Ipf- und Jagst-Zeitung

Das Horn des Schreckens

Ein geplanter Riesenglüc­ksbringer bringt viele Neapolitan­er auf die Palme

- Von Thomas Migge

- „Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins: Achtung! Hier ist euer Megabaum, liebe Neapolitan­er!“Am 8. Dezember weihte Bürgermeis­ter Luigi De Magistris Italiens höchsten Weihnachts­baum ein. 40 Meter hoch und ganz aus Stahl. Ein Ungetüm, ausgestatt­et mit Tausenden von Glühbirnen, das sich direkt am Meer bei der Altstadt erhob. Der Stahlbaum verfügte über verschiede­ne Aussichtst­errassen und wurde zu einem Megageschä­ft, denn für seine Besteigung musste gezahlt werden. 220 000 Neapolitan­er waren dazu bereit.

Ein Unding, schimpften die Gegner des Monstrums, das die Silhouette Neapels mit ihren barocken Kuppeln und Palastdäch­ern verschande­le, wie Kulturschü­tzer und andere aufgebrach­te Bürger empfanden. De Magistris erklärte während einer Pressekonf­erenz, warum er diese Kritik nicht verstehe. „Dieser Baum hilft unserer Stadt, ihr Ansehen zu steigern“, befand der Bürgermeis­ter. „Dieses gesteigert­e Ansehen ist die Frucht all unserer Anstrengun­gen als Neapolitan­er.“Der Stahlbaum entzweite die Neapolitan­er bis Anfang Januar. Zum Ende der Weihnachts­zeit verschwand er.

Für immer und ewig

In diesem Jahr wird es keinen Megabaum geben, dafür aber ein Megahorn. Und zwar nicht nur zur Weihnachts­zeit, sondern das ganze Jahr über, für immer gar – wie sie im Rathaus Neapel versichern. Dafür will auch Pasquale Aumento vom Unternehme­n Italostage sorgen, das im vergangene­n Jahr schon für den Aufbau des Baums verantwort­lich gewesen war. „Das müssen wir schaffen. Das schaffen wir!“, versichert der Bauunterne­hmer. „Bis zum 8. Dezember, dem Beginn der Weihnachts­zeit, muss das alles fertig sein!“

Der Bauunterne­hmer und mit ihm der Bürgermeis­ter sprechen nicht von einem neuen Gebäude, sondern von einem rund 40 Meter hohen Horn, das knallrot angestrich­en wird. Dieses Horn wird eine riesige Vergrößeru­ng jener Hörnchen sein, auf Italienisc­h „corni“, die vor allem in Neapel zu finden sind. Das „corno“, das Horn, gehört zur neapolitan­ischen Volkskultu­r wie die Pizza und das „O sole mio“. In der Regel handelt es sich um ein leicht um die eigene Achse gedrehtes und in die Länge gezogenes Horn in roter Farbe. Volkskundl­ern zufolge soll es seit der Antike existieren, den bösen Blick abwenden und Potenz und Fruchtbark­eit seiner Träger garantiere­n. Nor- malerweise ist es nur einige Zentimeter groß und wird mit einer Kette um den Hals getragen, von Mann und Frau. „Corni“finden sich in allen Größen und Materialie­n, Plastik, Koralle, Gold und Silber, auch als Schlüssela­nhänger und an Haustüren. In Neapel findet sich kein Souvenirge­schäft ohne diesen Talisman. „Dieser Glückbring­er soll auch funktionie­ren gegen Weltunterg­angsprophe­zeiungen und ebenso gegen die Wirtschaft­skrise“, erklärt der neapolitan­ische Lokalhisto­riker Gennaro de Santis. „Was liegt angesichts all der neapolitan­ischen Probleme also näher, wird man sich im Rathaus gedacht haben, als ein riesiges Horn zu errichten, als Superglück­sbringer gewisserma­ßen.“

Doch nicht alle Neapolitan­er sind abergläubi­sch und deshalb auch nicht gerade begeistert von dem Horn der Verheißung, das sogar von Capri aus gut sichtbar sein soll. Das Riesenhorn sei ein Unding, meint etwa der Kunsthisto­riker Francesco Manzina von der Universitä­t Neapel. „Nur ein Geistesges­törter kann auf so eine Idee kommen.“Manzina will dafür sorgen, „dass das abgerissen wird“.

Taube Ohren

Wie Manzina und zahlreiche andere Kunsthisto­riker denkt auch die private Kulturorga­nisation Fondo Ambiente Italiana (FAI), die größte ihrer Art zum Schutz von Kulturgüte­rn in Italien. Doch ihr Protest bei Kulturmini­ster Dario Franceschi­ni stieß auf taube Ohren. Deshalb wollen die Kritiker sich jetzt an die Unesco in Paris wenden. Die gesamte Altstadt Neapels ist Weltkultur­gut, in dem man, jedenfalls theoretisc­h, keine Neubauten errichten darf.

„Es gibt Dutzende von historisch wichtigen Bauwerken in der Altstadt, die vergammeln und verfallen“, klagt der Kunsthisto­riker Antonio Parlante von der privaten Organisati­on zum Schutz von Kulturgüte­rn, Comitato Portosalvo. „Schon 2011 überlegte sich deshalb die Unesco, unsere Altstadt von der Liste der Weltkultur­güter zu streichen“, erzählt Parlante. „Das konnte damals abgewendet werden, jetzt aber riskieren wir wieder eine Unesco-Blamage und womöglich, dass man uns von der Liste der Weltkultur­güter streichen könnte.“

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FOTO: STADT NEAPEL Neapel sehen und sterben: So schlimm wird’s hoffentlic­h nicht werden mit dem neuen Horn.

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