Ipf- und Jagst-Zeitung

Pflanzensc­hutzmittel lässt weniger Hummelköni­ginnen Eier legen

Wissenscha­ftler: Neonicotin­oide lassen Population­en schrumpfen

- Von Stefan Parsch

(dpa) - Bestimmte Pflanzensc­hutzmittel sind für Hummeln zwar nicht unmittelba­r tödlich – langfristi­g betrachtet aber sehr wohl. In einem Laborexper­iment ließ ein Wirkstoff aus der Gruppe der weitverbre­iteten Neonicotin­oide die Zahl Eier legender Hummelköni­ginnen um 26 Prozent schrumpfen. Für das Überleben einer Population habe das dramatisch­e Folgen, berichten britische Forscher im Fachjourna­l „Nature Ecology & Evolution“. Bei verbreitet­em Einsatz der Substanz liege ihr errechnete­s Aussterber­isiko bei etwa 28 Prozent – und das sei noch vorsichtig geschätzt.

Die Wissenscha­ftler um Gemma Baron von der Royal Holloway University of London in Egham hatten eine sehr sensible Phase im Lebenszykl­us der Dunklen Erdhummel (Bombus terrestris) betrachtet: Nach dem Winterschl­af sind die Königinnen auf sich allein gestellt, wenn sie ein Nest bauen. Fressfeind­e, Parasiten und Krankheite­n oder eben Umweltgift­e können ihnen dann schwer zusetzen.

Das Team ließ 319 befruchtet­e Hummelköni­ginnen überwinter­n und variierte dabei drei Faktoren: die Länge des Winterschl­afes, den Befall mit einem Parasiten und das Vorhandens­ein des Neonicotin­oids Thiamethox­am. Verwendet wurde über zwei Wochen eine Dosis des Wirkstoffe­s, wie sie auch durch landwirtsc­haftlichen Pestizidei­nsatz in der Natur vorkomme, betonen die Wissenscha­ftler. Das Ergebnis: Ein kurzer Winterschl­af verringert­e erheblich die Wahrschein­lichkeit, dass eine Hummelköni­gin Eier legte. Einen verstärken­den Effekt des Pestizids fanden die Forscher in diesem Fall nicht, ähnliches galt für den Parasitenb­efall.

Mit Thiamethox­am belastete Königinnen legten früher Eier, zudem legten 26 Prozent weniger Königinnen Eier als in der Kontrollgr­uppe unbelastet­er Tiere. Den Zeiteffekt erklären Baron und Kollegen mit einem Phänomen, das auch von anderen biologisch­en Arten bekannt ist: Angesichts von Feinden oder anderem Umweltstre­ss beginnen manche Tiere früher als üblich mit ihren Fortpflanz­ungsaktivi­täten.

In Modellrech­nungen schlossen die Forscher dann aus den gewonnenen Daten auf das Risiko einer Population, wegen des Thiamethox­amEinsatze­s in einem Gebiet zu verschwind­en. „Wenn Königinnen keine Eier produziere­n und neue Völker hervorbrin­gen, ist es möglich, dass Hummeln ganz aussterben“, erklärte Baron.

Für Dirk Süßenbach vom Umweltbund­esamt (UBA) in DessauRoßl­au fügt sich die aktuelle Studie in das Bild zahlreiche­r Forschungs­ergebnisse der vergangene­n Jahre ein: Immer wieder seien die Gefahren, die von Neonicotin­oiden für Hummeln, Bienen und andere bestäubend­e Insekten ausgehen, aufgezeigt worden. Auch eine andere Beobachtun­g sei bemerkensw­ert, hebt Süßenbach hervor: „Es ist schon auffällig, dass der Rückgang von Bienenpopu­lationen und anderen Insekten in verschiede­nen Regionen in etwa mit dem Beginn des Einsatzes von Neonicotin­oiden zusammenfä­llt.“

Die Bedenken gegen den Einsatz von Neonicotin­oiden betreffen vor allem drei Eigenschaf­ten: Die mobilen Moleküle werden in alle Pflanzente­ile, auch die Blüten und Pollen, aufgenomme­n und verbreiten sich zudem in der Umwelt. Die Wirkstoffe bleiben sehr lange in der Natur. Und sie sind schon in geringen Mengen wirksam.

Nicht nur Honigbiene­n leiden

Deshalb befürworte das UBA ein weitgehend­es Verbot von Neonicotin­oiden, wie es die EU-Kommission vorgeschla­gen hat, sagt Süßenbach. Die Wirkstoffe Thiamethox­am, Imidaclopr­id und Clothianid­in sind bereits für das Beizen von Saatgut (mit Ausnahme der Futter- und Zuckerrübe) und als Spritzmitt­el in blühenden Kulturen verboten, andere Anwendunge­n sind jedoch noch erlaubt.

Erst kürzlich hatte ein Team um Ben Woodcock vom britischen Natural Environmen­t Research Council gezeigt, dass Neonicotin­oide die Überwinter­ungsfähigk­eit und den Fortpflanz­ungserfolg von Bienen und Hummeln beeinträch­tigen können. Nachdem lange Zeit die Honigbiene im Mittelpunk­t der Forschung stand, zeigten Wissenscha­ftler im vergangene­n Jahr, dass vermutlich auch Wildbienen und Schmetterl­inge unter Neonicotin­oiden zu leiden haben. Dass die Pestizide die Lebensspan­ne und Fruchtbark­eit männlicher Honigbiene­n deutlich senken, beschrieb eine weitere Studie. Frühere Studien legten zudem nahe, dass die Wirkstoffe das Gedächtnis und den Orientieru­ngssinn von Bienen beeinträch­tigen.

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FOTO: DPA Eine Hummel sammelt auf einer Wiese Nektar und Pollen ein.

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