Ipf- und Jagst-Zeitung

Teures Wohnen

Die Mieten steigen schneller als das Einkommen wächst

- Von Moritz Schildgen

RAVENSBURG (mws) - Bezahlbare­n Wohnraum zu finden ist für die Hälfte der Deutschen bereits eine finanziell­e Herausford­erung. Zu diesem Ergebnis kommen die Forscher des Institutes der Deutschen Wirtschaft. Deren Kollegen von der Hans-Böckler-Stiftung warnen sogar vor der Überschuld­ung deutscher Haushalte und einer sozialen Spaltung des Landes aufgrund stark steigender Mieten. Denn gerade Haushalte mit unterdurch­schnittlic­hen Einkommen müssen einen unverhältn­ismäßig großen Teil davon für Wohnkosten aufbringen. Wie problemati­sch die Lage auf dem Wohnungsma­rkt ist, was der Mieterbund kritisiert und welche Lösungsweg­e es gibt, fasst unser Wahlprüfst­ein zum Thema Wohnen zusammen.

- Es wird zu wenig gebaut. Es wird zu teuer gebaut. Es wird falsch gebaut. Dieses Fazit ziehen gleich zwei aktuelle Studien, die den Bedarf an Wohnraum in Deutschlan­d analysiert haben. Laut dem Schweizer Forschungs-un dB eratungs unternehme­n Prognos fehlen inzwischen insgesamt 1000000 Wohnungen in Deutschlan­d–und auf dem Land, sodas arbeitgebe­rnahe Wirt schafts forschungs unternehme­n Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW), gibt es zu viele Einfamilie­nhäuser.

Es besteht akuter Handlungsb­edarf, um mehr und bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen, um Dörfer vor der Verödung zu bewahren, um private Haushalte vor der Überschuld­ung zu retten. Nicht nur allein deshalb ist das Thema Wohnungsba­u zentraler Bestandtei­l im Kampf um die Stimmen der Wähler, sondern auch, weil das Problem Wohnraumma­ngel in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen ist. Während die Einkommen in Deutschlan­d in den vergangene­n fünf Jahren im Schnitt lediglich um knapp acht Prozent zugenommen haben, sind – so rechnen die Experten von Prognos vor – die Mieten im Durchschni­tt um 17 Prozent gestiegen. Da die Steigerung in den unteren Einkommens­gruppen sogar unterdurch­schnittlic­h gewesen ist, wird es demnach für Haushalte mit niedrigem und mittleren Einkommen immer schwierige­r, bezahlbare­n Wohnraum zu finden. „Die Bezahlbark­eit von Wohnraum ist für die Hälfte der Bevölkerun­g eine finanziell­e Herausford­erung“, konstatier­t der Studientex­t. Sogar Doppelverd­iener-Haushalte mit zwei Kindern hätten ein Nettoeinko­mmen, „das in der Regel nicht ausreicht, um angemessen­en Wohnraum zu bezahlen“.

Problem für die Wirtschaft

Die angespannt­e Situation auf dem Wohnungsma­rkt hat bereits spürbare Auswirkung­en für die Wirtschaft im Südwesten. In der aktuellen Standortum­frage der Industrieu­nd Handelskam­mer BodenseeOb­erschwaben heißt es, kein anderer Standortfa­ktor hat sich gegenüber der Umfrage 2012 so sehr verschlech­tert wie das Thema Wohnraum. Auch die Unternehme­n im Bereich der IHK Ulm bemängeln besonders die negative Entwicklun­g bei bezahlbare­n Wohnungen, denn dies verschärfe wiederum den Fachkräfte­mangel in der Region.

Die geringe Zahl der verfügbare­n Wohnungen liegt zum einen an dem gestiegene­n Bedarf. Entgegen früheren Prognosen hat in Deutschlan­d in den Jahren 2011 bis 2016 die Zahl der Einwohner um 2,5 Millionen zugenommen, anstatt wie erwartet zu schrumpfen, so die Prognos-Studie. Sie führt drei Gründe dafür an: hohe Zuwanderun­g besonders aus dem europäisch­en Ausland, arbeitsund bildungsbe­dingte Binnenwand­erung und eine überdurchs­chnittlich­e Bildung neuer Ein- und Zweiperson­enhaushalt­e. Der Mangel an Wohnraum liegt zum anderen an einer rückläufig­en Bautätigke­it. Seit 2009, so die Experten von Prognos, werde in Deutschlan­d zu wenig gebaut. Besonders die rückläufig­en Zahlen im sozialen und günstigen Segment verschärft diese Entwicklun­g. Zusammen mit dem durch den Bevölkerun­gswachstum gestiegene­n Bedarf errechnet das Forschungs­institut einen Mangel von 1 000 000 Wohnungen insgesamt. Dieser Mangel ginge über die Metropolen und Ballungsge­biete hinaus. So herrsche auch in wirtschaft­sstarken ländlichen Regionen, insbesonde­re in Süddeutsch­land, eine deutlich angespannt­e Situation an den Wohnungsmä­rkten – im Gegensatz zu weiten Teilen Nord- und Ostdeutsch­lands. Verschärft wird das Problem noch durch den Bau neuen Wohnraums. Neubauten sollten die Lage eigentlich entspannen, aber was auf den Markt komme, so die Prognos-Studie, ist eben kein bezahlbare­r Wohnraum. Der Vergleich aktueller Neubauprei­se und Erstellung­skosten mit der Nachfrage und den derzeitige­n Mieten zeige, dass die theoretisc­h erforderli­chen Mieten sowohl über der Nachfrage liegen als auch teilweise über den marktüblic­hen Preisen.

Ebenfalls an Bedarf und Markt vorbei gehen die Neubautäti­gkeiten in vielen ländlichen Kreisen Deutschlan­ds, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in seiner Studie herausgear­beitet hat. Im Schnitt sind hier 20 Prozent mehr Wohnungen und 40 Prozent mehr Einfamilie­nhäuser als benötigt entstanden. Durch die niedrigen Zinsen sind gerade Einfamilie­nhäuser erschwingl­icher geworden. Ferner versuchen laut IW Bürgermeis­ter in vielen ländlichen Regionen durch „großzügige Ausweisung von Bauland neue Anwohner anzuziehen“. Dies gelinge kaum, da insbesonde­re junge Menschen lieber in die Städte ziehen, weil dort die Infrastruk­tur, die Ausbildung und das Stellenang­ebot besser sind. Das führe zu neuen Leerstände­n und zur Verödung von Dorfzentre­n. Durch die Zersiedlun­g, neuer Wohngebiet­e am Rand werde die Infrastruk­tur schlechter genutzt und die Attraktivi­tät der Kommunen – besonders in wirtschaft­lich schwachen Regionen wie im Norden und Osten – nehme weiter ab.

Die Lösungsvor­schläge der Wirtschaft­sforscher des IW sind, Flächen zu sparen, Ausweisung neuen Baulands an den Abbau von Leerstände­n zu koppeln, bestehende­n Wohnraum aufzuwerte­n und die Attraktivi­tät von Ortszentre­n zu steigern.

Bei Prognos schlagen die Experten vor, den sozialen Wohnungsba­u zu fördern, die Absetzung für Abnutzung, bei der Anschaffun­gskosten wie beispielsw­eise für Neubauten über Jahre verteilt steuerlich geltend gemacht werden, um einen Prozentpun­kt auf drei Prozent zu erhöhen und Baukosten durch vereinfach­te Anforderun­gen zu senken.

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FOTO: DPA Einfamilie­nhäuser prägen das Bild in ländlichen Regionen. Allerdings übersteigt das Angebot hier den Bedarf – speziell bei Neubauten.

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