite tödliche Angriff in einer Konstanzer Party-Location innerhalb weniger Monate. Nur wenige Hundert Meter Luftlinie entfernt kam im März in einer Shisha-Bar ein junger Schweizer ums Leben. Er wurde Opfer einer Messerstecherei.
Für die Konstanzer Beamten sind solche Einsätze dennoch alles andere als alltäglich. „Was da in einem vorgeht, ist unbeschreiblich“, sagt ein Streifenbeamter. „Das sind Ausnahmesituationen, die auch uns an unsere Grenzen bringen.“Als er den Notruf am Sonntagmorgen gehört habe, sei für ihn sofort eine Erinnerung wieder lebendig geworden: der Tag, an dem 1998 in Konstanz auf offener Straße zwei Zöllner erschossen wurden. Für viele Konstanzer war dies der brutalste Tag der vergangenen Jahrzehnte. Das ist seit Sonntagmorgen Vergangenheit.