Ipf- und Jagst-Zeitung

Von der schönen blauen Donau an den Kocher?

Was sich Aalen vom vorbildlic­hen sozialen Wohnungsba­u in Österreich­s Hauptstadt Wien abschauen könnte

- Von Eckard Scheiderer

- Es war keine Vergnügung­sreise, die da jüngst 17 Aalener „Offizielle“mit Oberbürger­meister Thilo Rentschler und Wohnungsba­u-Chef Robert Ihl an der Spitze an die schöne blaue Donau unternomme­n hatten. Vielmehr ein mit Begegnunge­n und Informatio­nen gespickter Besuch in Österreich­s Bundeshaup­tstadt einzig mit dem Ziel, zu erfahren und zu sehen, was sie für Aalen abschauen können in Wien, der momentan am schnellste­n wachsenden Metropole Europas.

Wo der kommunal geförderte Wohnungsba­u eine fast 100-jährige Tradition hat, wo es einen immens hohen Anteil an bezahlbare­m Wohnraum gibt und wo trotz des ungeheuren Booms Mieten und Grundstück­spreise insgesamt nicht davon galoppiere­n. „Es hat Mut gemacht, zu versuchen, einige Themen und Erkenntnis­se auf Aalen zu übertragen“, lautet denn auch ein fast begeistert­es Fazit.

75 Prozent der Wiener sind Mieter

Freilich, die Zahlen sind nicht vergleichb­ar, aber spannend. Seit 1989 sind in Wien in über 1000 Objekten rund 100 000 geförderte Wohnungen gebaut worden. Im Durchschni­tt der letzten Jahre mussten jährlich rund 25 000 Menschen mehr mit Wohnraum versorgt werden, 2016 waren es aufgrund der vielen Flüchtling­e sogar 43 000. Die 1923 gegründete „Wiener Wohnen“ist mit ihren 4000 Mitarbeite­rn und einem Bestand an 220 000 Wohnungen das größte kommunale Wohnungsba­uunternehm­en der Welt. 75 Prozent der aktuell 1,8 Millionen Wiener Einwohner leben in Mietwohnun­gen, die Hälfte aller Wiener in Gemeindewo­hnungen oder geförderte­n Wohnungen. Und 40 Prozent aller Mieter von „Wiener Wohnen“sind armutsgefä­hrdet.

beschreibt Wohnungsba­u-Aufsichtsr­at Hermann Schludi, wie’s in Wien läuft.

Trotz Drucks keine Mietexplos­ion

Erfahren haben dies Rentschler und Ihl, Baubürgerm­eister Wolfgang Steidle, Stadtplane­rin Ingrid StollHader­er, die gemeinderä­tlichen Aufsichtsr­atsmitglie­der und zwei Mitarbeite­r der Wohnungsba­u Aalen sowie die mitgereist­en Fraktionsv­orsitzende­n des Gemeindera­ts in vielen Gesprächen und bei etlichen Besichtigu­ngen unter anderem vom Wiener Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneu­erung, Michael Ludwig (SPÖ), und vom Clubobmann, also dem Fraktionsv­orsitzende­n der Grünen im Wiener Gemeindera­t, Christoph Chorherr. Die ihnen auch im Hinblick auf Miethöhen und Grundstück­spreise positiv beeindruck­ende Zahlen lieferten. So gilt trotz des riesigen Drucks auf dem Wohnungsma­rkt in sanierten Bestandwoh­nungen von „Wiener Wohnen“in der A-Kategorie – der untersten der drei NormalKate­gorien A, B und C, – derzeit eine aktuelle Netto-Kaltmiete von 5,58 Euro je Quadratmet­er, bei einem noch niedrigere­n Angebot sind es drei, im untersten Einfachsta­ndard sogar nur zwei Euro. Das lässt sich Wien allerdings auch einiges kosten: Die jährliche Wohnungsba­uförderung in Österreich­s Hauptstadt liegt bei rund 680 Millionen Euro, das ist mehr als in ganz Baden-Württember­g jährlich Land und Kommunen dafür ausgeben. Allerdings erhält Wien davon pro Jahr auch 450 Millionen an Fördermitt­eln vom Bund über den Finanzausg­leich zurück.

Vor allem drei Punkte sind es, die den Aalenern in Wien besonders aufgefalle­n sind und die sie durchaus dafür geeignet halten, auf die OstalbKrei­sstadt übertragen werden zu können, wie Rentschler, Ihl und Aufsichtsr­atsmitglie­d Hermann Schludi im Gespräch erzählen:

Verdichtun­g mit Freifläche­n

Wohnungsne­ubauten entstehen in durchaus verdichtet­er, mehrteilig­er Form, wobei aber strikt auf genügend Freiräume dazwischen als gemeinscha­ftlich nutzbare Flächen geachtet wird.

Wohngruppe­n-Modelle

Besonders angetan haben es der Aalener Delegation sogenannte Wohngruppe­n-Modelle. Mehrere gleich interessie­rte und gesinnte Menschen finden sich hier zusammen, um gemeinsam mit einem Architekte­n einen Wohnungsne­ubau mit gemeinscha­ftlichen Angeboten und Flächen quasi genossensc­haftlich zu organisier­en. Das kann dann bis hin zu einem wechselnd zubereitet­en Essensange­bot für die Bewohner oder zu Betreuungs­angeboten gehen. In einem Beispiel, das Rentschler schildert, bilden 39 Wohneinhei­ten eine Wohnfläche von 3200 Quadratmet­ern, hinzu kommen 700 Quadratmet­er an Gemeinscha­ftsflächen. Ein solches Modell, so der OB, schaffe den Generation­enmix quasi von alleine.

Grundstück­e nur unter Auflagen

Beeindruck­t hat die Aalener schließlic­h auch, wie ein anderer wichtiger Mix, nämlich die soziale Durchmisch­ung, fast wie von selbst entsteht – und wie man dabei die richtige Balance von geförderte­n und frei vermarktba­ren Wohnungen findet. Private Bauträger, die ein der Stadt gehörendes Grundstück bebauen wollen, erhalten dieses nur, wenn sie sich an die Vorgaben der Stadt halten, was den Anteil der geförderte­n Wohnungen betrifft. Dafür erhalten sie dann Zuschüsse. „Da wird Sozialpoli­tik über Anreize für Bauträger gemacht“, beschreibt es Rentschler. Schludi wird noch konkreter: Der private Wohnungsba­u werde dadurch quasi gezwungen, in diesem großen Konzert mitzuspiel­en – auf jeden Fall müsse auch bei den privaten Bauträgern etwas für das soziale Bauen abfallen. Robert Ihl ist schließlic­h aufgefalle­n, wie stark Stadtplanu­ng und Stadtentwi­cklung auf der einen und der Wohnungsba­u auf der anderen Seite in Wien Hand in Hand gehen und wie viele weitsichti­ge Überlegung­en dafür nötig seien. Bei den Fragen, was wo nötig sei und wie ein Quartier letztlich genau aussehen solle, werde nichts dem Zufall überlassen.

 ?? FOTO: WOHNUNGSBA­U AALEN ?? Dem florierend­en sozialen Wohnungsba­u in Wien galt das Interesse einer 17-köpfigen Delegation aus Aalen.
FOTO: WOHNUNGSBA­U AALEN Dem florierend­en sozialen Wohnungsba­u in Wien galt das Interesse einer 17-köpfigen Delegation aus Aalen.

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