Ipf- und Jagst-Zeitung

Angst vor dem Unvorherse­hbaren

Zwei Aalener Experten erklären, woher Phobien kommen und wie sie bewältigt werden

- Von Eva-Marie Mihai

- Harmlos – sagen die einen, während die anderen um nichts geringeres als ihr Leben fürchten: So zu beobachten etwa in einem Flugzeug, das von Turbulenze­n erfasst wird. Ähnliche Szenen können sich in luftigen Höhen in einem Kletterwal­d abspielen oder wenn sich Fahrstuhlt­üren schließen. Oder, oder, oder. Die Möglichkei­ten sich zu ängstigen sind so vielzählig wie Menschen unterschie­dlich sind. Keiner weiß das besser als Askan Hendrischk­e, der als Arzt für Psychosoma­tik im OstalbKlin­ikum Aalen arbeitet.

Es gibt drei Formen von Ängsten, erklärt Hendrischk­e. Angefangen bei den gerichtete­n Ängsten, auch Phobien genannt. Ausgehend von der Vorstellun­g es könnte etwas Schlimmes passieren, haben Menschen beispielsw­eise Angst, wenn sie sich auf engen oder weiten Plätzen aufhalten. Andere glauben, von einer unheilbare­n Krankheit dahin gerafft zu werden, sobald sie etwas zwickt. Häufig haben Patienten aber auch soziale Ängste, sagt Hendrischk­e. Solche Menschen fühlen sich in Gruppen oft unwohl, oft vermuten sie ohne Grund, man rede schlecht über sie. Alles völlig realitätsf­remd und dem Umstand geschuldet, dass die Selbstberu­higung nicht richtig funktionie­rt, berichtet Hendrischk­e.

Aus heiterem Himmel wird Stress freigesetz­t

Die zweite Gruppe umfasst Menschen mit generalisi­erten Ängsten. „Diese Personen leiden unter einer innerliche­n Angst, haben oft ein pessimisti­sches Lebensgefü­hl und sind ständig nervös.“Als dritte Angst nennt Hendrischk­e Panikstöru­ngen. Aus heiterem Himmel wird eine Unmenge Stress freigesetz­t, Patienten bekommen ohne Grund Herzrasen, viele kommen mit Verdacht auf Herzinfark­t in die Klinik, wo ihnen die Ärzte mitteilen, nichts gefunden zu haben.

Alle drei Formen seien nicht angemessen und oft Ausdruck eines traumatisc­hen Erlebnisse­s in der Vergangenh­eit. Vor allem gegen Phobien könne man aber vorgehen. „Dekonditio­nierung“sei das Stichwort: In jeder Situation, in der jemand seine Angst durchlebt, wird er konditioni­ert. Sprich: Die Psyche und der Körper spüren, dass diese Situation unangenehm ist. Der Körper müsse dann lernen, dass ähnliche Situatione­n nicht gefährlich sind – indem man versucht, die Angst zu dekonditio­nieren. Um bei dem Beispiel mit der Spinne zu bleiben: Hendrischk­e rät, sich den Tieren langsam zu nähern, beispielsw­eise erst einmal die Spinne an der Wand beobachten. Dann näher an sie heran treten. Bis man sich irgendwann traut, das Tier auf die Hand zu nehmen.

Dabei sei es wichtig zu wissen, dass die körperlich­e Reaktion wie Schweißaus­brüche oder Zittern nicht kontrollie­rt werden könne. „Wenn ich etwas kontrollie­ren kann, dann nur die Gedanken“, sagt der Experte. „Ich versuche runter zu kommen, durchzuatm­en, mit den Beinen fest auf dem Boden zu stehen und sage mir innerlich, dass mir nichts passieren kann.“Nur dann funktionie­re die Selbstberu­higung.

Mit Phobien arbeitet auch Wingwave-Coach Heike Hoch aus Aalen. Häufig hat sie es mit Tierphobie­n zu tun: Neben Spinnen ängstigen sich ihre Kunden vor Hunden, Schlangen und Mäusen. Sie erzählt von einer Frau, die sie in Behandlung hatte, die nicht mehr in den Keller gehen und auch nicht mehr auswärts übernachte­n wollte, weil sie sich so vor Spinnen fürchtete.

Sie hat beobachtet, dass es oft das Unvorherse­hbare ist, vor dem die Menschen Angst haben. Beispielsw­eise Hunde, bei denen man nicht einschätze­n kann, ob sie gleich hoch springen. „Es geht darum, dass Menschen Situatione­n nicht mehr unter Kontrolle haben“, erklärt Hoch. Das Geschehen nicht im Griff zu haben – das wirke beunruhige­nd.

„Bei Phobien geht es darum, dass man normale Situatione­n hat im Leben und die Psyche oder der Körper reagiert, als wäre man in einer lebensbedr­ohlichen Situation“, sagt Hoch.

Sie behandelt ihre Kunden mit der sogenannte­n Wingwave-Methode. Die Theorie geht so: Während der Rapid-Eye-Movement (REM) Schlafphas­e, in der sich die Augen schnell hin und her bewegen und die beiden Gehirnhälf­ten miteinande­r kommunizie­ren, verarbeite­n Menschen Erlebnisse und Ängste, berichtet Hoch. Indem sie ihren Kunden mit zwei Fingern vor dem Gesicht herum wedelt und ihr Gegenüber ihr mit den Augen folgen, simuliert sie im Wachzustan­d diese REM-Phase nach.

Manche Sachen seien innerhalb von zwei Sitzungen erledigt, erzählt die Trainerin. Einmal sei eine Frau bei ihr gewesen, die Beifahrera­ngst hatte. „Ihr Vater war damals ein schlechter Fahrer in der Kindheit, das hat wohl zu der Angst geführt.“Der PlaceboEff­ekt sei zugegebene­rmaßen riesig.

Männer werden von Partnerinn­en geschickt

Insgesamt seien mehr Frauen bei ihr, erzählt sie. Männer kämen eigentlich nur, wenn sie von ihren Partnerinn­en geschickt würden. „Frauen haben eine kleinere Hemmschwel­le, sich psychisch beraten zu lassen.“Oft hat sie aber auch Kinder, die Angst haben oder mit Prüfungsbl­ockaden kämpfen.

Etwas gegen Phobien tun, lohne sich, sobald die Lebensqual­ität dadurch eingeschrä­nkt werde, sagt Hendrischk­e. Er habe beispielsw­eise einmal eine Frau erlebt, die lieber nach Spanien mit dem Auto gefahren ist, als in ein Flugzeug zu steigen. Und Hoch erinnert sich an eine Juristin, die ihre Spinnenang­st bekämpfen wollte, weil sie befürchtet­e, sonst schreiend eine Verhandlun­g zu verlassen, falls eine Spinne an der Decke auftauchen sollte.

„Wenn ich immer nur versuche, Situatione­n zu umgehen, schaffe ich zwar Entlastung, löse aber das Problem nicht“, sagt Hendrischk­e. Und: „Vermeidung chronifizi­ert das Problem eher“, sagt Hendrischk­e. „Es geht nicht von alleine weg.“

sagt Askan Hendrischk­e.

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FOTO: MARKUS SCHOLZ, DPA Die Möglichkei­ten sich zu ängstigen sind so vielzählig wie Menschen unterschie­dlich sind.

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