Das Horn des Schreckens
Ein geplanter Riesenglücksbringer bringt viele Neapolitaner auf die Palme
- „Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins: Achtung! Hier ist euer Megabaum, liebe Neapolitaner!“Am 8. Dezember weihte Bürgermeister Luigi De Magistris Italiens höchsten Weihnachtsbaum ein. 40 Meter hoch und ganz aus Stahl. Ein Ungetüm, ausgestattet mit Tausenden von Glühbirnen, das sich direkt am Meer bei der Altstadt erhob. Der Stahlbaum verfügte über verschiedene Aussichtsterrassen und wurde zu einem Megageschäft, denn für seine Besteigung musste gezahlt werden. 220 000 Neapolitaner waren dazu bereit.
Ein Unding, schimpften die Gegner des Monstrums, das die Silhouette Neapels mit ihren barocken Kuppeln und Palastdächern verschandele, wie Kulturschützer und andere aufgebrachte Bürger empfanden. De Magistris erklärte während einer Pressekonferenz, warum er diese Kritik nicht verstehe. „Dieser Baum hilft unserer Stadt, ihr Ansehen zu steigern“, befand der Bürgermeister. „Dieses gesteigerte Ansehen ist die Frucht all unserer Anstrengungen als Neapolitaner.“Der Stahlbaum entzweite die Neapolitaner bis Anfang Januar. Zum Ende der Weihnachtszeit verschwand er.
Für immer und ewig
In diesem Jahr wird es keinen Megabaum geben, dafür aber ein Megahorn. Und zwar nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern das ganze Jahr über, für immer gar – wie sie im Rathaus Neapel versichern. Dafür will auch Pasquale Aumento vom Unternehmen Italostage sorgen, das im vergangenen Jahr schon für den Aufbau des Baums verantwortlich gewesen war. „Das müssen wir schaffen. Das schaffen wir!“, versichert der Bauunternehmer. „Bis zum 8. Dezember, dem Beginn der Weihnachtszeit, muss das alles fertig sein!“
Der Bauunternehmer und mit ihm der Bürgermeister sprechen nicht von einem neuen Gebäude, sondern von einem rund 40 Meter hohen Horn, das knallrot angestrichen wird. Dieses Horn wird eine riesige Vergrößerung jener Hörnchen sein, auf Italienisch „corni“, die vor allem in Neapel zu finden sind. Das „corno“, das Horn, gehört zur neapolitanischen Volkskultur wie die Pizza und das „O sole mio“. In der Regel handelt es sich um ein leicht um die eigene Achse gedrehtes und in die Länge gezogenes Horn in roter Farbe. Volkskundlern zufolge soll es seit der Antike existieren, den bösen Blick abwenden und Potenz und Fruchtbarkeit seiner Träger garantieren. Nor- malerweise ist es nur einige Zentimeter groß und wird mit einer Kette um den Hals getragen, von Mann und Frau. „Corni“finden sich in allen Größen und Materialien, Plastik, Koralle, Gold und Silber, auch als Schlüsselanhänger und an Haustüren. In Neapel findet sich kein Souvenirgeschäft ohne diesen Talisman. „Dieser Glückbringer soll auch funktionieren gegen Weltuntergangsprophezeiungen und ebenso gegen die Wirtschaftskrise“, erklärt der neapolitanische Lokalhistoriker Gennaro de Santis. „Was liegt angesichts all der neapolitanischen Probleme also näher, wird man sich im Rathaus gedacht haben, als ein riesiges Horn zu errichten, als Superglücksbringer gewissermaßen.“
Doch nicht alle Neapolitaner sind abergläubisch und deshalb auch nicht gerade begeistert von dem Horn der Verheißung, das sogar von Capri aus gut sichtbar sein soll. Das Riesenhorn sei ein Unding, meint etwa der Kunsthistoriker Francesco Manzina von der Universität Neapel. „Nur ein Geistesgestörter kann auf so eine Idee kommen.“Manzina will dafür sorgen, „dass das abgerissen wird“.
Taube Ohren
Wie Manzina und zahlreiche andere Kunsthistoriker denkt auch die private Kulturorganisation Fondo Ambiente Italiana (FAI), die größte ihrer Art zum Schutz von Kulturgütern in Italien. Doch ihr Protest bei Kulturminister Dario Franceschini stieß auf taube Ohren. Deshalb wollen die Kritiker sich jetzt an die Unesco in Paris wenden. Die gesamte Altstadt Neapels ist Weltkulturgut, in dem man, jedenfalls theoretisch, keine Neubauten errichten darf.
„Es gibt Dutzende von historisch wichtigen Bauwerken in der Altstadt, die vergammeln und verfallen“, klagt der Kunsthistoriker Antonio Parlante von der privaten Organisation zum Schutz von Kulturgütern, Comitato Portosalvo. „Schon 2011 überlegte sich deshalb die Unesco, unsere Altstadt von der Liste der Weltkulturgüter zu streichen“, erzählt Parlante. „Das konnte damals abgewendet werden, jetzt aber riskieren wir wieder eine Unesco-Blamage und womöglich, dass man uns von der Liste der Weltkulturgüter streichen könnte.“