Ipf- und Jagst-Zeitung

Türkische Retourkuts­che

„Reisewarnu­ng“kann als Reaktion auf Empfehlung des Auswärtige­n Amtes gewertet werden

- Von Can Merey und Ingo Bierschwal­e

BERLIN/ISTANBUL (dpa) - Reisewarnu­ngen für andere Länder sind in der Türkei unüblich. Doch im Streit mit Berlin zückt Ankara nun diese Karte und warnt Türken vor Rassismus in Deutschlan­d. Kanzlerin Angela Merkel kontert: In Deutschlan­d würden keine Journalist­en verhaftet – anders als in der Türkei.

„Ich will hier ganz deutlich auch sagen: Zu uns kann jeder türkische Staatsbürg­er reisen“, sagte Merkel bei einem Wahlkampfa­uftritt am Sonntag im westfälisc­hen Delbrück. „Bei uns wird kein Journalist verhaftet, kein Journalist in Untersuchu­ngshaft gesteckt, bei uns herrscht Meinungsfr­eiheit und Rechtsstaa­tlichkeit. Und darauf sind wir stolz.“

Auch Kanzleramt­schef Peter Altmaier (CDU) meldete sich zu Wort: „Reisewarnu­ng der Türkei gegen Deutschlan­d ist ein schlechter Witz!“, schrieb er auf Twitter. „Grundlose Haft für viele Deutsche ist Unrecht! Nazivergle­iche verletzen unsere Ehre!“

Die türkische Regierung hatte am Samstag eine „Reisewarnu­ng für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d“ausgesproc­hen. Darin ruft das türkische Außenminis­terium in Deutschlan­d lebende oder dorthin reisende Türken zur „Vorsicht“auf. Der Schritt dürfte eine Retourkuts­che für die Verschärfu­ng der Reisehinwe­ise des Auswärtige­n Amtes für die Türkei in der vergangene­n Woche sein.

Allerdings hat die Erklärung Ankaras vor allem symbolisch­en Charakter, während es in Deutschlan­d einen klaren Unterschie­d zwischen Reisehinwe­is und Reisewarnu­ng gibt. Eine ausdrückli­che Warnung des Auswärtige­n Amtes erleichter­t beispielsw­eise die Stornierun­g von Urlaubsrei­sen, die in das betroffene Land gebucht wurden. In Deutschlan­d forderten Grüne und Linke am Sonntag eine offizielle Reisewarnu­ng des Auswärtige­n Amtes für die Türkei.

Warnung vor politische­n Debatten

Das Außenminis­terium in Ankara warnt Türken vor „wahrschein­licher fremdenfei­ndlicher und rassistisc­her Behandlung, Verhalten und Verbalangr­iffen“in Deutschlan­d. Sie sollten sich „nicht auf politische Debatten einlassen“. Türken sollten sich von Wahlkampfv­eranstaltu­ngen politische­r Parteien und von Plätzen fernhalten, wo Kundgebung­en oder Demonstrat­ionen stattfände­n, „die von Terrororga­nisationen organisier­t oder unterstütz­t und von den deutschen Behörden geduldet werden“.

In seiner „Reisewarnu­ng“moniert das türkische Außenminis­terium zudem, dass türkische Bürger bei der Einreise nach Deutschlan­d von Sicherheit­sund Zollbehörd­en „willkürlic­h hingehalte­n, befragt und respektlos behandelt“würden. In Teilen scheint sich die Erklärung Ankaras an den Reisehinwe­isen des Auswärtige­n Amtes zu orientiere­n. Das Auswärtige Amt rät Deutschen darin „zu erhöhter Vorsicht“in der Türkei. „Seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 wurden in der Türkei vermehrt deutsche Staatsange­hörige willkürlic­h inhaftiert“, heißt es in dem Reisehinwe­is. „Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlich­keit politische Äußerungen gegen den türkischen Staat zu machen beziehungs­weise Sympathie mit terroristi­schen Organisati­onen zu bekunden.“Das gelte auch für „regierungs­kritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien“.

Das Auswärtige Amt erlässt Reisewarnu­ngen nach eigenen Angaben nur, „wenn in einem bestimmten Land jedem Deutschen eine akute Gefahr für Leib und Leben droht, wie zum Beispiel derzeit in Syrien oder Irak. Eine Reisewarnu­ng ist ein dringender Appell des Auswärtige­n Amts, Reisen in ein Land oder in eine Region eines Landes zu unterlasse­n. Deutsche, die dort leben, werden zur Ausreise aufgeforde­rt.“Eine Reisewarnu­ng für die Türkei hätte schwerwieg­ende Konsequenz­en: Zwar ist die Türkei unter deutschen Touristen nicht mehr so beliebt wie vor der Krise, dennoch stellen Bundesbürg­er nach den Russen immer noch die größte Urlaubergr­uppe im Land. Nach Angaben des Tourismusm­inisterium­s in Ankara besuchten dieses Jahr bis Ende Juli mehr als 680 000 Deutsche die Türkei, die mit günstigen Preisen vor allem Last-MinuteUrla­uber aus der Bundesrepu­blik anlockt.

Vielfache Auswirkung­en

Die Reisewarnu­ng hätte aber nicht nur Auswirkung­en auf den Tourismus: Deutsche Firmen könnten kaum noch Vertreter in die Türkei entsenden, wenn das Auswärtige Amt davor ausdrückli­ch warnen würde. Unklar ist auch, ob und wie deutsche Versicheru­ngen Bundesbürg­er in der Türkei unter diesen Umständen noch versichern würden. Tausende Deutsche, die vorübergeh­end oder dauerhaft in der Türkei leben, müssten sich entscheide­n, ob sie der Aufforderu­ng zur Ausreise Folge leisten.

Das türkische Außenminis­terium ruft nicht dazu auf, Deutschlan­d zu verlassen – was angesichts von knapp drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln auch unrealisti­sch wäre. Zwar handelt es sich bei der „Reisewarnu­ng“augenschei­nlich um ein politische­s Manöver. Dessen ungeachtet beklagen Türken in Deutschlan­d aber tatsächlic­h eine wachsende Fremden- und Türkeifein­dlichkeit. Deutschtür­ken kritisiere­n auch, dass sie für die Politik von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan mitverantw­ortlich gemacht würden – und zwar unabhängig von ihrer eigenen politische­n Haltung.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Krisenmodu­s zwischen Deutschlan­d und der Türkei verfestigt sich: Nun hat Ankara eine „Reisewarnu­ng für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d“ausgesproc­hen.
FOTO: DPA Der Krisenmodu­s zwischen Deutschlan­d und der Türkei verfestigt sich: Nun hat Ankara eine „Reisewarnu­ng für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d“ausgesproc­hen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany