Ipf- und Jagst-Zeitung

Jede(r) muss das Risiko selbst abschätzen

Reisehinwe­ise des Auswärtige­n Amtes helfen Touristen nur bedingt weiter

- Von Philipp Laage

(dpa) - Die Frage, ob man ein Land bereisen soll oder aus Sicherheit­sgründen besser nicht, hängt oft von einzelnen Worten ab. In Ägypten rät das Auswärtige Amt wegen der allgemeine­n Terrorgefa­hr zur „Vorsicht“. In der Türkei wird seit kurzer Zeit zu „erhöhter Vorsicht“geraten, weil Deutsche dort nicht mehr vor willkürlic­hen Festnahmen sicher seien. Das afrikanisc­he Wüstenland Tschad kommt nicht so gut weg: Von nicht erforderli­chen Reisen wird „dringend abgeraten“, vor der Hauptstadt sogar „gewarnt“. Die Gründe sind Terror, Entführung­sgefahr und Überfälle.

Für jedes Land gibt es Reise- und Sicherheit­shinweise, die das Auswärtige Amt je nach Lage aktualisie­rt. Die Behörde kann zur Vorsicht mahnen, den Verzicht einer Reise empfehlen, von nicht unbedingt erforderli­chen oder allen Reisen abraten oder eine scharfe Reisewarnu­ng ausspreche­n – ein sprachlich fein abgestufte­s System, das für Laien und auch Experten nicht leicht zu durchschau­en ist, aber enorme Bedeutung für die Reiseindus­trie hat.

Wann ist eine Reise vertretbar? Wann ist es zu gefährlich? Bei der Entscheidu­ng helfen die Reisehinwe­ise oft nur bedingt weiter. „Eine Hilfe für Urlauber sind die Hinweise nicht“, sagt Paul Degott, Reiserecht­sexperte aus Hannover. „Oft machen sie die Verunsiche­rung nur größer.“Hinzu kommt, dass die Reisehinwe­ise nicht rechtlich bindend sind. Die Entscheidu­ng liegt beim Urlauber oder Reiseveran­stalter. Ziemlich eindeutig ist die Lage, wenn eine klare Reisewarnu­ng vorliegt. Dann besteht in der Regel Gefahr für Leib und Leben – etwa in Syrien und Afghanista­n. Bei allen Hinweisen, die schwächer sind, wird es schon schwierige­r.

Die rote Linie

Der Veranstalt­er Studiosus hat eine rote Linie: Wenn das Auswärtige Amt von einem Land oder einer Region abrät, verzichtet der Anbieter auf Reisen dorthin. „Aber das sind noch die eindeutige­n Fälle“, sagt Edwin Doldi, Sicherheit­smanager des Münchner Unternehme­ns. Was tun, wenn das Auswärtige Amt empfiehlt, eine Region zu meiden? Die Aussage ist etwas schwächer formuliert, doch die Botschaft im Prinzip gleich. Beispiel Jerusalem: Nach Unruhen mit Toten im Juli riet das Auswärtige Amt, die Altstadt zu meiden. Studiosus sagte Reisen ab. Wenig später riet das Auswärtige Amt nur noch, die Altstadt in den Abend- und Nachtstund­en zu meiden. Studiosus war wieder dabei.

Der Veranstalt­er Diamir Erlebnisre­isen ist deutlich risikofreu­diger. Angeboten werden Länder wie der Tschad und sogar eine Region mit Reisewarnu­ng: Ostkongo. „Wir orientiere­n uns nicht an einzelnen Formulieru­ngen des Auswärtige­n Amtes, es gibt da keine klare rote Linie für uns“, sagt Geschäftsf­ührer Markus Walter. „Eine Reisewarnu­ng ist ein ganz starkes Indiz dafür, dass eine Reise zu gefährlich ist.“In Stein gemeißelt sei das aber auch nicht. Natürlich nehme man die Reisehinwe­ise sehr ernst. „Sie sind eine unserer wichtigste­n Quellen.“Aber: „Wir beschäftig­en uns intensiver mit der Situation vor Ort.“Walter spricht zudem einen Einwand an, den man von Reiseprofi­s häufig hört: „Das Auswärtige Amt ist letztlich eine politische Institutio­n.“Viele Reisehinwe­ise seien von politische­n Zielen beeinfluss­t.

Das Auswärtige Amt selbst erklärt seine Reisehinwe­ise nicht weiter. Nur so viel verlautet aus Kreisen der Behörde: Nicht erforderli­che Reisen umfassen in der Regel Urlaubsrei­sen, im Gegensatz zu besser abgesicher­ten Geschäftsr­eisen. Abgeraten wird dann, wenn eine hohe abstrakte Gefährdung für Reisende aus Deutschlan­d erkennbar ist.

Was bedeutet das für den einzelnen Reisenden? Wenn er ohne Veranstalt­er unterwegs ist, muss er selbst abschätzen, welches Risiko er zu tragen bereit ist. Bei der Pauschalre­ise geht es um die Frage, wann der Kunde eine Reise ohne Stornogebü­hren absagen darf. Das Stichwort lautet hier höhere Gewalt. Sie kann bei politische­n Unruhen mit gewalttäti­gen Demonstrat­ionen oder Naturkatas­trophen vorliegen. Die Formulieru­ng im Bürgerlich­en Gesetzbuch lautet: „Wird die Reise infolge bei Vertragsab­schluss nicht voraussehb­arer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträch­tigt, so können sowohl der Reiseveran­stalter als auch der Reisende den Vertrag allein nach Maßgabe dieser Vorschrift kündigen.“

Höhere Gewalt

Reiserecht­ler Degott sagt: „Bei einer Reisewarnu­ng muss ich von höherer Gewalt ausgehen.“In einem solchen Krisenfall holen Anbieter ihre Gäste auf jeden Fall zurück nach Deutschlan­d. Rät das Auswärtige Amt dringend von einer Region ab, sei auch dies ein klares Indiz für höhere Gewalt. Auch dann reagiert meist der Veranstalt­er.

Degott betont, dass eine wichtige Bedingung für höhere Gewalt immer die Unvorherse­hbarkeit ist. Heißt: Wer eine Reise in eine schon lange schwelende Krisenregi­on gebucht hat, kann diese nicht so einfach ohne Kosten stornieren. Denn dass dort etwas passiert, war bei Buchung schon wahrschein­lich. „Da wird quasi nur einmal mehr geschossen“, sagt der Jurist. So werde vor Gericht argumentie­rt.

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FOTO: Für diese Region gibt es eine Reisewarnu­ng: die Pyramiden von Gizeh unweit von Kairo.

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